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Sprache und Stil

Eine Einführung von Gunter Reus

Im Zentrum der Journalismuskritik stand immer auch die Kritik an der Sprache in → Massenmedien. „Unartig teutsche Sprachverderber“ schalt Christoph Schorer die → Journalisten schon 1643, also bald nachdem die ersten Zeitungen erschienen waren. Friedrich Nietzsche schrieb 1882, schon im Zeitalter der Massenpresse: „Noch ein Jahrhundert Zeitungen – und alle Worte stinken“ (Colli/Montinari 1980: 73). Zu banal sei die Sprache in den Medien oder auch zu komplex, zu phrasenhaft, gedrechselt, voller Fehler – bis heute begleiten solche Vorwürfe von Wissenschaftlern, Pädagogen oder Schriftstellern den Journalismus. Sie können sich offensichtlich nur schlecht damit abfinden, dass ihnen die Medien ihr angestammtes Vermittlungsprivileg aus der Hand genommen haben und Wissen anders bzw. schneller verbreiten.

So berechtigt Kritik an Auswüchsen ist, so unangemessen sind pauschale Vorwürfe. Dem steten Zeitdruck, dem Journalisten ausgesetzt sind und der zwangsläufig auch zu Fehlern oder Phrasen führt, würden die Sprachkritiker, selbst vor die Aufgabe täglicher Nachrichtenproduktion gestellt, wohl kaum standhalten. Sie verkennen überdies, welchen Beitrag die Massenmedien seit dem 17. Jahrhundert zur Verbreitung einer hochdeutschen Schriftsprache und in der Folge zur Demokratisierung von Bildung geleistet haben. Journalisten waren es, die → Verständlichkeit als → Qualitätsnorm der Publizistik durchgesetzt haben.

Das geschah in medialen Schüben. Von den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts über die → Generalanzeigerpresse für jedermann, den Hörfunk mit Live-Gesprächen und -Reportagen, das Fernsehen mit seiner Präsenz vor Ort bis zur geschriebenen Mündlichkeit in der Publizistik des Internets – immer weiter drangen die Umgangssprache und andere Varietäten wie die Jugendsprache mit ihrem Alltagspragmatismus in die Medien vor. Sie ließen die Sätze kürzer, den Stil salopper werden. Mit wachsendem gesellschaftlichen Bildungsniveau wirken allerdings auch Fach- und Wissenschaftssprache auf Lexik und Syntax der Sprache im Journalismus ein.

Dies zeigt, dass es eine eigenständige journalistische Sprache nicht gibt, sondern dass Journalisten ihre sprachlichen Mittel aus der Gesellschaft übernommen, dann allerdings der medialen Entwicklung entsprechend ausgeformt haben. Das geschah vorrangig mit dem Ziel, → Nachrichten schnell, wirkungsvoll und ökonomisch zu übermitteln.

Im Journalismus fallen folgende Sprachmittel auf:

1) Insgesamt ist die Satzlänge gering, besonders in Boulevardjournalismus und elektronischen Medien.

2) Parataktischer Stil (Reihung einfacher Hauptsätze) ist wie in der Alltagssprache häufig; als Nebensätze kommen meist nur solche ersten Grades vor.

3) Der Wegfall von Nebensätzen führt allerdings wieder zu attributiven Verdichtungen und Nominalstil, vor allem in Meldungen („die am Nachmittag unter großen Sicherheitsvorkehrungen in Paris wieder aufgenommenen Verhandlungen…“).

4) Im elliptischen Stil von Überschrift und Nachrichtenbulletin („Verhandlungen in Teheran gescheitert“) wird das Prinzip der Ökonomie besonders kenntlich.

5) Journalismus ist vielfach Redewiedergabe; die indirekte (Nachrichtenstil) wie die direkte Rede (→ Berichte und → Reportagen) dienen dieser Funktion (→ O-Ton im Hörfunk).

6) Die von Journalisten ‘erfundene’ Darstellungsform des → Frage-Antwort-Interviews hat den alltagssprachlichen Dialog fest in den Medien verankert.

7) Ebenfalls vom Journalismus entwickelt wurden der hierarchische Stil von Meldungen (‘climax first’) und ‘Rutschbahntexte’ wie Vorspann oder → Teaser.

8) Die Bauprinzipien von Glosse (Entfaltung einer Pointe) und Reportage (Wechsel der Erzählperspektiven und Darstellungsebenen) sind narrative Errungenschaften, die der Journalismus der Literatur entnommen und eigenständig weiterentwickelt hat.

9) Die Übersetzung komplexer Sachverhalte bedingt einen regen Einsatz von Metaphern. Sie lassen sich Wortfeldern (zum Beispiel Familie, Körper, Natur) zuordnen, an denen man die Sprache von → Ressorts (→ Sportjournalismus, → Wirtschaftsjournalismus etc.) unterscheiden kann.

10) Rhetorische Figuren wie Anspielung, Ironie, Sentenz und Alliteration sind allgegenwärtig. Dazu gehört die Hyperbel, eine superlativische (häufig kritisierte) Ausdrucksweise vor allem in Texten, die an Affekte rühren oder Qualität bewerten („ein grandioser Sturmlauf des FC Bayern“; „einer der spannendsten Romane dieses Bücherherbstes“).

11) In ihrer Zeit stehend, greifen Journalisten Sprachmoden, Floskeln, den → Jargon bestimmter Bezugsgruppen (zum Beispiel Jugendszenen) und die Ent-Förmlichung der Alltagssprache auf (das „Tschüss“ der Moderatorin). Dies mag man als Anbiederung bemängeln; dennoch können auch solche Stilmittel helfen, Kommunikation in der Gesellschaft zu organisieren.

12) Schließlich saugt der Journalismus wie die Standardsprache insgesamt in einer komplexen Umwelt zunehmend fach- und fremdsprachliche Begriffe auf. Vereinfachung, Ent-Förmlichung und neue kognitive Herausforderungen gehen so Hand in Hand.

Literatur:

Burger, Harald: Sprache der Massenmedien. Berlin/New York [Walter de Gruyter] 1984

Colli, Giorgio; Mazzino Montinari (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Band 10: Nachgelassene Fragmente 1882-1884, 3[1] 168. München/Berlin [dtv/de Gruyter] 1980

Häusermann, Jürg: Journalistisches Texten. Sprachliche Grundlagen für professionelles Informieren. Aarau/Frankfurt/M. [Sauerländer] 1993

Kurz, Josef; Daniel Müller; Joachim Pötschke; Horst Pöttker; Martin Gehr: Stilistik für Journalisten. 2. Auflage. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2010

Schorer, Christoph: Der Unartig Teutscher Sprach-Verderber. Beschrieben durch einen Liebhaber der redlichen alten teutschen Sprach. Hamburg 1643

Gunter Reus
*1950, Prof. Dr., ist apl. Professor i. R. für Journalistik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Kulturjournalismus, Pressejournalismus, Journalismusforschung, Sprache und Stil der Massenmedien. Kontakt: gunter.reus (at) ijk.hmtm-hannover.de Gunter Reus hat Einführungsbeiträge zum → journalistischen Jargon sowie zu → Sprache und Stil im Journalismus geschrieben.

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