Lizenzpresse

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Lizenzpresse bezeichnet die Organisation und Struktur der deutschen Nachkriegspresse in den vier Besatzungszonen in der Phase zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und der doppelten Staatsgründung von Bundesrepublik Deutschland und DDR 1949 (Koszyk 1986). Diese Lizenzphase markiert die sogenannte „Stunde Null der deutschen Presse“ (Hurwitz 1972) nach Ende und Niederschlagung des NS-Regimes. In dieser Zeit war unter den Besatzungsmächten Frankreich, Großbritannien, USA und Sowjetunion jegliche journalistische und pressewirtschaftliche Tätigkeit von einer Genehmigung abhängig. Es galt ein genereller Lizenzzwang für die Presse, der nur politisch unbelastete Personen als Lizenzträger zuließ.

Seitens der amerikanischen und britischen Alliierten waren schon im Vorfeld der absehbaren Niederlage des NS-Regimes entsprechende Maßnahmen zur Pressepolitik beschlossen worden. Die im Manual for the Control of German Information Services vom 12. Mai 1945 niedergelegten Bestimmungen sahen ein Drei-Phasen-Modell der Abwicklung und der regulierten Neuordnung des deutschen Pressesystems vor:

  1. Verbot aller deutschen Medien,
  2. Vorbereitung alliierter Medien und Eröffnung von Lizenzverfahren für Deutsche,
  3. Übergang von alliierten Medien zu lizenzierten deutschen Medien unter alliierter Kontrolle (Koszyk 1999: 32).

Mit der Vereinbarung der vier Besatzungszonen unter den Alliierten und der Einrichtung jeweils eigenständiger Militärregierungen war für die Umsetzung der Lizenzierung allerdings „praktisch ein unterschiedliches Vorgehen der vier Besatzungsmächte programmiert“ (Koszyk 1999: 32). Trotz der unterschiedlichen Modelle und Vorstellungen von Besatzungszeitungen und Lizenzierung herrschte über die grundsätzlichen (presse-)politischen Ziele hinter der Lizenzpolitik unter den Alliierten weitgehend Einigkeit: Dies betraf erstens (organisatorisch) den Ausschluss von sogenannten Altverlegern sowie nationalsozialistischen Funktionsträgern von der Lizenzierung und zweitens (programmatisch) die Entnazifizierung und die Nutzung der Presse als Instrument der „REeducation“ der Deutschen, was besondere die Umerziehung der Deutschen zu Demokraten meinte (Mosberg 1991).

Die drei westlichen Alliierten gingen für die Lizenzierung zwar jeweils eigene und recht verschiedene Wege, die sich jedoch alle an der gemeinsamen Absicht orientierten, den demokratischen politischen Diskurs neu zu beleben und zu fördern:

  • In der amerikanischen Besatzungszone entschied man sich dabei für das Modell der überparteilichen Gruppenzeitung, nach dem man idealerweise Lizenzen an → Herausgebergruppen mit einem breit ausgewogenen, binnenpluralen politischen Spektrum vergab. Nach der Vorstellung der amerikanischen Alliierten sollte die „neue deutsche Presse“ ganz im Sinne der „re-education“ vor allem in der Lage sein, „das Handeln deutscher Behörden kritisch zu überprüfen und direkten Zugang zu offiziellen → Informationsquellen haben“ (Koszyk 1999: 41). Am Ende der Lizenzphase erschienen in der amerikanischen Besatzungszone 56 Zeitungen.
  • In der britischen Besatzungszone verfolgte man erst einmal das Modell parteinaher Zeitungen, sodass an einem Ort parallel verschiedene politisch orientierte Zeitungen erscheinen konnten. Idee war es, so ein breites politisches Spektrum abzubilden und den „verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der Bevölkerung“ (Koszyk 1999: 45) Rechnung zu tragen. In der Praxis funktionierte dieses Modell jedoch mit „mancherlei Querelen“ (Koszyk 1999: 46). Man hatte es an einigen Standorten mit zum Teil scharfen politischen Kontroversen zu tun und lizenzierte so als Gegengewicht zu den Parteizeitungen zusätzlich parteiunabhängige Zeitungen. Am Ende der Lizenzphase existierten in der britischen Besatzungszone 49 Zeitungen.
  • In der französischen Besatzungszone suchte man einen Mittelweg zwischen den Modellen der parteinahen und der überparteilichen Zeitung. Statt wie in der amerikanischen Besatzungszone Lizenzen an Herausgebergruppen zu vergeben, erteilte man nur Einzelpersonen Lizenzen und verlagerte den politischen Binnenpluralismus in die Redaktionen. Parallel stattete man wie in der britischen Besatzungszone nach und nach Parteien mit Lizenzen für Parteizeitungen aus. Zum Ende der Lizenzphase gab es in der französischen Besatzungszone 29 Zeitungen.

Im Unterschied zu den westlichen Alliierten schlug man in der sowjetischen Besatzungszone für die Lizenzierung einen Weg ein, der exklusiv nur Parteien offenstand und sich hierbei zudem an der politisch-ideologischen Vorstellung orientierte, dass die Presse nichts anderes als ein „Instrument der politischen Leitung sozialer Prozesse“ (Koszyk 1999: 47) sei:

  • Vor diesem Hintergrund erhielt in der sowjetischen Besatzungszone jede zugelassene Partei eine Lizenz für ein Zentralorgan, um das sich wiederum regionale Parteizeitungen gruppieren konnten: „Analog zum Aufbau der Parteiorganisationen gliederte sich das Pressesystem in der SBZ so von oben nach unten.“ (Koszyk 1999: 48) Den Zeitungen kam hierbei eine wichtige Funktion als Teil des „gesamtgesellschaftlichen Erfahrungsaustauschs zwischen Führung und Massen“ (Koszyk 1999: 48) zu und sie verpflichteten sich zu unbedingter politischer Folgsamkeit sowie den Übergang zur sozialistischen Gesellschaft zu unterstützen. Bei der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 kamen insgesamt 40 Parteizeitungen heraus, davon 16 von der SED. Bis zum Ende der DDR 1989/90 blieb diese einmal lizenzierte Zeitungslandschaft nahezu unverändert bestehen.

In den westlichen Besatzungszonen wurde das Ende der Lizenzphase im Laufe des Jahres 1949 langsam eingeläutet, als nach und nach sogenannte Generallizenzen erlassen wurden bzw. am 21. September 1949 die Lizenzpflicht als Instrument ganz entfiel. In der am 24. Mai 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland stand dem ungehinderten Erscheinen von Zeitungen somit nichts mehr im Wege. Mit dem Grundgesetz und der dort mit Artikel 5 garantierten → Meinungs- und → Pressefreiheit gab es hierfür zudem eine neue Rechtsgrundlage. Obwohl jetzt belastete Altverleger wieder Zeitungen herausgeben durften, konnte sich die Lizenzpresse weitestgehend behaupten und hat nachhaltig wesentliche Strukturen für das bundesrepublikanische Pressesystem gelegt (Wilke 1999).

Literatur:

Hurwitz, Harold: Die Stunde der deutschen Presse. Die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945-1945. Köln [Verlag Wissenschaft und Politik] 1972.

Mosberg, Helmuth: REeducation. Umerziehung und Lizenzpresse im Nachkriegsdeutschland. München [Universitas Verlag] 1991.

Koszyk, Kurt: Pressepolitik für Deutsche 1945-1949. Berlin [Colloquium Verlag] 1986.

Koszyk, Kurt: Presse unter alliierter Besatzung. In: Wilke, Jürgen: Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Köln [Böhlau Verlag] 1999, S. 31-58.

Wilke, Jürgen: Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Köln [Böhlau Verlag] 1999.

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Erik Koenen
*1974, Dr., ist derzeit Universitätslektor (in Vertretung) am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung an der Universität Bremen. Er promovierte zu Leben und Werk des Zeitungskundlers Erich Everth - Wissenstransformationen zwischen journalistischer Praxis und Zeitungskunde (Lit Verlag, Münster 2019). Seine historischen Arbeitsschwerpunkte sind: Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft, Kommunikations- und Mediengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Politische Kommunikation Internationaler Organisationen.