Porträt

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Portrait_SamuelCastro_unsplash_comWortherkunft: frz. portrait = Bildnis, Darstellung einer Person, meist als Brustbild; vor 1700 ins Deutsche übernommen

Das Porträt als journalistische Textgattung lebt von der Auseinandersetzung mit einer realen – der porträtierten – Person und lässt diese als Momentaufnahme in der persönli­chen Gestaltung des Porträtisten lebendig werden.

Das Porträt als Text war zunächst eine literarische Form; seine längste Ausgestaltung ist die Biografie. Die Verselbstständigung des Porträts als eigenständiges journalistisches Genre erfolgte erst im 20. Jahrhundert. Heute ist das Porträt eine häufige Form in Presse- wie elektronischen Medien.

Es lassen sich manche Unter- und Sonderformen unterscheiden, so etwa der Nachruf (Nekrolog) oder das Porträt historischer Persönlichkeiten z. B. anlässlich von Jahrestagen. Für die Praxis besonders wichtig ist die Unterscheidung zwischen im engeren Sinne personen- und eher sachbezogenen Porträts. Die im engeren Sinne personenbezogenen Formen zielen tatsächlich auf die meist prominente Person der/des Porträtierten ab, wollen ihren Charakter, ihren Werdegang und/oder ihre Ziele darstellen. Sachbezogene Porträts dagegen nutzen den Rezeptionsanreiz, den die Personifizierung bietet, um – über die konkrete Person hinausweisend – z. B. Institutionen in ihrer Tätigkeit vorzustellen. Der Rezeptionsanreiz ist hier oft mit der journalistischen Qualitätsdimension Anschaulichkeit gleichzusetzen: Es ist zweifellos anschaulicher, einen in Deutschland arbeitenden spanischen Handwerksmeister seinen Tagesablauf und ggf. die eine oder andere Anekdote aus seinem Arbeitsleben schildern zu lassen (was freilich auch, etwas anders, im Interview oder der Reportage geschehen kann), als Statistiken über Betriebsgründungen von Migranten zu präsentieren. So erklärt sich die Bedeutungszunahme des Genres daher, dass es besonders geeignet ist, dem Wunsch nach Personifizierung (‘human interest’) zu entsprechen.

Besonders im Prominentenporträt ist es mitunter schwierig, Neues mitzuteilen oder überhaupt an die eigentliche Person hinter der Selbstdarstellung heranzukommen. Das zentrale Problem beim sachbezogenen Porträt liegt dagegen wohl darin, dass die porträtierte Person völlig in den Hintergrund tritt und als bloßes Beiwerk, als → Aufhänger für die eigentliche → Story, erkennbar wird. Der erwünschte menschlich-empathische Aspekt geht gerade dann verloren; er verkehrt sich im Extremfall in sein Gegenteil. Ein Porträt wirkt umso stärker, je mehr es gelingt, den porträtierten Menschen tatsächlich im Mittelpunkt zu halten.

Zen­trale Elemente im Presse-Porträt sind das beigegebene Porträt-Bild und/oder eine konkrete Beschreibung sowie die sorgfältige Wiedergabe mündlicher Äußerungen. Hörfunk-, Fernseh- und Multimedia-Porträt haben hier größere technische Möglichkeiten (im Radio natürlich mit Ausnah­me des Bildes). In allen Medien eher selten genutzt werden die Möglichkeiten der Reflexionsdarstellung (etwa des inneren Monologs), die es dem Rezipienten unmittelbar ermöglichen, sich in die Rolle des Porträtierten zu versetzen. Allen Formen gemeinsam ist schließlich die Notwendigkeit, eine für den Rezipienten nachvoll­ziehbare Ordnung bzw. Struktur zu finden, und sei es auch die teils als simpel verpönte chronologische. Zu vermeiden ist aber eine Aneinanderreihung von letztlich unpersönlichen biographischen Versatzstücken wie im tabellarischen Lebenslauf.

Viele bedeutende Einzelprobleme bei der Gestaltung von Porträts lassen sich aus dem Prinzip erklären, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. So fehlt im Presse-Porträt häufig die konkrete Beschreibung, die durch das Bild keineswegs ersetzt wird (Mimik, Gestik). Auch die persönlich charakterisierende – also oft umgangssprachliche, von idiomatischen Wendungen und Eigenschöpfungen geprägte – Sprechweise wird häufig, meist in der redlichen Absicht, den Porträtierten nicht bloßzustellen, in blutleeres Schriftdeutsch verwandelt, das weder authentisch ist noch zur Annäherung an die Person beiträgt. Sicher ist nicht dahingehend zu übertreiben, dass unter dem Vorwand der Authentizität der Porträtierte durch seine eigenen Äußerungen der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Mündlicher und oft treffender, Empathie auslösender Ausdruck darf jedoch nicht entindividualisiert werden.

In diesen Problemzusammenhang gehört auch das häufige Ausblenden aller negativen Aspekte (Misserfolge, Fehler), ohne die aber kein Mensch(enleben) auskommt. Kommt beides zusammen, ergibt sich das Porträt eines Übermenschen, der druckreif spricht und dem nie etwas schiefgeht; bei dieser Form von Heiligenvita geht die Empathie beim Rezipienten fast zwangsläufig verloren.

In der Forschung wird das Porträt noch immer vielfach als Neben- oder Mischform anderer Genres, mit denen es zu tun hat (Reportage, Interview) behandelt, sodass ein eigener Eintrag in vielen Genreübersichten o. Ä. bis heute fehlt. Entsprechende Monographien wurden erst sehr spät vorgelegt, zuerst 1988 in der DDR.

Literatur:

Egli von Matt, Sylvia; Hanspeter Gschwend; Hans-Peter von Peschke; Paul Riniker: Das Porträt. 2. Auflage. Konstanz [UVK] 2008

Müller, Daniel: Porträt. In: Kurz, Josef; Daniel Müller; Joachim Pötschke; Horst Pöttker; Martin Gehr: Stilistik für Journalisten. 2. Auflage. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2010, S. 189-199

Schulze, Rolf: Das Porträt. Lehrheft zur journalistischen Methodik. Leipzig [Karl-Marx-Universität Sektion Journalistik] 1988

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*1969, Dr. phil., Dipl.-Journalist, M. A., hat Journalistik, Geschichte und Orientalistik in Dortmund und Bochum studiert und in Neuerer Geschichte promoviert. Er war 1996-1998 sowie 2002-2009 wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Journalistik (Dortmund), von 1998-2002 am Historischen Institut (Bochum). Von 2009 bis 2015 leitete er das Graduiertenprogramm der sozial- und geisteswissenschaftlichen Fakultäten der TU Dortmund. Seit 2016 ist er Leiter des House of Young Talents zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Universität Siegen. Forschungsschwerpunkte: Sowjetische Nationalitätenpolitik, Pressegeschichte, Medien und ethnische Minderheiten.