Kommentar

8012

Wortherkunft: Zugrunde liegt das lateinische ‚commentarius‘, was u. a. Aufzeichnung, Tagebuch oder Denkschrift meint – es geht also um eigene Gedanken zu einem Thema.

Definition:
Im Journalismus gehören der Kommentar und die Sonderform Leitartikel neben Glosse, Kolumne und Rezension zu den wertenden Textsorten. Meist geht es um tagesaktuelle Themen. Der Kommentar ergänzt die informationsbasierte Berichterstattung etwa der → Nachrichten und spricht das → Publikum appellativ an.

Die Journalistik unterscheidet gleich mehrere Arten des Kommentars, von denen hier die wesentlichen genannt werden sollen. Walther von La Roche (Hooffacker/Meier 2017) beschreibt drei Formen: Im Argumentations-Kommentar möchten die Autor:innen diskursiv überzeugen. Der Geradeaus-Kommentar dient dazu, die Meinung in knapperer Form und gelegentlich auch ohne argumentativen Unterbau vorzubringen. Der Einerseits-andererseits-Kommentar schließlich bedient sich des Stilmittels von These und Antithese, wobei am Ende nicht zwingend eine Entscheidung oder Parteinahme steht. Hier ist das Abwägen, das Aufzeigen der Vielschichtigkeit zentral. Einen Schritt weiter geht der Pro-und-Contra-Kommentar nach Wolf Schneider und Paul-Josef Raue (Schneider/Raue 2012), an dessen Ende in jedem Fall eine Conclusio steht. Einzelne Medien nutzen eine Spielart des Einerseits-andererseits-Kommentars, den Doppelkommentar, um in ethisch aufgeladenen kontroversen Debatten alle Sichtweisen zu berücksichtigen; üblich ist zudem, Pro und Contra konsekutiv zu präsentieren, also an aufeinanderfolgenden Tagen.

Eine Unterform des Kommentars bildet der Leitartikel in Printmedien, der meist etwas länger ist und in der Regel für die redaktionelle Linie des Blattes steht. Der Name leitet sich aus der ursprünglichen Stellung dieses Meinungsbeitrages auf der ersten Seite ab. Im angelsächsischen Raum hat der Leitartikel seine Entsprechung im ‚Editorial‘ oder im ‚leading article‘. Verfasst wird er hier in der Regel von Mitgliedern der Chefredaktion oder den Herausgeber:innen.

Viele Medien schaffen heute auch Raum für Gastkommentare, in denen Menschen außerhalb der Redaktion mit einschlägigem Bezug zum Thema und oft einer gewissen Bekanntheit zu Wort kommen. Für Printmedien ergibt sich damit eine Möglichkeit, gegen den Strich der redaktionellen Linie zu bürsten. Dass das auch ungewünschte Auswirkungen haben kann, zeigte 2020 ein Gastbeitrag des US-Senators Tom Cotton in der New York Times. Der Text schlug gesellschaftlich hohe Wellen und hatte neben anderem den Rücktritt des leitenden Redakteurs James Bennet zur Folge.

Kurz erwähnt sein soll die Kolumne, eine Art regelmäßiger Gastkommentar. Diese Form hat sich in Printmedien und in neuerer Zeit besonders auf digitalen Plattformen (z. B. spiegel.de, t-online.de, welt.de) etabliert. Ihr Reiz liegt häufig in der Prominenz der Autor:innen und ihrer Meinungsstärke in öffentlichen Debatten, die eine emotionale Bindung zum Publikum herstellen, z. B. Margarete Stokowski (Der Spiegel) oder ‚Don Alphonso‘ (Die Welt und zuvor FAZ). Für Claudia Mast stellt die Kolumne eine unterhaltsame Meinungsäußerung dar, die auch nicht-tagesaktuelle Themen aufgreifen kann, solange die Autor:in sie für diskussionswürdig hält (Mast 2018: 376 ff.). Auch Kolumnen sind unabhängig von der redaktionellen Linie.

Neben dem journalistischen Kommentar haben in der digitalen Sphäre die Nutzer:innen-Kommentare Bedeutung erlangt. Eine Reihe von Medien geben ihrem Publikum, der Community, die Möglichkeit – entweder über → Social-Media-Kanäle oder auf den eigenen Websites – Stellung zu Themen zu beziehen.

Geschichte:
Die ersten regelmäßig gedruckten Zeitungen erschienen im 17. Jahrhundert und dienten vor allem der Weitergabe von Information – der Begriff ‚Zeitung‘ bedeutete ursprünglich ‚Nachricht‘. Mit der Aufklärung fand im 18. Jahrhundert die kommentierende und wertende Form Eingang in die Presse. Beispiele sind die USA in der Phase des Ringens um die Unabhängigkeit und Frankreich in Zeiten der Revolution. In Deutschland kamen Meinungstexte erst im 19. Jahrhundert auf. Politische, aber auch ökonomische Akteure konnten hier ihre Sichtweise verbreiten. Pionier war in Deutschland Joseph Görres, der mit seinem Rheinischen Merkur gegen Napoleon anschrieb. Der Begriff ‚Presse‘ bezeichnete lange eine Meinungspresse, die politische und andere Interessen stützte (Schalkowski 2011: 9). Diese Phase dauerte bis zur Wende zum 20. Jahrhundert an und lebte in der Zeit des Nationalsozialismus in Form der gleichgeschalteten Presse wieder auf.

Gegenwärtiger Zustand und Forschungsstand:
Heute ist die Trennung von Meinung und Information einer der Grundsätze vieler westlicher Medien. Man kann sie als eines der Kriterien bezeichnen, die → Qualitätsjournalismus  ausmachen. Allerdings gibt es eine Reihe von Tendenzmedien, die vor dem Hintergrund einer öffentlich bekannten Positionierung auf Themen blicken, was einer gewissen Wertung gleichkommen kann. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Kommentierung an sich interessant, sondern auch die Frage nach der Bandbreite, die ein Medium zulässt. In der Schweiz ist die Trennung von Kommentar und Fakten in den Richtlinien der ‚Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten‘ des Presserates festgehalten. Im Nachbarland Österreich fordert der dortige Presserat in seinen Grundsätzen eine klare Erkennbarkeit der journalistischen Darstellungsform. Im → Pressekodex des deutschen Presserates ist dieses Trennungsgebot nicht explizit erwähnt. Viele Medienhäuser haben sich allerdings in Selbstverpflichtungen dazu bekannt, das Deutschlandradio etwa in seinem sogenannten ‚Journalistischen Selbstverständnis.‘

Auch Qualitätsmedien im englisch- und spanischsprachigen Raum halten dieses Prinzip hoch. Wie viele deutsche Tageszeitungen unterhalten Leitmedien wie die New York Times in den USA, aber auch La Nación in Argentinien eigene Meinungsseiten, im Rundfunk wiederum sind bei einigen Sendern wie dem Deutschlandfunk feste Kommentarplätze vorgesehen.

Der journalistische Kommentar kann einen Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung leisten und damit gesellschaftliche Teilhabe an demokratischen Prozessen unterstützen. Anders als Printmedien, die zumeist auf ihren Meinungsseiten einer redaktionellen Linie folgen, sollen Kommentare im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein möglichst breites Spektrum abbilden. Einige öffentlich-rechtliche Sender veröffentlichen zusätzlich zu eigenen Meinungsbeiträgen regelmäßig eine Bandbreite von Zeitungskommentaren, um die Meinungsvielfalt im Inland aber auch international abzubilden. Der Deutschlandfunk sendet werktäglich nicht weniger als sechs dieser Presseschauen.

Die Sichtweise auf diese wertende Darstellungsform kann – je nach Gefühlslage – im Laufe der Zeit changieren. Während der Kommentar in den 1980er Jahren vermutlich von vielen lediglich als eine von mehreren Textsorten wahrgenommen wurde, argwöhnen heute manche Menschen, die Meinung der Journalist:innen durchzöge die gesamte Berichterstattung. Diese veränderte Sichtweise hat mehrere Ursachen, die teils im Journalismus selbst liegen, aber auch in gesellschaftlichen Entwicklungen begründet sind. So wird zunehmend strittig diskutiert, inwieweit Haltung in Faktenbeiträgen eine zulässige oder eben unzulässige Meinungsäußerung darstellt. Haltung und Meinung werden dabei häufig gleichgesetzt, obgleich sie aus wissenschaftlicher Sicht zu unterscheiden sind. Während die Meinung sich auf ein Thema konzentriert (z. B. in Form eines Kommentares), so beschreibt Haltung eine Gebundenheit an Werte, für manche besteht hier allerdings schon die Gefahr des Abgleitens ins Aktivistische. Im Zentrum der Diskussion steht derzeit vor allem die Klima-Berichterstattung. Der Journalismusforscher Uwe Krüger propagiert einen ‚transformativen Journalismus‘ als eine Form der Berichterstattung, die → Öffentlichkeit herstellt für Akteur:innen, Prozesse und Strukturen, um sie durch Sichtbarkeit zu stärken und ihre weitere Verbreitung und Entwicklung zu ermöglichen (Krüger 2021: 369 f.). Für Krüger steht der transformative Journalismus dabei nicht im Widerspruch zu journalistischen Qualitätskriterien wie Unabhängigkeit und Objektivität. Für andere stellt dieses Engagement eine problematische Rollenüberschreitung dar, die der Berichterstattung und dem Journalismus insgesamt schadet. Wie viel ‚Haltung‘ bzw. ‚Meinung‘ sich das Publikum in Informationsbeiträgen wünscht, kann man nur erahnen. Doch einzelne Studien wie der jährliche Digital News Report des Reuters Institute liefern Anhaltspunkte, dass sich die Menschen von Journalist:innen in erster Linie die Vermittlung von Fakten sowie deren faire Analyse und Einordnung wünschen. Die persönliche Meinung der Berichtenden – und als eine solche wird ‚Haltung‘ von vielen verstanden – scheint dagegen weniger erwünscht oder zumindest nachgeordnet zu sein.

Eine weitere Unschärfe ergibt sich daraus, dass einzelne →  Journalist:innen ihre private Meinung in sozialen Medien äußern. Nach Ansicht mancher Menschen ergibt sich hier ein Konflikt zwischen privater und beruflicher Rolle. Einzelne Medienhäuser wie die BBC oder die New York Times schränken die privaten Meinungsäußerungen ihrer Mitarbeitenden ein oder würden es gerne tun. Twitternde Redakteur:innen wiederum sehen die eigene → Meinungsfreiheit bedroht.

Der journalistische Kommentar leidet im digitalen Zeitalter zudem daran, dass er nicht immer als Meinungsäußerung erkannt wird. Anders als in Printmedien oder im Rundfunk haben Kommentare im digitalen Raum oft keinen festen (Sende-)platz und tauchen zwischen einer Vielzahl anderer Informationsangebote auf. Hinweise wie ‚Opinion‘, ‚Meinung‘, ‚Kommentar‘ werden leicht übersehen. Die Medienkompetenz innerhalb der Gesellschaft ist mit dem Aufkommen dieser neuen Plattformen oft nicht ausreichend ‚mitgewachsen‘. Bestätigt hat das kürzlich eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung, die den Menschen in Deutschland hier erhebliche Defizite attestiert. Vor diesem Hintergrund haben die Tagesthemen im September 2020 ihren Kommentar umbenannt in Meinung, in der Hoffnung, vom Publikum in Zukunft besser verstanden zu werden.

Literatur:

BBC: Editorial Guidelines: Guidance note – Individual Use of Social Media. 29.10.2020. https://www.bbc.co.uk/editorialguidelines/guidance/individual-use-of-social-media/

Deutschlandradio: Journalistisches Selbstverständnis https://www.deutschlandradio.de/index.media.6d1324ff114ae9edff85a35f2a3e0cde.pdf

Hooffacker, Gabriele; Klaus Meier: Meinungsäußernde Darstellungsformen. In: La Roches Einführung in den praktischen Journalismus. 20. Auflage. Wiesbaden [Springer VS] 2017, S. 140 ff.

Fries, Stefan: Haltung im Journalismus. [Deutschlandfunk] 25.04.2019. https://www.deutschlandfunk.de/streitthema-haltung-im-journalismus-100.html

Hasebrink, Uwe; Sascha Hölig; Leonie Wunderlich: #usethenews. Studie zur Nachrichtenkompetenz Jugendlicher und junger Erwachsener in der digitalen Medienwelt. Hamburg [Leibniz Institut für Medienforschung] 2021. https://leibniz-hbi.de/de/publikationen/usethenews-studie-zur-nachrichtenkompetenz-jugendlicher-und-junger-erwachsener-in-der-digitalen-medienwelt

Krüger, Uwe: Geburtshelfer für öko-soziale Innovationen: Konstruktiver Journalismus als Entwicklungskommunikation für westlich-kapitalistische Gesellschaften in der Krise. In: Borchers, Niels S.; Selma Güney; Uwe Krüger; Kerem Schamberger: Transformation der Medien – Medien der Transformation. Frankfurt/Main [Westend] 2021, S. 356 ff.

Lerner, Kevin: Journalists know news and opinion are separate, but readers often can’t tell the difference. [Niemanlab] 22.06.2020. https://www.niemanlab.org/2020/06/journalists-know-news-and-opinion-are-separate-but-readers-often-cant-tell-the-difference/

Mast, Claudia: Kommentierende Formen. In: Mast, Claudia (Hrsg.): ABC des Journalismus. 13. Auflage. Köln [Herbert von Halem] 2018, S. 376 ff.

Reuters Institute for the Study of Journalism: The Relevance of Impartial News in a polarized world. A report by JV Consulting commissioned by the University of Oxford, 2021.

New York Times: The Times Issues Social Media Guidelines for the Newsroom. 13.10.2017, aktualisiert am 3.11.2020. https:// www.nytimes.com/2017/10/13/reader-center/social-mediaguidelines.html

Österreichischer Presserat: Grundsätze für die publizistische Arbeit. https://www.presserat.at/show_content.php?sid=3

Schalkowski, Edmund: Geschichte der Textform. In: Kommentar, Glosse, Kritik. Konstanz [UVK] 2011, S. 9.ff.

Schneider, Wolf; Paul-Josef Raue: Die Meinung. In: Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus. Hamburg [Rowohlt] 2012, S. 223 ff.

Schweizer Presserat: Journalistenkodex. https://presserat.ch/journalistenkodex/richtlinien/

Stiftung Neue Verantwortung – Meßmer, Anna-Katharina; Alexander Sängerlaub; Leonie Schulz: „Quelle Internet?“ Digitale Nachrichten- und Informationskompetenz der deutschen Bevölkerung im Test. 22.03.2021. https://www.stiftung-nv.de/de/publikation/quelle-internet-digitale-nachrichten-und-informationskompetenzen-der-deutschen

Tracy, Marc: James Bennet resigns as NYT Opinion Editor. In: New York Times, 07.06.2021, S. 1. https://www.nytimes.com/2020/06/07/business/media/james-bennet-resigns-nytimes-op-ed.html

Vorheriger ArtikelMedienvertrauen
Nächster ArtikelPartizipativer Journalismus
Francisca Zecher
*1977, Redaktionsleiterin der Deutschlandfunk Nova Nachrichten. Studium der Medien und Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Psychologie in Augsburg. Nach dem Studium folgte für die Deutsch-Chilenin ein Volontariat bei Deutschlandradio. Seit 2010 ist Francisca Zecher verantwortlich für die Nachrichtenredaktion von Deutschlandfunk Nova. Im Jahr 2015 beschäftigte sie sich im Rahmen eines mehrmonatigen Aufenthalts in New York mit dem us-amerikanischen Mediensystem und digitalen Entwicklungen auf dem US-Medienmarkt. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Vermittlung von Informationsangeboten an eine jüngere Zielgruppe.