Heinz Knobloch

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Heinz Knobloch, geb. 3.3.1926 in Dresden, gest. 24.7.2003 in Berlin

Anspielungen auf die Tristesse der Plattenbausiedlungen, auf sowjetische Panzer in Prag, Spott über Kleingeister und Dogmatismus im Erziehungswesen, über Stechschritt, Bonzengehabe und den Protz der staatlichen Aufmärsche – dass so etwas in der rigide gelenkten DDR-Presse möglich war, mag vielen heute unglaublich vorkommen. Und doch gab es sie, die Nadelstiche, das schalkhafte Augenzwinkern, die frechen Zweideutigkeiten. Sie waren für das System schwer zu ertragen, aber für seine Zensoren auch nur schwer zu greifen. Die Freiheit lag, wie so oft in der Geschichte des → Feuilletons in Deutschland, zwischen den Zeilen. Einer, der sie sich dort nahm, war Heinz Knobloch.

1926 in Dresden geboren und in Berlin aufgewachsen, wird der Halbwüchsige 1943 zur Wehrmacht eingezogen und nach Frankreich geschickt. Er entzieht sich der Besatzungsmaschine sofort und desertiert, kaum 18 Jahre alt. Ein Leben lang wird er fortan auf Gleichschritt und Militär allergisch reagieren – auch im sich sozialistisch nennenden Teil Deutschlands, in dessen Staatspartei SED er nach der Kriegsgefangenschaft 1949 eintritt. Wie so viele sucht er in der DDR das bessere, antifaschistische Deutschland, ein Fragender, Zweifelnder gleichwohl, der zum Widerspruch neigt, dem die Staatssicherheit „revisionistische Auffassungen“ und fehlenden „Klassenstandpunkt“ bescheinigt (zit. n. Walther 1999: 853). Dennoch bleibt Knobloch loyal. Ein Widerstandskämpfer ist er nicht. Erst 1990, nach der Wende, wird er die SED verlassen – „um einiges zu spät“ (Knobloch 1999: 55), bekennt er später selbst.

Knobloch arbeitet im Berliner Verlag als Hilfskraft und kaufmännischer Angestellter, durchläuft ein Volontariat bei der Berliner Zeitung, wird → Redakteur der Bildagentur Illus und 1953 der Wochenpost. Es ist das Jahr der Unruhen in Ostberlin, ohne die es das neue Wochenblatt wohl nicht geben würde. Nach dem Aufstand der Bauarbeiter ahnt man in der Partei, dass die Menschen noch anderes brauchen als Parolen, Propaganda und Parteilichkeit im Neuen Deutschland und den Bezirkszeitungen. In den 50er Jahren entstehen deshalb die Unterhaltungszeitschrift Magazin, der Comic Mosaik, das Modejournal Sybille, das Satireblatt Eulenspiegel. Und eben die Wochenpost (vgl. Polkehn: 1997). Wie alle anderen Blätter unterliegt sie der Nachzensur, und sie hängt an der Leine der SED, der der Berliner Verlag gehört. Und dennoch eröffnet sie kleine Spielräume. Die Zeitung bietet nicht nur Service und Unterhaltung, sondern auch Themen, über die man sonst in der DDR nichts lesen kann – eigenwillige Gerichtsreportagen, Geschichten über Trinker, über AIDS-Kranke, über Menschen, die nicht den Strahlenkranz der Partei tragen, kritische Rezensionen, Auslandsreportagen oder die → Reportagen aus Bitterfeld von Monika Maron. Der publizistische Erfolg ist gewaltig: Von 1973 bis zur Wiedervereinigung erscheint das Blatt mit einer Auflage von knapp 1,3 Millionen. Legt man zugrunde, dass auf jedes Exemplar vier Leser kommen, so erreicht die Wochenpost etwa jeden dritten erwachsenen DDR-Bürger.

Hier also findet Knobloch seine publizistische Heimat, zunächst als Rätsel-, dann als Politikredakteur, schließlich im Kulturressort, das er bis 1965 leitet. Zu seiner eigentlichen Berufung aber wird die wöchentliche → Feuilleton-Kolumne Mit beiden Augen, die ihn weit heraushebt aus dem Kreis der DDR-Journalisten und mit der er sich einreiht in die Traditionslinie deutschsprachiger Schriftsteller-Journalisten wie → Heine, Tucholsky oder → Kästner.

Der Lyriker, Prosaist und spätere Dissident Reiner Kunze hat ihn während seines → Journalistik-Studiums am ,Roten Kloster‘ in Leipzig mit der Textform des → Feuilletons vertraut gemacht. Knobloch sieht darin eine Verbindung von ,Prosagedicht‘ und ,Zeitungsaufsatz‘: „Das Etwas-Mitteilen des Journalisten mischt sich mit dem Sich-Mitteilen des Dichters.“ (Knobloch 1973: 457) Es sind Miniaturen, die ihren Gegenstand nicht in den üblichen tagesaktuellen Begebenheiten suchen. Stattdessen greifen sie – oft mit den Stilmitteln der Ironie, der Analogie, der Parodie oder der Verfremdung – ungewöhnliche Themen, Figuren und Zitate auf, gestalten Reiseeindrücke aus, greifen zu historischen Reminiszenzen, begeben sich an vergessene Orte oder erinnern an Persönlichkeiten, an Hintergründiges und Übersehenes abseits der journalistischen Trampelpfade. Das führt Heinz Knobloch zwangsläufig immer wieder hinter den engen DDR-Horizont oder an die Ränder der scheinbar sozialistischen Gesellschaft.

Über Jahrzehnte hinweg schreibt Knobloch etwa 1700 solcher Feuilletons, die meisten erscheinen Woche für Woche auf Seite 22 der Wochenpost. Es sind Texte, die zum Schmunzeln einladen, eine Wissenslücke füllen oder ein lokalhistorisches Detail erzählen wollen und in die dann oft doch kleine Widerhaken, Stolpersteine und Anspielungen auf den DDR-Alltag eingebaut sind. So beschreibt er 1977 in Marxwalde: Vorgefundene Geschichte ein Denkmal von Karl Marx, das „etwas verwittert“ sei und „Moos angesetzt“ habe. Und der Feuilletonist empfiehlt listig: „Scheuerbürste und (meinetwegen) ,Ajax‘.“ (Knobloch 2002: 95) In Bei uns in Pankow (1980) erwähnt er die Staatsbesuche, die sich schon am frühen Morgen dadurch ankündigen, „daß in der Grünanlage unterschiedliche junge Männer auf den Bänken sitzen und die gleiche Sorte Wurstbrote verzehren“ (Knobloch 2002: 34). Auch ohne dass das Wort „Stasi“ fiel, wusste jeder sofort, auf wen Knobloch hier mit dem Finger zeigte. Aber da die jungen Männer nur Wurstbrote verzehrten, konnte die Zensur schlecht eingreifen. Im Feuilleton Zum Jubiläum des Rattenfängers erwähnt er 1984 die Geschichte zweier Kinder, die zu spät auf die Flötentöne reagierten und so dem Rattenfänger entgingen, „dem fast alle blindlings folgten“. Aber natürlich, so die augenzwinkernde Pointe, sei das nur erfunden: „Von klugen Kindern, die auf Gängeln und Drängeln pfeifen. Sogenannte Bummelletzte.“ (Knobloch 2002: 220) ,Bummelanten‘, auch das assoziierte jeder sofort, hießen in der frühen DDR Menschen, die sich nicht am ,Aufbau des Sozialismus‘ beteiligen wollten.

Andere Texte waren von vornherein direkter und führten zu Auseinandersetzungen mit der Partei. Wegen eines Beitrages über das Vorzeige-Neubaugebiet Marzahn (vgl. Knobloch 2002: 41-47) wurde 1982 in der Zeitungsredaktion eigens eine Parteiversammlung einberufen. Manche der Feuilletons von Heinz Knobloch, auf die Millionen Leserinnen und Leser jede Woche warteten, wagten sich schließlich so weit vor, dass die Wochenpost sie nicht veröffentlichen wollte. So Im Lustgarten: Mit Zeitung (1983), wo es, historisch verkleidet, erkennbar um die Unterdrückung einer freien Berichterstattung in der DDR-Presse ging (vgl. Knobloch 2002: 39f.). Zum Teil konnte Knobloch solche Texte daraufhin in Büchern unterbringen. Der Grund dafür lag in der unterschiedlichen Zensurpraxis: Die Kontrolle von Büchern unterlag dem weniger rigiden Kulturministerium, die Presse aber dem Zentralkomitee der SED.

Insgesamt hat Heinz Knobloch bis zur Wende rund 30 Anthologien mit eigenen → Feuilletons, einige Monographien sowie Sammelbände mit Feuilletons anderer Autoren veröffentlicht. Nach der Wiedervereinigung erhielt er 1998 für sein Lebenswerk den Verdienstorden des Landes Berlin. Aber auch jener Teil Deutschlands, der ihn oft genug plagte und dem er doch schmerzlich verbunden blieb, hatte ihn ausgezeichnet, unter anderem 1965 mit dem Heinrich-Heine-Preis und 1986 mit dem Nationalpreis der DDR dritter Klasse. Das sollte gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Publizistik in ihm nicht nur einen außerordentlichen und originellen Stilisten hatte, sondern auch ein Beispiel für Zivilcourage.

Literatur:

Knobloch, Heinz (Hrsg.): Allerlei Spielraum. Feuilletons aus 225 Jahren. Berlin [Der Morgen] 1973.

Knobloch, Heinz: „Lässt sich das drucken?“ Feuilletons gegen den Strich. Hrsg. v. Gunter Reus und Jürgen Reifarth. Mit Illustrationen von Wolfgang Würfel. Konstanz [UVK] 2002.

Knobloch, Heinz: Mit beiden Augen. Mein Leben zwischen den Zeilen. Frankfurt/Main [Fischer] 1999.

Polkehn, Klaus: Das war die Wochenpost. Geschichte und Geschichten einer Zeitung. Berlin [Links] 1997.

Walther, Joachim: Sicherungsbereich Literatur: Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin [Links] 1999.

Zum Weiterlesen:

Knobloch, Heinz: Mit beiden Augen. Von Dresden nach Tennessee. Frankfurt/Main [Fischer] 1999.

Reifarth, Jürgen; Gunter Reus: „Mich aber mag das Gesetz recht eigentlich nicht“. Publizistische Opposition gegen den SED-Staat in den Feuilletons von Heinz Knobloch. In: Publizistik, 47, 2002, S. 1-20.

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Gunter Reus
*1950, Prof. Dr., ist apl. Professor i. R. für Journalistik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Kulturjournalismus, Pressejournalismus, Journalismusforschung, Sprache und Stil der Massenmedien. Kontakt: gunter.reus (at) ijk.hmtm-hannover.de Gunter Reus hat Einführungsbeiträge zum → journalistischen Jargon sowie zu → Sprache und Stil im Journalismus geschrieben.