Aus der Not eine Tugend gemacht

Aktuell soll er sein. Aufmerksamkeit schaffen und Öffentlichkeit herstellen. Kontrolliert, aber unabhängig. Relevant, aber auch unterhaltsam. Multimedial. Und vor allen Dingen authentisch. Der Journalismus hat in den über 300 Jahren seiner Existenz an Komplexität zugenommen.  Da ist es umso wichtiger, dass eine Wissenschaft wie die Journalistik diese gesellschaftlich allgegenwärtige Disziplin erforscht und den Überblick behält. Grund genug für Journalistik-Professor Horst Pöttker, dies in Form eines Wörterbuchs zu realisieren – dem ersten deutschsprachigen Online-Lexikon der Journalistik. Da Journalisten ständig Fragen stellen, tun wir dies auch. Fragen an den Herausgeber des Journalistikons.

Prof. Dr. Horst Pöttker, Herausgeber des Journalistikons
Prof. Dr. Horst Pöttker, Herausgeber des Journalistikons

Professor Pöttker, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Wörterbuch der Journalistik herauszugeben?

Horst Pöttker: Gemeinsam mit meinem Kollegen Evgenij Kornilov aus Rostov am Don habe ich vor über zehn Jahren begonnen, an einem deutsch-russischen Wörterbuch der Journalistik zu arbeiten. Das sollte nicht nur zweisprachig sein, sondern die Autoren aus beiden Ländern sollten sich auf gemeinsame Artikel einigen. Da das viel Zeit in Anspruch nimmt, ist bisher nur ein Band zu journalistischen Genres erschienen[1], ein zweiter zu den Mediensystemen der beiden Länder ist bald fertig. Die lange Bearbeitungszeit ist für Autoren natürlich frustrierend. Außerdem schien mir, dass die Texte durch das Abgleichen mit den russischen Pendants zwar an Interkulturalität, aber nicht an Konsistenz und Präzision gewannen. So ist mir der Gedanke gekommen, aus dem Grundstock der ursprünglichen deutschen Texte ein deutsches Wörterbuch der Journalistik zu entwickeln.

Gibt es in der Branche nicht bereits ähnliche Publikationen?

Horst Pöttker: Das hängt davon ab, was man unter Branche versteht. Journalistik als Wissenschaft, die den Journalistenberuf unterstützt und zu Innovationen anregt wie die Medizin den Arztberuf, ist in Deutschland ein junges und kleines Fach. Ähnlich erscheinende deutschsprachige Wörterbücher sind kommunikationswissenschaftliche Lexika im Allgemeinen oder beziehen sich unmittelbar auf die journalistische Praxis, ohne viel Systematik und kritische Distanz. Ich hoffe, dass das Journalistikon zum Profil der Journalistik als Wissenschaft beitragen kann.

Warum haben Sie sich entschieden, das Journalistikon vorläufig nicht als Buch, sondern als Website zu veröffentlichen?

Horst Pöttker: Man hat mehr mediale Gestaltungsmöglichkeiten: Bewegtbilder, O-Töne, bei einem Fachlexikon auch Partizipationsangebote an Nutzer. Das werden wir in Zukunft zu realisieren versuchen und gehört damit zu den Besonderheiten des Journalistikons. Unsere Ambition ist es, nicht nur ein Wörterbuch zu sein, das Begriffe abarbeitet, sondern diese, wo es sinnvoll ist, künftig durch journalistische Darstellungsformen zu bereichern. Diese Option kann dafür sorgen, dass Informationen interessanter werden und leichter bei den Nutzern ankommen.

Abgesehen von der technischen Ebene ist aber sicher auch die Logistik ein Grund für den Gang ins Web. Im crossmedialen Journalismus heißt es bei Nachrichten oft „online first“ – weil es schneller geht, richtig?

Horst Pöttker: Ganz genau, gerade bei einem Lexikon. Lange Bearbeitungszeiten sind bei diesem Buchgenre wegen des Organisationsaufwands kaum zu vermeiden. Das kann nicht nur für Leser, sondern auch für pünktliche Autoren demotivierend sein, weil sie auf das Erscheinen ihrer Beiträge warten müssen. Diese Unzufriedenheit lässt sich bei einer Website dadurch mindern, dass man sie peu à peu wachsen lässt. Das Lexikon irgendwann auch mal zu drucken, ist ja nicht ausgeschlossen. Aber online zu publizieren ist flexibler, dynamischer – und nebenbei spart man Ausgaben für Druck und den physischen Vertrieb. Außerdem bietet eine Website dem Publikum mehr Such- und Zugriffsmöglichkeiten.

Zum Letzten präziser gefragt: Anders als bei gedruckten Wörterbüchern, die alphabetisch geordnet sind, erlaubt eine Website mehr Möglichkeiten, den Inhalt zu strukturieren. Wie ist das Journalistikon aufgebaut?

Horst Pöttker: Das alphabetische Prinzip, das den Nutzern erlaubt, die vorhandenen Informationen aufzufinden, wird wie bei anderen Online-Lexika durch eine Suchfunktion ergänzt. Dabei lassen sich die Lexikoneinträge auch auf die Medienformen Print, Fernsehen, Radio oder Online fokussieren. Hinzu kommt die Eingliederung aller Artikel in 19 Themenschwerpunkte – das beginnt bei der → Ausbildung im Journalismus und geht über prinzipielle Themen wie → Berufsethik, → Medienrecht oder → Sprache und Stil bis zur Wechselbeziehung zwischen → Politik und Journalismus. Auf diese Weise liegen die Stichwörter des Journalistikons auf zwei Abstraktionsebenen: Auf der obersten Ebene werden die Themenkreise der Journalistik bezeichnet und durch Einführungsbeiträge ausführlich beleuchtet. Auf der zweiten Ebene kommen konkrete Stichwörter wie → Nachricht, → Schmähkritik oder journalistische → Unabhängigkeit. Diese Beiträge werden nach und nach ergänzt.

Können Sie noch etwas zu den Autoren des Journalistikons sagen? Wie werden sie ausgewählt?

Horst Pöttker: Ausschlaggebend ist Kompetenz, das heißt, wir erbitten Beiträge von Wissenschaftlern, die zu einem Themenkreis publiziert haben. Und wir bemühen uns, für ganze Themenkreise Autoren zu finden. Das gelingt allerdings nicht immer, so dass Themenkreise aufgeteilt und gelegentlich auch auf den konkreten Ebenen einzelne Stichwörter von einzelnen Autoren bearbeitet werden.

[1] Bespalova, Alla G.; Evgenij A. Kornilov; Horst Pöttker (Hrsg.): Journalistische Genres in Deutschland und Russland. Handbuch. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2010