Wahrhaftigkeit

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Wortherkunft: Substantivierung des Adjektivs ‘wahrhaftig’, hergeleitet aus dem mittelhochdeutschen ‘wārhaftic’

Der Begriff umfasst die Neigung oder Gewohnheit, nach Wahrheit zu streben. Als journalistisches Qualitätskriterium ist Wahrhaftigkeit eng verwandt mit der → Richtigkeit. Im Unterschied zu dieser zielt sie jedoch nicht auf die objektiv korrekte Wiedergabe eines Sachverhaltes ab, sondern meint vor allem subjektive Ehrlichkeit des Journalisten in der Berichterstattung und im Umgang mit Einschränkungen der Objektivität.

Die Qualitätsdimension Wahrhaftigkeit trägt damit der Tatsache Rechnung, dass Journalisten objektive Richtigkeit oder gar Wahrheit aufgrund erkenntnistheoretischer oder praktischer Einschränkungen ebenso wenig erreichen können wie → Vollständigkeit. So ist erkenntnistheoretisch die Einsicht verbreitet, dass in arbeitsteilig organisierten, heterogenen modernen Gesellschaften kein privilegierter Standpunkt und keine unzweifelhaft anerkannte Autorität existieren, die verbindlich entscheiden könnte, wann ein Sachverhalt objektiv richtig ist. Vor allem den Arbeitsbedingungen des Journalismus geschuldet sind dagegen praktische Einschränkungen wie der Druck, einmal recherchierte Informationen möglichst schnell zu veröffentlichen, oder die Notwendigkeit bei der Recherche auf Quellen zu vertrauen, die ihrerseits durch die Journalisten nicht oder nicht hinreichend hinterfragt werden können.

Ausdruck von subjektiver Wahrhaftigkeit ist vor diesem Hintergrund, dass Journalisten sämtliche Beeinträchtigungen der Wahrheit klar deklarieren. Geeignete Maßnahmen, um dies zu erreichen, sind beispielsweise die Nennung sämtlicher Quellen und etwaiger Abweichungen zwischen diesen, sprachliche Distanz zum Informationsgehalt von Nachrichten wie die Verwendung des Konjunktivs oder klar gekennzeichneter Zitate, aber auch die Veröffentlichung redaktioneller Leitlinien oder die Einrichtung von Korrekturspalten, in denen die Redaktion regelmäßig eigene Fehler richtigstellt.

All diese Mittel zielen letztlich darauf ab, die Transparenz für das Publikum zu erhöhen und diesem dadurch eine Einsicht in die Unvollkommenheit der Arbeit einzelner Journalisten und ganzer Redaktionen sowie der daraus resultierenden journalistischen Kommunikation zu vermitteln.

Literatur:

Kurz, Josef; Daniel Müller; Joachim Pötschke, Horst Pöttker; Martin Gehr: Stilistik für Journalisten. 2. Auflage. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2010

McQuail, Denis: Media Performance. Mass Communication and the Public Interest. London [Sage] 1992

Rager, Günther: Dimensionen der Qualität. Weg aus den allseitig offenen Richterskalen? In: Bentele, Günter; Kurt R. Hesse (Hrsg.): Publizistik in der Gesellschaft. Festschrift für Manfred Rühl. Konstanz [UVK] 1994, S. 189-209

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*1976, Dr., hat an der Technischen Universität Dortmund zum Thema Qualität im Journalismus promoviert. Er arbeitet als Kommunikationsberater in Köln. Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte: Qualität im Journalismus, Verhältnis von Journalismus und PR. Kontakt: post (at) handundstein.de Holger Handstein hat einen Einführungsbeitrag zum Thema → Qualität im Journalismus geschrieben.