Redaktionsschwanz

7873

Redaktionen sind verpflichtet, eine formal korrekte → Gegendarstellung von Lesern zuzulassen und abzudrucken, wenn diese von der Berichterstattung betroffen sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tatsachen, die Leser in ihrer Sicht der Dinge behaupten, wahr sind oder nicht. Die Redaktion kann allerdings, einleitend oder unmittelbar nach der Gegendarstellung, noch einmal selbst Stellung beziehen. Diese Anmerkungen heißen Redaktionsschwanz.

Sie dürfen sich in der Regel nur auf die schon vorliegenden Tatsa­chen­behauptungen bezie­hen und müssen frei von Mei­nun­gen oder Werturteilen bleiben. Redaktionen weisen deshalb, wenn sie die Darstel­lung der Betroffenen bezweifeln, im Redaktions­schwanz gern darauf hin, dass sie ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt nach dem Landespres­se­gesetz zum Abdruck verpflich­tet sind. Natürlich können sie im Redaktionsschwanz die Darstellung der Leser aber auch für richtig erkennen und Selbstkritik üben.

Aufsehen erregte 1994 ein Verbot des Redaktionsschwanzes durch die SPD-Mehrheit im saarländischen Landtag. Die neue Regelung im saarländischen Presserecht („Lex Lafontaine“) sah unter anderem vor, jegliche Kommentierung von Gegendarstellungen bei deren Veröffentlichung unabhängig vom Wahrheitsgehalt zu verbieten. Anmerkungen der Redaktion durften erst in einer späteren Ausgabe gedruckt werden und hatten sich auf „tatsächliche“ Angaben zu beschränken. Journalisten und Juristen werteten dies bundesweit als Versuch des saarländischen Regierungschefs, „sich an der Journaille für ihre Enthüllungen [zu] rächen und kritischen Medien per Gesetz einen engmaschigen Maulkorb [zu] verpassen“ (Spiegel 1994: 34). Oskar Lafontaine hatte Anfang der 90er Jahre wegen einer Pensionsaffäre und einer Rotlichtaffäre (vgl. ebd.) in der öffentlichen Kritik gestanden und in diesem Zusammenhang von „Schweinejournalismus“ (ebd.: 37) gesprochen. Der Passus im Pressegesetz wurde nach der Niederlage der SPD bei den Landtagswahlen 1999 wieder verändert.

Anmer­kungen der Redaktion zu einem einfachen Leserbrief nennt man ebenfalls Redaktionsschwanz.

Literatur:

Der Spiegel: Letztes Wort für Lügner. Oskar Lafontaine will im Saarland das Presserecht verschärfen – trotz heftiger Kritik von allen Seiten. In: Der Spiegel, 17, 1994, S. 34-38.
(Der Artikel ist hier abrufbar.)

Vorheriger ArtikelEnte
Nächster ArtikelModeration
*1950, Prof. Dr., ist apl. Professor i. R. für Journalistik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Kulturjournalismus, Pressejournalismus, Journalismusforschung, Sprache und Stil der Massenmedien. Kontakt: gunter.reus (at) ijk.hmtm-hannover.de Gunter Reus hat Einführungsbeiträge zum → journalistischen Jargon sowie zu → Sprache und Stil im Journalismus geschrieben.