Autorisierung

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Als ‚Autorisieren‘ wird die Praxis bezeichnet, Zitate oder ganze → Interviews vor einer Veröffentlichung mit den jeweiligen Gesprächspartnern abzustimmen. Man spricht auch davon, dass Zitate bzw. Interviews ‚freigegeben‘ werden. Dabei kann es zu Veränderungen des vorgelegten → Textes und der ursprünglichen Äußerungen kommen. Das Autorisieren und die Freigabe von Interviews und Zitaten sind gesetzlich nicht vorgeschrieben, in Deutschland aber im textorientierten Journalismus (in Print- und Onlinemedien) weit verbreitet. Es gibt Länder, in denen Interviews in der Regel nicht autorisiert werden. So ist diese Praxis beispielsweise in den USA weniger bekannt. In Deutschland kommt es beim Autorisieren zwischen den Redaktionen auf der einen Seite und den Interviewten bzw. deren Pressestäben auf der anderen Seite immer wieder zu komplizierten Verhandlungen und größeren Konflikten. Seit vielen Jahren wird daher über die Vor- und Nachteile des Autorisierens diskutiert.

Live-Interviews im Rundfunk und im Internet erlauben keine Bearbeitung und können allenfalls für einen späteren Abruf noch geschnitten und verändert werden. Wenn Interviews jedoch in Schriftform veröffentlicht werden, bietet dies den Journalistinnen und Journalisten Spielräume, das Gesagte nicht nur sprachlich zu glätten. Das unbearbeitete gesprochene Wort erscheint oft wenig attraktiv, durch die redaktionelle Bearbeitung können Interviews lesbarer werden. Typisch sind beispielsweise Eingriffe in die Wortwahl des Interviewpartners und in die Abfolge des Gesagten. Das inhaltliche Pointieren von Äußerungen und das Herausarbeiten einer Gesprächsdynamik werden so ebenfalls möglich. Der Spiegel hat diese Möglichkeiten in Deutschland früh genutzt; seine lebendigen Interviews und Gespräche avancierten in der jungen Bundesrepublik zu einer publizistischen Größe.

Beim Autorisieren allerdings darf auch der Gesprächspartner den Text verändern. So kann die interviewte Person zum einen kontrollieren, ob die Eingriffe der Redaktion auch in ihrem Sinne sind, und verhindern, dass ihr etwas Unpassendes oder Falsches in den Mund gelegt wird. Zum anderen kann sie nun selbst versuchen, das verschriftlichte Gespräch im eigenen Interesse zu verbessern, heikle Passagen zu entschärfen, anderes zuzuspitzen und für die eigenen Absichten geeignetere Formulierungen oder Ergänzungen zu finden.

Manchmal greifen die Interviewten oder deren Pressestäbe so stark in die Textfassung ein, dass kaum noch ein Satz wie vorgelegt übrigbleibt. Damit entfernt sich das autorisierte Interview immer weiter von dem ursprünglichen Wortlaut. Selbstbewusste → Redaktionen lassen sich das nicht gefallen und akzeptieren vor allem inhaltlich gravierende Änderungen nicht. Allerdings wirkt dieses Beharren auf der eigenen Version nur glaubwürdig, wenn diese tatsächlich dem Gesagten entspricht oder sehr nahekommt und die Redaktion also ihrerseits nicht allzu freihändig den Text gestaltet hat.

Eine Autorisierung ist in Deutschland üblich, aber nicht vorgeschrieben. Im Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es in Richtlinie 2.4.: „Ein Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das Gesagte richtig wiedergibt.“ (Presserat 2019: 3)

Für den Umgang mit Gesprächspartnern im Journalismus gelten Klarheit und Verlässlichkeit als professionelle und ethische Gebote, die Regeln für ein Interview werden daher sinnvollerweise vor dem Gespräch festgelegt. So heißt es in den redaktionellen Standards des Magazins Der Spiegel: „Es gehört zu redlichem Verhalten gegenüber Gesprächspartnern, den Umgang mit ihren Zitaten im Voraus zu klären und uns an Vereinbarungen zu halten.“ (Der Spiegel 2020: 16)

Ist von der interviewten Person eine Autorisierung verlangt bzw. ihr zugesagt worden, sind Medien daran gebunden. Im Falle eines unüberwindbaren Konflikts im Zuge der Autorisierung kann es passieren, dass der Interviewte die Freigabe nicht erteilt und das Interview zurückzieht. Würde es dennoch veröffentlicht werden, könnte dies eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte bedeuten. Nur bei einem überragenden öffentlichen Interesse am Inhalt kann es unter Umständen sowohl legitim als auch legal sein, trotz vereinbarter und dann verweigerter Autorisierung bestimmte Äußerungen zu veröffentlichen.

Es kommt auch vor, dass sich eine Redaktion nach einem unergiebigen Interview oder nach einer gescheiterten Autorisierung gegen die Veröffentlichung entscheidet. Das ist ihr gutes Recht. Gelegentlich wird ein solcher Verzicht öffentlichkeitswirksam inszeniert, indem beispielsweise nur die Fragen veröffentlicht und die Antworten geschwärzt wiedergegeben werden.

So hatte die taz im Jahr 2003 mit einem geschwärzten Interview des damaligen SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz Aufsehen erregt. Zehn Jahre später wiederholte die taz eine solche Aktion bei einem Interview mit dem damaligen Vizekanzler und FDP-Chef Philipp Rösler. In diesem Fall hatte der Politiker einen Rückzieher gemacht und das Interview nicht zum Abdruck freigegeben. Im Jahr 2019 kam es zu einer ähnlichen Situation innerhalb der Medienbranche: Der Journalist Gabor Steingart hatte dem DJV-Magazin journalist ein Interview gegeben, es dann aber zurückgezogen, nachdem die Redaktion seine Eingriffe nicht akzeptieren wollte.

Doch nicht nur komplette Interviews können Grundlage für Unstimmigkeiten zwischen Fragenden und Befragten werden. Selbst bei einzelnen Zitaten sichern sich viele Redaktionen ab, und auch Gesprächspartner aus Politik und Wirtschaft bestehen ihrerseits oft darauf, ihre Zitate aus einem Gespräch mit Journalisten autorisieren zu können. Das Autorisieren der Zitate erfolgt beispielsweise nach einem längeren Telefonat oder Treffen. Häufig werden Zitate von professionellen Kommunikatoren, wie Politikerinnen und Politikern, auch schriftlich erbeten und den Redaktionen dann zugeschickt.

Was in der Öffentlichkeit, beispielsweise bei einer Veranstaltung, gesagt wird, braucht dagegen nicht vorgelegt zu werden – und sollte es auch nicht. Mit Blick auf die Autonomie des Journalismus, die Abwehr von Zensur sowie das Ausüben einer Kritik- und Kontrollfunktion müssen Journalistinnen und Journalisten aufpassen, die Hoheit über ihre Beiträge zu behalten. So ist es zwar beim Autorisieren von Interviews üblich, die Fragen mitzuschicken, Eingriffe in deren Wortlaut werden jedoch nicht hingenommen. Zudem ist es Sache der Redaktion, welche Überschriften, welchen Vorspann und welche Bildzeilen sie wählt. In der Regel werden diese beim Autorisieren nicht vorgelegt. Die Redaktion darf das Gesagte freilich auch in der Überschrift nicht verfälschen.

Journalistinnen und Journalisten, die auf ihre Autonomie pochen und Wert auf eine authentische Sprache legen, wehren sich gegen überzogene Autorisierungsansprüche. Vor allem für → Porträts und → Reportagen kann es wichtig sein, rechtzeitig Klarheit darüber zu erlangen und die Bedingungen festzulegen. Aber auch in → Recherchegesprächen ist es nötig, explizit zu vereinbaren, ob das Gesagte → ‚unter drei‘ und damit als reine Hintergrundinformation behandelt wird oder ob Teile davon später veröffentlicht werden und dafür eine Autorisierung erwartet wird. Kennen sich die Gesprächspartner bereits und existiert, trotz professioneller Distanz, eine Vertrauensbasis, verzichten sie unter Umständen auf das umständliche Abstimmen und Freigeben von Zitaten.

Bei Menschen ohne Erfahrungen im Umgang mit Medien können zwei Extreme vorkommen: Die einen verlangen keine Autorisierung, kennen diese Praxis auch gar nicht, sind dann aber möglicherweise überrascht oder fühlen sich überrumpelt und ausgenutzt, wenn sie später lesen, dass tatsächlich das Gesagte so veröffentlicht worden ist. Unter Umständen fühlen sie sich in ihren Äußerungen auch schlecht oder falsch dargestellt. Andere hingegen glauben, sie hätten ein Anrecht darauf, ganze Artikel vor der Veröffentlichung vorgelegt zu bekommen und abzusegnen. Um Ärger und Missverständnisse zu vermeiden, sind → Journalistinnen und Journalisten gut beraten, ihr Vorgehen zu erklären und dabei sowohl professionelle Grenzen zu setzen als auch Fairness zu üben. Ganze Manuskripte sollten sie in der Regel nicht vorlegen. Um den Kontext zu verstehen, kann es nötig sein, einen oder zwei Sätze vor und nach einem Zitat, das autorisiert werden soll, mitzuschicken oder dem Gesprächspartner vorzulesen.

Literatur:

Der Spiegel: Die Spiegel-Standards. Hamburg 2020, https://www.spiegel.de/backstage/nach-diesen-standards-arbeitet-der-spiegel-a-d80c52f5-fa6e-4463-a8de-513f15fcb29b [10.10.2021]

Deutscher Journalistenverband (DJV): Leitlinien für Interview-Autorisierung. Berlin 2017. https://www.djv.de/fileadmin/user_upload/Der_DJV/DJV_Infobrosch%C3%BCren/DJV_Wissen_16_Interviewautorisierung.pdf [10.10.2021]

Haller, Michael: Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten. 5. Auflage. Konstanz [UVK] 2013.

Nowack, Sonja; Klaus Meier: Autorisierung von Interviews. Eine qualitative Studie zu einem weit verbreiteten Problem. In: Communicatio Socialis, 52 (2), 2019, S. 215-229.

Presserat: Publizistische Grundsätze (Pressekodex), 11.09.2019.

Waterstraat, Swantje: Die Autorisierung politischer Presseinterviews: Spielregel zwischen Politik und Presse. Saarbrücken [AV Akademikerverlag] 2012.

Wolff, Volker; Tanjev Schultz; Sabine Kieslich: Interview. In: Dies. (Hrsg.): Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus. Schreiben für Print und Online. 3. Auflage. Köln [Herbert von Halem] 2021, S. 109-134.

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Tanjev Schultz
*1974, Prof. Dr., ist Professor für Grundlagen und Strategien des Journalismus am Journalistischen Seminar / Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er studierte Publizistik/Journalismus, Philosophie, Psychologie, Politik- und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin, der Fern-Universität Hagen und der School of Journalism (School of Media) der Indiana University in Bloomington (USA) und hat an der Universität Bremen mit einer Arbeit über die Diskurstheorie von Jürgen Habermas und die Empirie politischer Talkshows promoviert. Mehr als zehn Jahre war er politischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Zu seinen derzeitigen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören Medienvertrauen und Medienethik, Verschwörungstheorien und journalistische Darstellungsformen. Er ist Mitherausgeber der „Journalistik“.