Publikum

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Wortherkunft: lat. publicum = Gemeinwesen, Öffentlichkeit

Ein Publikum bezeichnet alle Rezipienten einer Mitteilung, also alle Leser, Hörer oder Zuschauer, die die → Öffentlichkeit eines Ereignisses oder Vorgangs, eines Themas oder einer Meinung herstellen. Dabei ist es im Prinzip unerheblich, wie viele → Rezipienten beteiligt sind, und auch das Ausmaß ihres Verstehens spielt keine grundsätzliche, sondern nur eine graduelle Rolle. Allerdings stellt man sich ein Publikum meistens kleiner und bestimmter vor als eine Gesellschaft.

Es gibt Präsenzpublika (Anwesende, die vom → Kommunikator wahrgenommen werden und die sich gegenseitig wahrnehmen können) und zeitlich und/oder räumlich verstreute Medienpublika. So können Speichermedien wie Schriften oder Bilder gleichzeitig und ungleichzeitig sehr viele Menschen erreichen, wenn diese sie aufsuchen (z. B. Inschriften oder Statuen) oder sie an verschiedenen Orten nutzen, falls sie gedruckt und vervielfältigt wurden (wie Bücher oder Zeitungen). Die flüchtigen Sendungen jüngerer Verbreitungsmedien (wie des Rundfunks) können dagegen nur gleichzeitig, aber ebenfalls an verschiedenen Orten empfangen werden, es sei denn, sie werden aufgezeichnet und wiederholt.

Publika können zwar dauerhafte und formale Beziehungen zu Medien eingehen (z. B. als Abonnenten), sind aber oft sehr heterogene und instabile Kollektive mit unterschiedlichen Rezeptionsmotiven, -präferenzen und -gewohnheiten, deren Anwesenheit oder Aufmerksamkeit außerdem wenig darüber verrät, wie sie die angebotenen → Inhalte verstehen und nutzen. So kann man zwischen potenziellen Publika (Medienbesitzern oder Interessierten), explorativen Publika (Neugierigen oder ‚Surfern‘), manifesten Publika (Anwesenden oder Aufmerksamen), engagierten Publika (Fans oder Kritikern) und distanzierten Publika (Beiläufigen oder Zerstreuten) unterscheiden, und diese muss man wiederum von Zielgruppen abgrenzen, also von Menschen mit ähnlichen soziodemografischen Merkmalen.

Publika von Online-Medien sind häufig produktive Publika, also nicht nur Rezipienten, sondern auch → Kommunikatoren, die die Medien dazu nutzen, eigene Mitteilungen zu machen oder die laufend ihre Rollen wechseln. Das war zwar schon telefonisch möglich, aber nur ‚one-to-one‘, während nun auch ‚one-to-many‘ und ‚many-to-many‘ kommuniziert werden kann.  In der Presse finden solche Rollenwechsel gewöhnlich nur in Form von Interviews oder Leserbriefen statt, während Hörfunk- und Fernsehpublika wiederum zu Mitwirkenden der Inszenierung werden können und dann (z.B. als Präsenzpublika) eine Doppelrolle spielen. Diese kann freilich auch nur vorgetäuscht werden, etwa durch fiktive Lacher in Comedy-Serien.

Als empirische Methoden der klassischen Publikumsforschung eignen sich besonders Leser-, Hörer- und Zuschauerbefragungen (Scholl 2018), aber auch offene oder verdeckte Beobachtungen von Rezeptionsverhalten (Gehrau 2017).  Online-Publika werden durch die Erfassung von Klicks und Responses ermittelt, die allerdings meistens keine zuverlässigen Rückschlüsse auf ihre Identität erlauben.

Literatur:

Altmeppen, Klaus-Dieter; Christoph Bieber; Alexander Filipović; Jessica Heesen; Christoph Neuberger; Ulrike Röttger; Stefan Stieglitz; Tanja Thomas: Öffentlichkeit, Verantwortung und Gemeinwohl im digitalen Zeitalter. Zur Erforschung ethischer Aspekte des Medien- und Öffentlichkeitswandels. In: Publizistik, 64, 2019, S. 59-77.

Bauer, Raymond A.: Das widerspenstige Publikum. In: Prokop, Dieter (Hrsg.): Massenkommunikationsforschung, Bd. 2: Konsumtion. Frankfurt am Main/Köln [Fischer TBV] 1973, S. 152-166.

Bonfadelli, Heinz: Medienwirkungsforschung. 6. Auflage, Konstanz [UVK] 2017.

Gehrau, Volker: Die Beobachtung als Methode der Kommunikations- und Medienwissenschaft. 2. Auflage, Konstanz [UVK] 2017.

Imhof, Kurt; Roger Blum; Heinz Bonfadelli; Otfried Jarren; Vinzenz Wyss (Hrsg.): Demokratisierung durch Social Media? Wiesbaden [Springer VS] 2015.

Maletzke, Gerhard: Psychologie der Massenkommunikation. Hamburg [Verl. Hans Bredow-Institut] 1978.

Scholl, Armin: Die Befragung. 4. Auflage. Konstanz [UVK] 2018.

Teichert, Will: Dem Publikum auf der Spur. In: Bertelsmann Briefe, 87, 1976, S. 3-12.

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Joachim Westerbarkey
*1943, Prof. Dr., war bis 2009 Hochschullehrer an der Westfälischen Wilhelms-Uni­versität Münster. Er lehrte in Münster, Dortmund und Düsseldorf Kommunikationswissenschaft. Arbeitsschwerpunkte: Kommunikations- und Medientheorien, Public Relations, Diskursanalyse, Filmanalyse. Kontakt: jom.westerbarkey (at) web.de