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Theorien der Kommunikationswissenschaft

Eine Einführung von Michael Kunczik

Wortherkunft: griech. theôria = Betrachtung, Erkenntnis, Anschauung

Über den sozialwissenschaftlichen Theoriebegriff besteht in der Literatur keine Einigkeit. In Anlehnung an Hans Albert können Theorien als umfassende Systeme von Hypothesen verstanden werden, die in Form von logisch zusammenhängenden Urteilen versuchen, einzelne Phänomene der Wirklichkeit (hier: die Massenkommunikation) zu beschreiben, zu erklären und ggf. zu prognostizieren, also vorherzusagen. Zu ihrer Entwicklung und Zuverlässigkeit (dem Faktor der Validierung), bedürfen Theorien einer kontinuierlichen Überprüfung durch empirische Forschung. Diese vermag nach dem Kritischen Rationalismus Karl R. Poppers Theorien zu widerlegen, sie jedoch nicht endgültig zu beweisen, da stets nur Ausschnitte der Realität zur Überprüfung allgemeiner theoretischer Annahmen herangezogen werden können. Mit der Zahl nicht-widerlegbarer empirischer Untersuchungen steigt der Bewährungsgrad einer Theorie.

Die Kommunikationswissenschaft stellt ein Integrationsfach dar. In ihrer interdisziplinären Ausrichtung bezieht sie eine Vielzahl von Erkenntnissen aus benachbarten Wissenschaften (z. B. Psychologie, Soziologie oder Politikwissenschaft) ein, überträgt diese auf den Bereich der Massenkommunikation und legt sie dort letztlich der eigenen Theoriebildung bzw. -spezifikation zugrunde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eindeutige Fachgrenzen heute nicht mehr mit Ausschließlichkeitsanspruch zwischen einzelnen sozialwissenschaftlichen Disziplinen eingefordert werden können. Vielmehr erweisen sich die Übergänge mit Blick auf den jeweiligen Forschungsgegenstand und die zugrunde gelegten Methoden als fließend. Zu den wichtigsten theoretischen Konzeptionen der Kommunikationswissenschaft zählen u. a. die Theorie der Schweigespirale, das Modell des Agenda-Settings, der Nutzen- und Belohnungsansatz und die → Nachrichtenwerttheorie.

Allgemein lassen sich drei Gruppen an sozialwissenschaftlichen Theorien in der Kommunikationswissenschaft unterscheiden: Während Mikro-Theorien auf der Ebene von Individuen und Kleingruppen angesiedelt sind (z. B. Handlungs-, Lern- oder Interaktionstheorien), beziehen sich Meso-Theorien auf die Ebene von Organisationen und Verbänden (z. B. PR- oder Journalismus-Theorien). Makro-Theorien betrachten schließlich die zu erklärenden Phänomene aus der Perspektive der Gesamtgesellschaft (z. B. Systemtheorie, kritischer Materialismus, Cultural Studies). In der Kommunikationswissenschaft dominieren Theorien mittlerer Reichweite, die sich auf die Erklärung eines eng umgrenzten Bereiches der Massenkommunikation konzentrieren.

Literatur:

Bentele, Günter; Manfred Rühl (Hrsg.): Theorien öffentlicher Kommunikation. Problemfelder, Positionen, Perspektiven. München [Ölschläger] 1993

Burkart, Roland; Walter Hömberg (Hrsg.): Kommunikationstheorien. Ein Textbuch zur Einführung. 3. Auflage. Wien [Braumüller] 2004

Kunczik, Michael: Kommunikation und Gesellschaft. Theorien zur Massenkommunikation. Köln/Wien [Böhlau] 1984

Weber, Stefan (Hrsg.): Theorien der Medien. Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus. Konstanz [UVK/UTB] 2003

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