Personalisierung

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Wortherkunft: Substantivierung des Verbes ‚personalisieren‘ = etwas auf Einzelpersonen beziehen; abstammend vom lateinischen Substantiv ‚persona‘ = Person, Charakter

Der Begriff wird im Journalismus gebraucht als (1) Bezeichnung für einen Nachrichtenfaktor in der Nachrichtentheorie und (2) Bezeichnung für das journalistische Stilmittel, bei der Berichterstattung Einzelpersonen, deren Handeln und Schicksale in den Vordergrund zu stellen.

(1) In der von Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge geprägten Nachrichtentheorie taucht die Personalisierung als einer von zwölf → Nachrichtenfaktoren auf, die den Nachrichtenwert von Ereignissen bestimmen. Der Theorie zufolge wird ein Ereignis eher zu einer Nachricht, wenn es sich im Handeln oder im Schicksal von Personen darstellt bzw. darstellen lässt. Personalisierung in diesem Sinne ist eine Ereignissen innewohnende Eigenschaft, die als Indikator für journalistische Relevanz dient. Spätere Experimente bestätigten, dass Personalisierung nicht nur für → Journalisten als Relevanzindikator dient, sondern auch für das journalistische Publikum: Rezipienten erinnerten sich besser an die → Inhalte journalistischer Beiträge, wenn diese stark personalisiert waren.

(2) Personalisierung als journalistisches Stilmittel bezeichnet den bewussten Versuch, bei der Berichterstattung über Ereignisse und Entwicklungen anstelle von Strukturen oder Organisationen Personen in den Vordergrund zu stellen. Dies geschah offenbar schon in der Frühzeit des Pressewesens, als die Zeitungen vor allem über die Handlungen hoher Adliger und Militärs berichteten. Die Technik der Personalisierung soll dazu dienen, die Relevanz von Nachrichten für das Publikum zu erhöhen bzw. diesem die Relevanz von Nachrichten zu verdeutlichen.

Um Beiträge zu personalisieren, treffen Journalisten Entscheidungen über die → Relevanz bestimmter Aspekte eines Themas (interne Relevanz) – sie entscheiden sich dafür, die personenbezogenen Aspekte von Ereignissen zu betonen und andere Aspekte gegebenenfalls wegzulassen. Ein häufig vorgebrachter Kritikpunkt gegen das Stilmittel der Personalisierung ist daher auch, dass die Fokussierung auf Personen unter Umständen vom eigentlichen Kern einer → Nachricht ablenke – besteht doch bei der Nutzung von Personalisierung die Gefahr, dass Organisationen, in die handelnde Akteure eingebettet sind, und Zwänge, denen sie unterliegen, ausgeblendet werden. Personalisierung vermindert also tendenziell die Komplexität der Berichterstattung. Darüber hinaus verweisen Kritiker auch darauf, dass Personalisierung Sensationalismus begünstige und zu einer → Boulevardisierung des Journalismus führe. In der Tat machen vor allem Boulevardmedien intensiv Gebrauch von dieser Technik.

Andererseits fordern Befürworter der Personalisierung den häufigeren Einsatz dieses Stilmittels gerade zur Vermittlung komplexer Themen, über die typischerweise auf einer eher abstrakten Ebene berichtet wird. Ein Beispiel für einen derartigen Themenkomplex ist die → Wirtschaftsberichterstattung. Personalisierung könnte hier, aber auch in anderen Bereichen des Journalismus, als Mittel dienen, um die Zugänglichkeit der Berichterstattung für das → Publikum zu erhöhen.

Literatur:

Donsbach, Wolfgang: Medienwirkung trotz Selektion. Einflußfaktoren auf die Zuwendung von Zeitungsinhalten. Köln/Weimar/Wien [Böhlau] 1991

Eilders, Christiane: Nachrichtenfaktoren und Rezeption. Eine empirische Analyse zur Auswahl und Verarbeitung politischer Information. Opladen [Westdeutscher Verlag] 1997

Galtung, Johan; Mari Holmboe Ruge: The Structure of Foreign News. In: Journal of Peace Research, 1, 1965, S. 64-91

Schulz, Winfried: Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Analyse de aktuellen Berichterstattung. Freiburg/München [Karl Alber] 1976

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*1976, Dr., hat an der Technischen Universität Dortmund zum Thema Qualität im Journalismus promoviert. Er arbeitet als Kommunikationsberater in Köln. Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte: Qualität im Journalismus, Verhältnis von Journalismus und PR. Kontakt: post (at) handundstein.de Holger Handstein hat einen Einführungsbeitrag zum Thema → Qualität im Journalismus geschrieben.