Selbstkontrolle

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Definition:
Der Begriff wird meist verstanden als freiwillige Selbstkontrolle, die speziell im Bereich der Medien den (undemokratischen) Modellen der Regulierung und Kontrolle durch den Staat oder andere hoheitliche Einrichtungen vorbeugen soll. Daher ist er als Gegensatz von Fremd-Kontrolle anzusehen.

Die Minimalform der Selbstkontrolle im Sinne einer Selbstregulierung gesellschaftlichen Handelns besteht darin, dass die Akteure einer Branche sich auf die Ziele ihres Handelns verständigen und sich selbst verpflichten, ihre Ziele auf der Grundlage einer allgemeinen Moral zu erreichen. Oft werden diese Verfahrensregeln in ethischen Prinzipien und Richtlinien wie dem Pressekodex fixiert. Sie schließen die allgemeinen Rechtspflichten – denen die Branchenangehörigen wie jeder andere Bürger auch unterliegen – ein, spezifizieren sie jedoch auf eine Standesethik mit verbindlichem Charakter. Diese ist bei weitem umfassender und detaillierter angelegt als die allgemeinen Gesetze. Besonders bei publizistischen Berufen wird so (neben der Abwehr fremder Kontrolle) vor allem das Ansehen der Akteure gewahrt, die in einer demokratisch verfassten Gesellschaft großen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung besitzen und dafür eine Reihe von Privilegien in Anspruch nehmen können (siehe u. a. die Ausführungen zum → Medienrecht).

Geschichte:
Erste Ansätze einer Selbstkontrolle für die Medien liegen mehr als hundert Jahre zurück. Zunächst gingen alle Überlegungen dahin, die Selbstkontrolle der Presse auf gesetzlicher Basis zu etablieren. So wurde im Reichspressegesetz von 1874 erstmals der Begriff des ‘verantwortlichen Redakteurs’ geprägt, womit der Staat der Presse zugleich eine selbst kontrollierende Tätigkeit zugestand.

Es folgten verschiedene Versuche, Standesgerichtsbarkeiten für Journalisten – vergleichbar derjenigen von Ärzten und Rechtsanwälten – zu schaffen. Der Reichsverband der Presse, die damalige Standesorganisation der Journalisten, entwickelte 1924 den ersten Vorschlag, eine Selbstkontrolle auf gesetzlicher Grundlage einzurichten. An jedem Oberlandesgericht sollten Pressekammern – unter dem Vorsitz eines Richters und in gleichberechtigter Zusammensetzung von Journalisten und Verlegern – angesiedelt werden. Bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts hielt die Diskussion um eine Standesgerichtsbarkeit für die Presse an. Noch im April 1933 legte der Reichsverband der deutschen Presse den Entwurf eines Pressegesetzes vor, in dem die Journalisten ihre Selbstverwaltung festzuschreiben versuchten. Doch nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus tauchte der Begriff ‘Selbstkontrolle’ im Schriftleitergesetz vom Oktober 1933 nur noch als Leerformel auf.

Nach 1945 herrschte vor allem in den drei westlichen Besatzungszonen Einigkeit darüber, dass Organe der Selbstkontrolle für die Presse geschaffen werden müssten. In einzelnen Bundesländern schufen die Landespressegesetze ab 1948/49 eine neue rechtliche Basis: Verleger, Journalisten und regionale Verbände verfassten Ehrengerichtsordnungen zur Durchsetzung ihres Berufsethos. Den unmittelbaren Anstoß für die Gründung des Deutschen Presserats lieferte schließlich der Entwurf zu einem Bundespressegesetz, den die Regierung im März 1952 vorlegte. Vergleichbar der bereits 1949 gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) sah der Entwurf die Einrichtung von Aufsichtsinstanzen auf Landes- und Bundesebene sowie eine Beteiligung der → Öffentlichkeit an der publizistischen Selbstkontrolle vor. Darauf reagierten Verleger und Journalisten mit heftiger Kritik und gründeten – nach dem Vorbild des britischen Presserats General Council of the Press – im November 1956 den Deutschen Presserat.

Gegenwärtiger Zustand:
Bereits im historischen Überblick wird deutlich, dass die Abgrenzung der freiwilligen Selbstkontrolle von staatlichen regulierten Formen der Selbstregulierung bis heute konfliktträchtig ist. So unterliegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, deren (Selbst-)Kontrollorgane nach parteipolitischen und so genannten korporatistischen Kriterien (durch die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen) von den Parlamenten beschickt werden, von Beginn an einer heftigen Kritik. Weil es nach den Erfahrungen unter der nationalsozialistischen Herrschaft im deutschen Journalismus keinen Standeszwang gibt, kann andererseits die Selbstkontrolle, wie sie etwa im Presserat organisiert ist, bspw. keine standesrechtlichen Sanktionen aussprechen und wird darum regelmäßig der Wirkungslosigkeit bezichtigt.

Aus den gleichen historischen Erwägungen ist jedoch auch eine Selbstkontrolle mit „staatlicher Regulierung ‘im Hintergrund’“ (Hoffmann-Riem/Schulz/Held 2000: xy), wie sie etwa im Jugend-, Daten- und Verbraucherschutz bekannt ist, nur schwer realisierbar. Die Selbstkontrolle hat also dauerhaft mit Problemen der Legitimation und der Durchsetzbarkeit ihrer Normen zu ringen. Zudem gerät sie schließlich auch aufgrund ihrer mangelnden Transparenz in die Kritik: Denn angesichts der wachsenden Macht der Medien in einer medialisierten Gesellschaft „fällt die Ohnmacht der Selbstkontrolle besonders auf“ (Pöttker 2005: 40). Gefordert wird deshalb eine Demokratisierung der Selbstkontrolle, die vom engen Begriff der Lobbyvertretung auf einen weit gefassten Begriff der gesellschaftlich transparenten Selbstregulierung umschwenkt.

Forschungsstand:
Mit der Kritik an den bestehenden, sehr unterschiedlichen Formen der Selbstkontrolle wächst seit einigen Jahren auch die Zahl der wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit ihr auseinandersetzen. Neben einer Vielzahl staats- und medienrechtlich orientierter Studien, die entweder den standesrechtlichen Aspekt oder einzelne ethische Problembereiche hervorheben, befassen sich nun auch gesellschaftstheoretische Erörterungen zunehmend mit der Frage, welche Rolle die Selbstkontrolle in einer Gesellschaft spielen kann, die durch eine → Ökonomisierung und Globalisierung der Medien bestimmt wird.

Literatur:

Baum, Achim: Lernprozess und Interessenkonflikt. Die freiwillige Selbstkontrolle der Presse dient der ganzen Gesellschaft. In: Baum, Achim; Wolfgang R. Langenbucher; Horst Pöttker; Christian Schicha (Hrsg.): Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2005, S. 117-129

Hoffmann-Riem, Wolfgang; Wolfgang Schulz; Thorsten Held (Hrsg.): Konvergenz und Regulierung. Optionen für rechtliche Regelungen und Aufsichtsstrukturen im Bereich Information, Kommunikation und Medien. Baden-Baden [Nomos] 2000

Löffler, Martin; Reinhart Ricker: Handbuch des Presserechts. 4. Auflage. München [C.H. Beck] 2000

Pöttker, Horst: Publizistische Selbstkontrolle im Wandel. Über zivilgesellschaftliche Notwendigkeit und mediengesellschaftliche Irrwege. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik, 1, 2005, S. 40-48

Suhr, Oliver: Europäische Presse-Selbstkontrolle. Baden-Baden [Nomos] 1998

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*1957, Prof. Dr., lehrt und forscht im Bereich Kommunikationsmanagement und Public Relations an der Hochschule Osnabrück. Arbeitsschwerpunkte: Journalistik, Medienethik, interne Kommunikation, PR sowie Gesundheitskommunikation. Kontakt: a.baum (at) hs-osnabrueck.de