Umweltjournalismus

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Wortherkunft: Lehnübersetzung aus dem Dänischen (dän. omverden = umgebendes Land, umgebende Welt). In seiner heutigen Bedeutung im Deutschen prägte den Begriff der Zoologe, Verhaltensforscher und Philosoph Jakob Johann von Uexküll (1864–1944) zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Meichsner 2014).

Definition:
Im biologischen Verständnis meint Umwelt die „auf ein Lebewesen einwirkende, seine Lebensbedingungen beeinflussende Umgebung“ (Duden 2020). Umweltjournalismus entsteht in den 1970er Jahren und ist bis in die 2000er Jahre fokussiert auf die Zerstörung der Umwelt einerseits und deren Schutz andererseits. In diesen Jahrzehnten hat sich der Umweltjournalismus ausdifferenziert in Berichterstattung über Natur, Umweltpolitik und Umweltökonomie, Umweltwissenschaftsjournalismus, technischen und Lebensstil-Umweltjournalismus (Schwägerl 2011).

Geschichte:
Autoren und Wissenschaftler wie Paul Ehrlich können rückblickend als die Wegbereiter des Umweltjournalismus bezeichnet werden. Unter dem Titel „Wir sind dabei, den Planeten Erde zu ermorden“ schildert Ehrlich in seinem „utopischen Bericht“ im SPIEGEL 1969 die „Umwelt-Verseuchung bis zum Jahre 1980“ (Ehrlich 1969: 193). Zentral sind für Ehrlich die „Öko-Katastrophen“ in den Ozeanen, verursacht von Tankerunfällen, den im Zweiten Weltkrieg versenkten Giftgasdepots (v. a. DDT) und deren verheerendem Einfluss auf die Nahrungsketten. Als erster professioneller Umweltjournalist gilt Horst Stern, der in den 1970er Jahren bekannt wurde durch seine Fernsehsendung Sterns Stunden, in der er häufig auf Tierquälerei aufmerksam machte (Kriener 2019).

In Deutschland setzte der Prozess des ökologischen Wertewandels Ende der 1970er Jahre mit der Anti-AKW-Bewegung ein. Auslöser waren Störfälle und (Fast-)Katastrophen in der Chemieindustrie (Seveso, Italien, 1976 und Bhopal, Indien, 1984), der Reaktorbrand in Tschernobyl (1986), Robben- und Waldsterben, Tankerunglücke und Fischwürmer (Dernbach 2000: 21-22). Zwar bearbeiteten die etablierten Medien das neue Themenfeld; aber ihnen wurde vorgeworfen, sich zu sehr an politischen Eliten und zu wenig an den Protestbewegungen zu orientieren, weshalb sich alternative Medien gründeten: allen voran 1979 die Tageszeitung taz (Thorbrietz 1986). Der Idealtypus des Umwelt(fach)journalisten benötigt in erster Linie ‚Schnittstellenkompetenz‘, das heißt die Fähigkeit, sich nicht nur in ‚Umweltsachverhalte‘, sondern auch in angrenzende Themenbereiche wie Ernährung und Mobilität einzuarbeiten (Lennartz 2012: 27). Diese Querschnittsqualität hat dazu geführt, dass sich das Thema – bis auf wenige Ausnahmen – nicht in einem eigenständigen Medienressort etabliert hat.

Gegenwärtiger Zustand:
Die vergangenen Jahrzehnte des Umweltjournalismus lassen sich in einigen wesentlichen Aspekten zusammenfassen:

  • Er war (und ist bisweilen immer noch) stark auf Katastrophen fokussiert (Gindl 2019).
  • Er hat sich in allen (Publikums-)Medien etabliert und erfüllt neben der Informations- zunehmend eine Ratgeberfunktion für eine ökologische Lebensweise (DFJV).
  • Umweltjournalismus hat sich ausdifferenziert in Berichterstattung über Klimawandel, erneuerbare Energiequellen, ökologische Landwirtschaft, Elektromobilität und viele andere Aspekte (Dernbach 2015). Diese Komplexität des Themenfeldes spiegelt sich in einem neuen Begriff wider: dem der Nachhaltigkeit. Nicht nur die Zahl (digitaler) Medienformate ist gestiegen, sondern auch die der publizistischen Akteure (Schäfer 2019a). Gerd Michelsen unterscheidet Umwelt- und Nachhaltigkeitsjournalismus: Ersterer „ist eher darauf spezialisiert, ökologische Zusammenhänge“, deren Bedeutung und mögliche Lösungen aufzuzeigen; der zweite „bettet Phänomene dagegen eher in ihren Zusammenhang ein“ und „reflektiert auch die sozialen, ökonomischen, kulturellen Folgen und Wechselwirkungen“, zeigt „Gestaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten“ auf (Schäfer/Humburg 2013).

Forschungsstand:
Die Entwicklung der Forschung ist parallel zu den Phasen des praktischen Umweltjournalismus beschreibbar: Ab den 1980er Jahren beschäftigten sich einige wenige Kommunikations- und Medienwissenschaftler mit diesem neuen Themenfeld (Gottschlich 1985; Krämer 1986); deren Fokus lag sehr stark auf einer eher generalistischen Betrachtungsweise des Zusammenhangs von Medien, Ökologie und gesellschaftlicher Entwicklung. Ende der 1990er bis Mitte der 2000er Jahre kam es zu einem ersten Höhepunkt an Studien und Publikationen, in deren Zentrum neben einigen Stärken des (lokalen) Umweltjournalismus vor allem die Analyse seiner Schwächen (die Komplexität des Themas benötigt viel Recherchezeit, die Journalisten häufig nicht haben) stand (Dernbach/Heuer 2000; Braun 2003). In den vergangenen Jahren hat sich auch die Forschung angesichts der Etablierung des Dachbegriffs der Nachhaltigkeit einerseits erweitert (Dernbach 2015; Michelsen/Fischer 2016; Schäfer 2019b), andererseits in einzelne zentrale Aspekte wie Klimawandel und Artenschutz differenziert. Ganz aktuell beschäftigen sich vor allem die praxisorientierten Journalismusforscher mit den Trends der Narration/Storytelling und des konstruktiven Journalismus in der Umwelt- und Nachhaltigkeitsberichterstattung (Schäfer 2018).

Literatur:

Braun, Marie-Luise: Umweltkommunikation im Lokalteil von Tageszeitungen. Frankfurt a. M. [Peter Lang] 2003.

Dernbach, Beatrice: Analyse: „Den Zwischendrin-Umweltjournalismus gibt es nicht“. In: Grüner Journalismus, 03.01.2015. https://gruener-journalismus.de/zwischendrin-umweltjournalismus-gibt-es-nicht/  [08.06.2020]

Dernbach, Beatrice: Das Thema Umwelt in der lokalen Publizistik. Zur Vermittlung ökologischer Sachverhalte in Theorie und Praxis. In: Dernbach, Beatrice; Harald Heuer (Hrsg.): Umweltberichterstattung im Lokalen. Wiesbaden [Springer VS] 2000, S. 20-40.

Deutscher Fachjournalistenverband (DFJV): Portrait Umweltjournalismus. https://www.dfjv.de/ressorts/umweltjournalismus/portrait [08.06.2020]

Duden: Umwelt. https://www.duden.de/rechtschreibung/Umwelt [13.07.2020]

Ehrlich, Paul: „Wir sind dabei, den Planeten Erde zu ermorden.“ In: Der Spiegel 48, 1969, S. 193-201. https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/45317961 [8.6.2020]

Gindl, Rafael: Umweltjournalismus ist nicht zwingend Katastrophenjournalismus. In: Der Standard, 06.04.2019. https://www.derstandard.de/story/2000100619750/umweltjournalismus-ist-nicht-zwingend-katastrophenjournalismus [08.06.2020]

Gottschlich, Maximilian: Ökologie und Medien. Ein Neuansatz zur Überprüfung der Thematisierungsfunktion der Medien. In: Publizistik, 2-3, 1985, S. 314-329.

Krämer, Annett: Ökologie und politische Öffentlichkeit. Zum Verhältnis von Massenmedien und Umweltproblematik. München [tuduv Verlagsgesellschaft] 1986.

Kriener, Manfred: Zum Tod von Horst Stern: Der erste Umweltjournalist. In: taz, 22.01.2019, https://taz.de/Zum-Tod-von-Horst-Stern/!5567765/ [08.06.2020]

Lennartz, Marc Wilhelm: Umweltjournalismus. Wachsam und kritisch in komplexem Umfeld. In: Fachjournalist 2, 2012, S. 26-30. https://www.fachjournalist.de/PDF-Dateien/2012/05/FJ_2_2012-Umweltjournalismus.pdf [08.06.2020]

Meichsner, Irene: Jakob Johann Baron von Uexküll. Wegbereiter der Ökologie. In: Deutschlandfunk, 08.09.2014. https://www.deutschlandfunk.de/jakob-johann-baron-von-uexkuell-wegbereiter-der-oekologie.871.de.html?dram:article_id=296820 [15.06.2020]

Michelsen, Gerd; Daniel Fischer (Hrsg.): Nachhaltigkeit und Journalismus. Erkenntnisse und Impulse aus Wissenschaft und Praxis. Bad Homburg [Verlag für akademische Schriften] 2016.

Schäfer, Torsten: Geschichten als Chance. In: oekom e.V. (Hrsg.): Grüntöne. Die Medien und die Große Transformation. München [oekom verlag] 2018, S. 83-90.

Schäfer, Torsten: Wo steht der deutschsprachige Umwelt- und Klimajournalismus? Ein Überblick. In: Klimafakten.de, 16.09.2019a. https://www.klimafakten.de/meldung/wo-steht-der-deutschsprachige-umwelt-und-klimajournalismus-ein-ueberblick [08.06.2020]

Schäfer, Torsten: Journalismus. In: Kluwick, Ursula; Evi Zemanek (Hrsg.): Nachhaltigkeit interdisziplinär. Wien [Böhlau Verlag] 2019b, S. 379-395.

Schäfer, Torsten: Journalistenausbildung: Neue Wege in den Umweltjournalismus. In: Alumniportal Deutschland, 01.08.2013. https://www.alumniportal-deutschland.org/studium-weiterbildung/studium-ausbildung/journalistenausbildung-nachhaltigkeit-umweltjournalismus/ [08.06.2020]

Schäfer, Torsten; Anja Humburg: Neue Wege im Umweltjournalismus. Es geht um Mitgestaltung. In: natur.de, 26.02.2013. https://www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/es-geht-um-mitgestaltung/ [08.06.2020]

Schwägerl, Christian: Umweltjournalismus. In: Deutsches Journalistenkolleg. Berlin [DFJV] 2011.https://www.journalistenkolleg.de/c/document_library/get_file?uuid=528f9e62-11e8-41bd-9477-bb489d42f926&groupId=10157. [08.06.2020]

Thorbrietz, Petra: Vernetztes Denken im Journalismus. Journalistische Vermittlungsdefizite am Beispiel Ökologie und Umweltschutz. Dissertation. Tübingen [Niemeyer] 1989.

Wissen.de: Umwelt. https://www.wissen.de/wortherkunft/umwelt [15.06.2020]

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Beatrice Dernbach
*1964, Prof. Dr., lehrt und forscht seit März 2014 an der Technischen Hochschule Nürnberg im Studiengang Technikjournalismus/Technik-PR. Arbeitsschwerpunkte: Fachjournalismus, Wissenschaftskommunikation, Nachhaltigkeit und Ökologie im Journalismus, Narration im und Vertrauen in Journalismus. Kontakt: beatrice.dernbach (at) th-nuernberg.de Zu Nachrichtenfaktoren im Journalismus hat Beatrice Dernbach einen → Einführungsbeitrag geschrieben.