Eine Einführung von Gunter Reus
Wortherkunft: frz. jargon, von altfrz. gargun und galloroman. gargone = Gezwitscher; vgl. auch frz. gargouiller = plätschern, gluckern, gurgeln sowie frz. gorge = Gurgel, Kehle
Natürliche Sprachen bestehen aus unterschiedlichen regionalen oder sozialen Ausformungen. Solche Varietäten sind z. B. Dialekt, Standardsprache, Fachsprache oder Gruppensprache. Sie zeichnen sich aus durch grammatische, phonetische und lexikalische Eigenheiten. Unter dem Begriff Jargon versteht man eine sowohl fach- als auch gruppensprachliche Ausdrucksweise, die sich vor allem im Wortbestand von der Standardsprache unterscheidet und Außenstehenden als schwer verständliches ‘Kauderwelsch’ gilt. Kennzeichnend ist der hohe Anteil beruflich gebrauchter Begriffe, aber auch die soziale Abgrenzung nach außen durch Verschlüsselung der Lexik (häufig Metaphern).
Journalistischer Jargon ist in Jahrhunderten entstanden und eng mit Zeitung und Zeitungsproduktion verbunden. Seine fachsprachlichen Begriffe kennzeichnen Bestandteile und Besonderheiten des journalistischen Arbeitsprozesses. Da die Massenpresse seit dem 19. Jahrhundert zunehmend das Alltagsleben mitbestimmte, verloren manche dieser Termini ihre Fremdheit und gingen in die Alltagssprache über (zum Beispiel → Interview; Reporter; → Schlagzeile). Andere gewerbespezifische Begriffe bzw. Wortbedeutungen sind nur berufsintern im Umlauf und erschließen sich Laien nicht ohne Weiteres. Journalisten aber ermöglichen sie eine präzise und ökonomische Kommunikation. Dazu gehören zum Beispiel Vorspann, → Spiegel, → BU, Umbruch, verfietschern (anschaulich in der Art eines Features schreiben), CvD (Chef vom Dienst) oder kontern (ein Foto spiegelverkehrt abdrucken).
Eine Gutteil dieses Journalisten-Slangs besteht aus Sprachbildern. Diese wiederum entstammen vielfach gar nicht dem Journalismus, sondern gehen auf die Setzer- und Druckersprache zurück. Seit der Renaissance hat wohl kein Metier eine derartige Fülle an Fachbegriffen hervorgebracht wie das Druckgewerbe. Das lag zum einen an der Komplexität der Satz- und Druckverfahren. Es dürfte aber auch mit Standesdenken zu tun haben, denn die Angehörigen der ‘schwarzen Kunst’ empfanden sich lange als Gelehrte. Das Bedürfnis, sich mit einer Geheimsprache von anderen Handwerkern abzugrenzen, war ausgeprägt. Darauf verweisen nicht nur viele lateinische (vgl. Imprimatur, Versalie, Kolumne) oder französische (z. B. Vignette, Petit) Termini, sondern auch der große Bestand an metaphorischen Chiffren.
Journalisten arbeiteten jahrhundertelang beim Umbruch mit Setzern, Metteuren und Druckern zusammen. So lag es nahe, dass sie deren prägnante, zum Teil drastische Sprachbilder übernahmen. Dem Wortfeld ‘Mensch/Familie’ sind zum Beispiel → Hurenkind und → Schusterjunge zuzuordnen. Als ‘Jungfrau’ galt einst ein fehlerloser Satz, als ‘Witwe’ die nur aus einem Wort bestehende letzte Zeile eines Absatzes. ‘Mutter und Töchter’ stand für einen Hauptartikel mit Nebenartikeln. Zum Themenkreis ‘Tier und Natur’ gehören unter anderem die Ente und der Zwiebelfisch (Buchstabe aus falscher Schriftart). ‘Hasenöhrchen’ (heute: ‘Gänsefüßchen’) nannte man die Anführungszeichen, und ‘Bleiwüste’ hieß eine größere Fläche der Zeitungsseite ohne Gestaltungselemente. Mit ‘Ernährung’ haben der ‘Eierkuchen’ (heruntergefallener und dabei durcheinandergeratener Schriftsatz) oder ‘kochen’ (ein Thema im Gespräch halten) zu tun. Auf ‘Kampf und Tod’ verweisen ‘Durchschuss’ (Abstand zwischen den Zeilen), ‘Galgen’ (eine große Anzeige lässt am oberen und linken oder rechten Seitenrand nur noch wenig Platz für die Redaktion), ‘Grabsteine’ (mehrere gleich lange Meldungen nebeneinander) oder ‘Leichen’ (fehlende Wörter, Sätze oder Zeilen im gesetzten Text). Jüngeren Ursprungs sind Sprachbilder wie ‘abschießen’ (einen Menschen ohne dessen Erlaubnis fotografieren), ‘Briefmarke’ (extrem kleines Foto), ‘Flachmann’ (flacher mehrspaltiger Kasten) oder → Küchenzuruf.
Mit dem Wandel der Technik bzw. der Abkehr von gedruckten Zeitungen wandelt sich auch der Jargon der Journalisten. Viele Termini werden von englischen Begriffen verdrängt (z. B. ‘Proof’ statt ‘Fahne’, ‘bold’ statt ‘fett’, → Teaser statt → Anreißer) oder verschwinden im Online-Zeitalter ganz.
Literatur:
Brielmaier, Peter; Eberhard Wolf: Zeitungs- und Zeitschriftenlayout. Konstanz [UVK] 1997
Hendlmeier, Wolfgang (Hrsg.): Jägerlatein der Schwarzen Kunst. Bremen [Hanseatische Verlagsanstalt] 1990
Hiller, Helmut; Stephan Füssel: Wörterbuch des Buches: mit online-Aktualisierung. 7. Auflage. Frankfurt/M. [Vittorio Klostermann] 2006
Meissner, Michael: Zeitungsgestaltung. Typografie, Satz und Druck, Layout und Umbruch. 3. Auflage. Berlin [Econ] 2007
Rautenberg, Ursula (Hrsg.): Reclams Sachlexikon des Buches. Stuttgart [Reclam] 2003
Schneider, Wolf; Paul-Josef Raue: Handbuch des Journalismus. Reinbek [Rowohlt] 1996
Sonderhüsken, Hermann: Kleines Journalisten-Lexikon. Fachbegriffe und Berufsjargon. Konstanz [UVK] 1991
Wolf, Hans-Jürgen: Geschichte der Druckpressen. Frankfurt/M. [Interprint] 1974