Wirkung

2055

Definition:
Als Medienwirkungen werden alle sowohl kurz- als auch langfristigen, aber auch intendierte oder nicht-intendierte Veränderungen auf kognitiver, affektiver oder konativer Ebene bezeichnet. Dies betrifft Wissen, Meinungen, Einstellungen und Verhalten von Rezipienten; seien dies Einzelpersonen, Gruppen oder die Gesamtgesellschaft, welche auf Medien und deren → Inhalte wie Information, Infotainment oder Unterhaltung, aber auch auf formal-gestalterische Aspekte wie Bilder zurückgeführt werden können – und zwar aus den verschiedensten Themenbereichen wie Politik, Wirtschaft und Kultur.

Geschichte und Forschungsstand:
Über die Wirkung der Medien wurde und wird in der Öffentlichkeit immer wieder emotionalisiert und kontrovers diskutiert, sowohl zwischen den Polen ‚Allmacht vs. Ohnmacht‘ als auch zu → ‚Manipulation vs. Aufklärung‘ oder ‚Pluralität und Integration vs. Individualisierung und Fragmentierung‘. Der Diskurs ist nicht zuletzt normativ, etwa im Zusammenhang mit der Wirkung von politischer Propaganda oder Fremdenfeindlichkeit in den journalistischen Medien, der Gewalt im Fernsehen oder von Werbung und bezüglich der Frage, ob die Wirkungen von Internet und Social Media für die Gesellschaft als positiv oder eher negativ zu beurteilen seien. Thematisch betrachtet wird den journalistischen Medien aber konsonant eine unerlässliche Wirkung bzw. positive Leistung bezüglich der Herstellung von → öffentlicher Meinung als Voraussetzung für die Integration der Gesellschaft zugeschrieben. Der Begriff ‚Medienwirkungen‘ ist dementsprechend breit und vielschichtig, obwohl in der → Öffentlichkeit meist monokausale und kulturpessimistische Wirkungsvermutungen vorherrschen.

In der Kommunikations- und Medienwirkungsforschung erweisen sich Medienwirkungen als komplexes und dynamisches Forschungsfeld mit unterschiedlichen Paradigmen: Während in den 1920er und 1930er Jahren die ‚Allmachtsthese‘ aufgrund des behavioristischen Stimulus-Response-Modells der Medienwirkungen vorherrschend war, wechselte diese ab den 1950er Jahren mit Beginn der empirischen Erforschung der Effekte von Wahlkampagnen in den USA und infolge von Konsonanz- bzw. Dissonanz-Theorien zur ‚Ohnmachtsthese‘. – Dass Medien Wirkungen haben, ist heute aber hinlänglich belegt, zusammen mit der Einsicht, dass diese je nach Effektphänomen, Bezugsgruppen wie z. B. Kindern sowie mediatisierenden Faktoren wie das soziale Umfeld aber mehr oder weniger stark variieren. Dementsprechend gibt es nicht ‚die Medienwirkung‘ und daher eine Vielzahl an analytischen Perspektiven und erklärenden Theorien.

Medienwirkungstheorien

  • Der Domestifizierungsansatz befasst sich aus einer ethnographischen Perspektive mit der präkommunikativen Phase des Wirkungsgeschehens, und zwar speziell mit der Frage, wie Medien, etwa das Fernsehen, im Alltag der Rezipienten, etwa im Kontext der Familie, angeeignet und situativ eingebunden werden.
  • Uses-and-Gratifications-Approach Nutzenansatz. In der Forschungsentwicklung dominierte lange Zeit ein monokausales Stimulus-Response-Modell mit Fokus auf der Mikroebene: Medieninhalte → Mediennutzung → Medienwirkungen. Gesellschaftliche Wirkungen der Medien auf Makroebene wurden kaum thematisiert. Mit der Uses-and-Gratifications-Perspektive bzw. dem Nutzenansatz rückte in den 1970er Jahren, beispielsweise im Reader The Uses of Mass Communications von Jay G. Blumler und Elihu Katz von 1974, der Mensch als aktiver und selektiver Mediennutzer ins Zentrum der Wirkungsforschung mit der Frage: Was machen Menschen mit den Medien? Und mit welchen Wirkungen? Unterschieden und empirisch untersucht wurden kognitive, affektive und soziale Motive der Mediennutzung, und entsprechend von den Mediennutzern gesuchte und erhaltene Gratifikationen, aber auch dysfunktionale Aspekte wie die eskapistische Mediennutzung. Kritisiert wurde der Ansatz in Bezug auf die Prämisse, dass das Medienpublikum intendiert und aktiv auswähle, obwohl Mediennutzung wie das Fernsehen vielfach habitualisiert erfolgt.
  • Auch die Cultural Studies, von Stuart Hall 1973 erstmals in seinem Encoding-Decoding-Modell entwickelt, betonen den aktiven Medienumgang und die damit einhergehenden Verstehens- und Interpretationsprozesse. Rezipienten können Medieninhalte, z. B. aus dem politischen Bereich, quasi 1 zu 1 unhinterfragt übernehmen, sie können diese aber auch zusammen mit eigenem Wissen und persönlichen Meinungen verschmelzen, und schließlich können sie diese auch ‚nicht übernehmen‘ und ablehnen.
  • Das Elaboration-Likelihood-Modell, kurz ELM, wurde 1986 von Richard E. Petty und John T. Cacioppo zur Analyse von Werbewirkungen entwickelt. Es unterscheidet zwei Heuristiken bzw. Modalitäten des kognitiven Umgangs mit Medieninhalten, welche die Wirkung jeweils spezifisch prägen: In der zentralen Verarbeitung befassen sich Rezipienten vertieft mit den Argumenten und der Qualität, während sie in der peripheren Verarbeitung mangels Motivation oder fehlender Relevanz sich nur oberflächlich mit der Botschaft befassen, und sich nur an peripheren Aspekten als sog. ‚cues‘ wie Bilder orientieren und sich durch stimulierte Emotionen beeinflussen lassen. Bei beiden Wegen der Werberezeption ist für die Werbewirkung entscheidend, ob und wie die anvisierte Zielgruppe auf die Werbebotschaft reagiert und dieser entsprechend Glaubwürdigkeit zuschreibt.

Im Unterschied zu den oben dargestellten Ansätzen, welche sich mit der präkommunikativen Phase und dem kommunikativen Rezeptionsprozess befassen, thematisieren die folgenden Theorien Medienwirkungen der postkommunikativen Phase:

  • Die Sozial-kognitive Lerntheorie, entwickelt von Albert Bandura in den 1970er Jahren, erklärt menschliches Handeln wie z. B. aggressives Verhalten durch ein Zusammenwirken bzw. einen ‚reziproken Determinismus‘ zwischen Umwelt- und persönlichen Faktoren. Menschen lernen durch vielfältige direkte Erfahrung, indem sie das Verhalten anderer Personen beobachten, aber auch durch Aufmerksamkeitsprozesse, durch Prozesse sowohl kognitiver als auch motivationaler Repräsentation, wie auch Prozesse der Verhaltensproduktion. Durch Anwendung dieses Modells auf das Lernen von Medienbotschaften und -inhalten ist die Lerntheorie schon früh zu einem der wichtigsten Ansätze der Medienwirkungsforschung geworden.
  • Einstellungen und Dissonanz-/Konsistenztheorien. In der Medienwirkungsforschung hat das sozialpsychologische Einstellungskonzept eine wichtige Rolle gespielt, da Medien nicht nur Information und Wissen vermitteln, sondern dadurch auch Meinungen und Einstellungen der Rezipienten beeinflussen. Leon Festinger hat 1957 dazu die kognitive Dissonanztheorie formuliert, welche später in Form von Balance- und Konsistenztheorien verallgemeinert worden ist. Der Ansatz basiert auf der Prämisse, dass Personen bestrebt sind, in Übereinstimmung mit ihrem Wissen, d. h. ihren Kognitionen, und ihren Einstellungen zu handeln. Dieses Streben nach Konsistenz führt dazu, dass auch Medieninhalte selektiv wahrgenommen und interpretiert werden, wenn sie vom vorhandenen Wissen abweichen bzw. den bestehenden Einstellungen widersprechen. Die Dissonanztheorie gilt als Basistheorie für die Annahme wirkungsschwacher Medien.
  • Der Agenda-Setting-Ansatz, verbreitet von Maxwell E. McCombs und Donald L. Shaw aufgrund ihrer sog. Chapel-Hill-Studie im Vorfeld des US-Präsidentschaftswahlkampfs von 1968, befasst sich mit dem Phänomen, dass Medien mit der Häufigkeit und Prägnanz ihrer Berichterstattung, Agenda-Building genannt, (politische) Themen als dringlich darstellen können, sodass die Themen der Medien-Agenda die Publikums-Agenda bestimmen. Als weiteres kognitives Phänomen wurde der Priming-Effekt als Second-Level-Agenda-Setting formuliert: Die dominanten Themen der Publikums-Agenda führen im Sinne eines Reiz-Reaktions-Schemas dazu, dass beispielsweise politische Akteure mit den entsprechenden Themen der Medien-Agenda assoziiert werden.
  • Framing heißt so viel wie Rahmung. Ein Medien-Frame bezeichnet den Bezugsrahmen, mit dem in der Medienberichterstattung, aber auch in der Wahrnehmung von Personen, ein Thema aus einer ganz bestimmten Perspektive dargestellt und/oder wahrgenommen wird. Indem Medien ein Thema spezifisch rahmen, können diese entsprechende Rezipienten-Frames bewirken oder es können bestehende Schemata bei den → Rezipienten im Rezeptionsprozess aktiviert werden.
  • Die Wissenskluft-/Knowledge-Gap-Perspektive wurde 1970 erstmals von Phillip J. Tichenor, George A. Donohew und Clarice N. Olien von der Minnesota University formuliert, empirisch allerdings noch nicht umfassend überprüft. Postuliert wird, dass bei wachsendem Informationszufluss in der Gesellschaft nicht alle gleichermaßen zu profitieren vermögen. Bevölkerungssegmente mit höherem sozioökonomischen Status und/oder höherer Bildung tendieren zu einer rascheren und umfassenderen Wissensaufnahme als die status- bzw. bildungsniedrigeren Segmente, sodass die Wissenskluft zwischen diesen Segmenten tendenziell zunimmt. Erklärt wird dies u. a. durch größeres Vorwissen, höhere Medienkompetenz, stärkere Printmediennutzung und umfassendere soziale Kontakte, aber auch motivational durch höheres politisches Interesse. Der Ansatz erlangte durch die sozial ungleiche Diffusion des Internets in Form des sog. Digital Divide neue Bedeutung. Während inzwischen das Internet von praktisch allen genutzt wird, bestehen aber weiterhin Ungleichheiten in der Art der Nutzung.
  • Die Diffusions- und Innovationsforschung, von Everett Rogers 1971 erstmals publiziert, befasst sich mit der zeitlichen Verbreitung und Rezeption von → Mediennachrichten über unerwartete gesellschaftliche Ereignisse wie etwa die 9/11-Anschläge in New York, aber auch generell mit der gesellschaftlichen Diffusion von Innovationen wie etwa dem Internet und dessen sozial differenzieller Aneignung. Dabei spielen die benutzen Medienkanäle eine wichtige Rolle. Schon früh hat sich die Kommunikationswissenschaft hierzu mit dem Zusammenspiel von medialen und interpersonalen Kanälen befasst. Paul F. Lazarsfeld, zusammen mit Bernard Berelson und Hazel Gaudet, formulierten 1944 in ihrer US-Wahlstudie erstmals die Two-Step-Flow-Theorie, welche davon ausgeht, dass Medien via Meinungsführer (engl. Opinion Leaders) als Influencer die Wähler quasi indirekt über persönliche Gespräche oder heute in den → Social Media beeinflussen.
  • Kultivierungsanalyse und -effekte. Zu Beginn der 1970er Jahre begann eine Forschergruppe um George Gerbner die Inhalte des Fernsehens zu analysieren. Aufgrund der Gleichförmigkeit des US-Fernsehens wurde eine langfristige und stereotype Formung der Weltbilder von Vielsehern postuliert, aber empirisch meist nur im Querschnittvergleich von Viel- und Wenigsehern Vielseher nehmen nach der Kultivierungstheorie im Vergleich zu Wenigsehern somit die Realität stärker im Sinne der TV-Welt wahr. Sie überschätzen beispielsweise das Ausmaß von Kriminalität oder haben stereotypische Vorstellungen von Männer- und Frauenrollen oder Familienbildern. Neuere Studien berücksichtigen zudem Mediatisierungsprozesse etwa in Bezug auf Alter und Geschlecht. – Die Kultivierungsanalyse basiert auf der schon 1967 von Marshall McLuhan formulierten These: „The Medium is the Message“ (McLuhan 1967).
  • Schweigespiralen-Modell. Elisabeth Noelle-Neumann entwickelte die Theorie der Schweigespirale auf Basis ihrer Umfragestudien ab Mitte der 1960er Jahre. Das Modell postuliert starke Medienwirkungen auf Meinungen und Einstellungen durch häufige und thematisch konstante Berichterstattung der Medien. Daraus entwickelt sich ein sog. Spiralenprozess, da die als vorherrschend perzipierte Medienrealität dazu führt, dass abweichende Meinungen öffentlich nicht geäußert werden, was die perzipierte Dominanz der (Medien-) Meinung verstärkt. Kritisiert wurde u. a. die nur beschränkte empirische Überprüfung des Modells, aber auch die Vernachlässigung von mediatisierenden Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmalen oder sozialen Bezugsgruppen. Neuere Studien unterscheiden beispielsweise zwischen Rednern, Schweigern, Anpassern oder Missionaren und belegen, dass die im Schweigespiralen-Modell fokussierte Gruppe der Anpasser nur eine Minderheit bildet. Auch die Prämisse der starken Medienmacht des Fernsehens ist durch das Internet und Social Media relativiert worden, hat allerdings durch das Aufkommen der sog. → Filterblasen bzw. Filter Bubbles neue Aktualität erlangt.

Gegenwärtiger Zustand:
Bilanzierend können die verschiedenen Wirkungstheorien nach zwei Dimensionen gruppiert werden: a) Ob die postulierte Wirkung eher zentripetal oder zentrifugal ist, und b) ob dies normativ eher einer optimistischen oder pessimistischen Vision entspricht. 1) Der Uses-and-Gratifications-Ansatz postuliert zentrifugal individualistische Wirkungen bzw. Mediennutzung und bewertet diese positiv. 2) Die Wissenskluft-Perspektive thematisiert ebenfalls zentrifugale Medieneffekte, aber negativ im Sinne von Exklusion und Fragmentierung. 3) Der Agenda-Setting-Ansatz basiert auf einer zentripetal integrierenden und positiv bewerteten Prämisse. 4) Analog befasst sich auch die Kultivierungstheorie auf Uniformität als Medienwirkung, bewertet diese jedoch negativ. Die verschiedenen Perspektiven zur Medienwirkung unterscheiden sich somit bezüglich der postulierten Effekte auf den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft, bewerten diese normativ jedoch jeweils unterschiedlich.

Literatur:

Bilandzic, Helena: Wirkungsforschung. In: Karmasin, Matthias; Matthias Rath; Barbara Thomaβ (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft als Integrationsdisziplin. Wiesbaden [Springer VS] 2014, S. 159-178.

Bonfadelli, Heinz; Thomas N. Friemel: Medienwirkungsforschung. Konstanz/München [utb] 2017.

Jäckel, Michael: Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung. Wiesbaden [VS Verlag] 2011.

Jäckel, Michael; Gerrit Fröhlich; Daniel Röder: Medienwirkungen kompakt. Einführung in ein dynamisches Forschungsfeld. Wiesbaden [Springer VS] 2019.

McLuhan, Marshall: The Medium is the Massage. An Inventory of Effects. Toronto [Random House] 1967.

Pothoff, Matthias (Hrsg.): Schlüsselwerke der Medienwirkungsforschung. Wiesbaden [Springer VS] 2016.

Rössler, Patrick; Cynthia Hooffner; Liesbeth van Zoonen et al. (Hrsg.): The International Encyclopedia of Media Effects. 4 Bände. [Wiley-Blackwell] New Jersey 2017.

Schweiger, Wolfgang; Andreas Fahr (Hrsg.): Handbuch Medienwirkungsforschung. Wiesbaden [VS Verlag] 2013.

Vorheriger ArtikelPartizipativer Journalismus
Nächster ArtikelCancel Culture
Heinz Bonfadelli
* 1949, Prof. Dr., Studium der Sozialpsychologie, Soziologie und Publizistik­wissenschaft an der Universität Zürich. Seit Winter 1994 Extraordinarius und von Winter 2000 bis Sommer 2015 Ordinarius für Publizistikwissenschaft am IKMZ der Universität Zürich. Seit Herbst 2015 emeritiert. Forschungs­schwerpunkte: Mediennutzung & Medienwirkungen, speziell Wissenskluft-Perspektive, Online-Kommunikation und Digital Divide; Migration und Medien; Wissenschafts-, Gesundheits- und Umweltkom­munikation.