Wirtschaftsjournalismus

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zusammen mit → Anne Köppen

Wortherkunft – Definition – Typologie:
Wirtschaftsjournalismus stellt im weitesten Sinne die journalistische Beschäftigung mit dem Themenfeld ‚Wirtschaft‘ dar. Er gehört neben ‚Politik‘, → ‚Kultur‘, → ‚Sport‘ und ‚Lokales‘ zu den klassischen Ressorts von Tageszeitungen und anderen (tages)aktuellen Medien. Im engen Wortsinn ist der Begriff vom Wirt, dem Gastgeber, abgeleitet, der seine Gäste bewirtet und damit Geld verdient. Im journalistischen und wissenschaftlichen Verständnis steht ‚Wirtschaft‘ synonym für Volkswirtschaft und damit für die Summe aller Institutionen und menschlichen Handlungen in einem definierten Wirtschaftsraum (z. B. einem Staat), die mit begrenzten Ressourcen planvoll und effizient zur bestmöglichen Befriedigung materieller und teils auch immaterieller Bedürfnisse eingesetzt werden.

Je nach Perspektive und wissenschaftlichem Ansatz lassen sich verschiedene Definitionen auf den Begriff ‚Wirtschaftsjournalismus‘ anwenden. Angelehnt an die Systemtheorie schreiben Otto und Köhler (2017: 2), dass Wirtschaftsjournalismus das selbständig existierende ‚Teilsystem Wirtschaft‘ beobachte und Informationen über Ereignisse und Entwicklungen selektiere. Über diese Beobachtungen entstehe ein publizistisches Frühwarnsystem, das über Fehlentwicklungen informiere. Nach Mast (2012: 319) hat der Wirtschaftsjournalismus die Funktion, „komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge zu erfassen und verständlich darzustellen.“ Er stelle Öffentlichkeit über einen strukturell nicht sehr transparenten Bereich her, er informiere und gebe den Bürger:innen und Konsument:innen Orientierung – nicht zuletzt für individuelle wirtschaftliche Entscheidungen wie die Geldanlage oder den Kauf bestimmter Güter (Mast/Spachmann 2017: 52).

Frühbrodt (2020: 1) liefert eine noch stärker praxisorientierte Definition: „Wirtschaftsjournalismus informiert über alle Ereignisse und Entwicklungen aus den Feldern der Wirtschaftspolitik, der Verbraucherthemen, der Kapitalmärkte sowie der Unternehmenswelt. Zudem analysiert und bewertet er diese.“ Damit werden zugleich auch die wesentlichen Themenfelder (Unterressorts) des Wirtschaftsjournalismus aufgefächert:

  • Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaft: Das Feld umfasst alle volkswirtschaftlichen Themen, die von politischer Bedeutung sind. Dazu zählen z. B. Entwicklungen der Konjunktur, vor allem aber politische Maßnahmen wie z. B. die Regulierung der Energiebranche. Es gibt deutliche Schnittstellen zur Verkehrs-, Umwelt- und bei außenwirtschaftlichen Themen auch zur Außenpolitik.
  • Unternehmensberichterstattung: Hierzu gehören die Finanzkennzahlen wichtiger Unternehmen, Massenentlassungen, Fusionen von Unternehmen, aber auch die Entwicklung ganzer Branchen.
  • Finanzen und Geldanlage: Zum Feld zählen die wichtigsten Entwicklungen an den Aktien-, Devisen- und Rohstoffmärkten, die Analyse einzelner Anlagemöglichkeiten, aber auch die Geldpolitik der großen Zentralbanken.
  • Verbraucherthemen: Bei den ‚News you can use‘ steht im Mittelpunkt, wie Verbraucher:innen möglichst optimale wirtschaftliche Entscheidungen treffen können. So werden z. B. Immobilienfinanzierungen auf Herz und Nieren geprüft oder Mobilfunktarife verglichen.

Hinzu kommen bei einigen Medien Themen aus dem Management (z. B. Personalführung), zum Teil gibt es auch Hybridthemen, bei denen in einem Artikel Aspekte aus verschiedenen Unterressorts berücksichtigt werden. Wirtschaftsjournalismus existiert als festes Ressort in General-Interest-Medien wie Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen; in Special-Interest-Medien wie z. B. Anleger-Magazinen wird ein fachlich anspruchsvolleres Privatpublikum angesprochen. Fachmedien adressieren Nutzer:innen, die die Informationen vorwiegend für berufliche Zwecke nutzen. Oft wird hier die ökonomische mit anderen Themenwelten (z. B. Technik) oder spezifischen Branchen (z. B. Lebensmittel) kombiniert.

Quelle: Eigene Darstellung.

Geschichte:
Ähnlich wie das Ressort Politik adressiert Wirtschaftsjournalismus heute ein breites Publikum. Doch lange Zeit und teilweise bis in die Gegenwart hinein galt Wirtschaftsjournalismus in weiten Teilen der Bevölkerung als „elitär“, „unverständlich“ und „abgehoben“ (Mast 2003: 79). Tatsächlich wurde er in erster Linie von Expert:innen für Expert:innen (Manager:innen, Börsenmakler:innen, Wirtschaftspolitiker:innen und interessierte Laien) kommuniziert. Dieser enge Zuschnitt auf ein Fachpublikum erklärt sich aus der Genese des Wirtschaftsjournalismus. Beginnend mit den Fugger-Zeitungen des ausgehenden 16. Jahrhunderts stand er lange Zeit synonym für ‚Handelsjournalismus‘, für in Zeitungen gedruckte Geschäftsmitteilungen der Handel- und Gewerbetreibenden. Erst im 20. Jahrhundert öffnete sich das Ressort für wirtschaftspolitische Themen. Die Quasi-Pressemitteilungen der Unternehmen wurden zunehmend durch eine analytische Berichterstattung ergänzt und verdrängt (Frühbrodt 2007: 11f).

Gegen Ende der 1990er Jahre erlebte der deutschsprachige Wirtschaftsjournalismus einen tiefgreifenden Wandel. Mit dem Hype rund um die Hightech-Unternehmen der sogenannten ‚New Economy‘ und den Börsengängen der ehemaligen Staatsunternehmen Deutsche Telekom und Deutsche Post stieg das Interesse vieler Menschen am Börsengeschehen enorm. Seitdem versuchen viele Medien, Entwicklungen an den Kapitalmärkten und in den Unternehmen allgemein verständlicher und unterhaltsamer darzustellen, etwa durch Börse vor Acht in der ARD. Verschiedene krisenhafte Entwicklungen bereiteten dem Börsenboom kurz nach der Jahrtausendwende jedoch ein jähes Ende, so dass sich viele Medien, vor allem das Fernsehen, fortan verstärkt auf ein anderes Unterressort verlegten: den Verbraucherjournalismus.

Gegenwärtiger Zustand:
Der Wandel spiegelt zumindest teilweise wider, dass inzwischen weite Teile des Wirtschaftsjournalismus den Perspektivwechsel wagen – von der Sichtweise der Unternehmen und Manager:innen hin zum Blickwinkel der Verbraucher:innen. Der Perspektivwechsel beschränkt sich indes nicht nur auf reine Verbraucherthemen, sondern reicht inzwischen auch in den wirtschaftspolitischen Journalismus hinein (Mast/Spachmann 2017: 64). Mehrere parallele Trends haben dazu geführt, dass die persönliche Betroffenheit vieler Bürger:innen durch ökonomische und wirtschaftspolitische Entwicklungen gewachsen ist:

  • Die weitgehende Dominanz einer neoliberalen Wirtschaftspolitik: Rückbau des Sozialstaats, verstärkter Wettbewerb durch die Privatisierung von Unternehmen und geringere Arbeitsplatzsicherheit.
  • Globalisierung und Europäisierung: Die zunehmende internationale Verflechtung von Kapital- und Handelsströmen verschärft den ökonomischen Wettbewerb weltweit und auf innereuropäischer Ebene. Zudem überträgt die europäische Integration wirtschaftspolitische Entscheidungen zunehmend auf EU-Institutionen und macht diese für die Bürger:innen mitunter schwerer nachvollziehbar.
  • Die Kommerzialisierung des Alltags: Von der Kultur über den Sport bis hin zu wichtigen Lebensereignissen wie Taufen und Hochzeiten haben private Aktivitäten und Events zunehmend eine kommerzielle Komponente erhalten.
  • Digitalisierung: Der Prozess erfolgt zwar bereits seit Jahrzehnten, gewinnt jedoch an Dynamik. Vor allem der Einsatz künstlicher Intelligenz dürfte langfristig disruptive Folgen für die industrielle Produktion wie für die Wirtschaft insgesamt haben. Autonome maschinelle Systeme könnten Arbeitsplätze in bisher nicht bekanntem Maße wegrationalisieren. Dies schürt bei vielen Menschen Zukunftsängste (Frühbrodt 2020: 4f; Otto/Köhler 2017: 4f).

Eine Umfrage von Mast (Mast 2012) ergab, dass bei 86 % der Bevölkerung ein mittleres bis sehr starkes Interesse für Wirtschaftsthemen vorhanden war. Die aufgeführten Entwicklungen lassen die Welt bei vielen Bürger:innen hochgradig komplex und damit in besonders hohem Maße erklärungsbedürftig erscheinen. Der Wirtschaftsjournalismus hat darauf reagiert: Oft ist er verständlicher, erklärender und auch aufklärender geworden. So empfiehlt es auch Henrik Müller von der TU Dortmund. Hochkomplexe Themen und bisher unbekannte Aspekte sollten durch → Storytelling – das Erzählen von Geschichten – verständlich gemacht werden. Zugleich betont Müller, dass faktischen Verzerrungen „empirische Evidenz“ entgegengesetzt werden müsse, mithin verlässliche aggregierte Daten die analytische Grundlage von Wirtschaftsjournalismus bilden müssten (Müller 2017: 29f). Insofern kommt auf dem Feld auch dem → Datenjournalismus eine wachsende Bedeutung zu (Brandstetter/Range 2017: 113 f).

Die Studien von Arlt/Storz (2010) und Otto/Köhler/Baars (2016) kritisierten, dass der Wirtschaftsjournalismus als publizistisches Frühwarnsystem vor der großen Finanzkrise 2008/09 sowie in der folgenden Banken- und Euro-Schuldenkrise versagt habe. Arlt/Storz (2010: 10) verglichen das Agieren der deutschen Wirtschaftsmedien gar mit „Pfusch am Bau“. Schon vor den großen Krisen hatte die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche (2007: 6) den deutschen Wirtschaftsmedien eine schlechte Note ausgestellt: „Wirtschaftsjournalismus ist in der Tendenz unkritischer und affirmativer als in anderen Ressorts.“

Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Journalist:innen in hohem Maße abhängig sind von der Auskunftsbereitschaft privater Wirtschaftsunternehmen. Dies liegt zum anderen aber auch darin begründet, dass die Wirtschaft als autonomes Teilsystem der Gesellschaft ihrer eigenen Systemlogik, nämlich der des Marktes, verhaftet bleibt und auch das Gros der Wirtschaftsjournalist:innen dieser Logik teils zu bereitwillig folgt. Allerdings kann man dem deutschen Wirtschaftsjournalismus auch Lernprozesse in den vergangenen Jahren attestieren: So nimmt z. B. die Berichterstattung über Unternehmen verstärkt einen gesamtgesellschaftlichen Blick ein und berücksichtigt etwa die Belange der Beschäftigten (Mast/Spachmann 2017: 65). Dieser Prozess einer ganzheitlichen Betrachtung ist allerdings noch nicht abgeschlossen: Frühbrodt (2020: 49-50) regt deshalb an, dass der Wirtschaftsjournalismus generell stärker die soziale Komponente (z. B. faire Bedingungen bei Lieferketten) und die ökologische Dimension von Nachhaltigkeit (z. B. die Umwelt- und Klimabilanz von Unternehmen) berücksichtigen sollte.

Forschungsstand:
Heinrich/Moss stellten im Jahr 2006 fest: „Die Literatur ist immer noch überschaubar, auch im nicht deutschsprachigen Raum. Dies ist überraschend, weil sowohl das System der Wirtschaft als auch das System der Massenkommunikation eine große Bedeutung für die Gesellschaft wie für den Einzelnen hat…“ (Heinrich/Moss 2006: 9). Bis zu diesem Zeitpunkt war vor allem Ratgeber-Literatur erschienen, die die Optimierung der praktischen Arbeit in den Mittelpunkt stellt. Dazu zählen die Bände von Ruß-Mohl/Stuckmann (1991), Viehöfer (2003) sowie – stärker theoretisch fundiert – von Mast (2003). Dieser Strang der Literatur dominiert bis heute, was sich u. a. in den Bänden von Wolf/Reckinger (2011) zum Finanzjournalismus, Brandstetter (2015) zum Verbraucherjournalismus und Frühbrodt (2020) zur Unternehmensberichterstattung niedergeschlagen hat.

Mit den Finanzkrisen 2008-14 wurden die bereits zitierten Studien von Arlt/Storz (2010) und Otto/Köhler/Baars (2016) veröffentlicht. Eine prägende Rolle für die Neuausrichtung des Wirtschaftsjournalismus spielte sicher die empirische Studie von Mast aus dem Jahr 2012. Knauß (2016) kritisierte, dass die Mehrheit der Wirtschaftsjournalist:innen immer noch dem Dogma von der Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums anhänge. Dieses Dogma wird schon seit Längerem von progressiven Ökonomen in Frage gestellt. Der Sammelband von Otto/Köhler (2017) stellte eine kritische Bestandsaufnahme des wirtschaftspolitischen Journalismus dar. Der Sammelband Journalismus zwischen Autonomie und Nutzwert von Renner/Schulz/Wilke (2017) lieferte einige kritische Reflektionen zum Finanzjournalismus. So ist die Forschung seit der Bestandsaufnahme von Heinrich/Moss im Jahr 2006 zwar weitergekommen, die Zahl der Publikationen ist aber nach wie vor relativ gering.

Literatur:

Arlt, Hans-Jürgen; Wolfgang Storz: Krisenerlebnisse und Lernprozesse des Wirtschaftsjournalismus. Frankfurt/Main [Otto-Brenner-Stiftung] 2010.

Brandstetter, Barbara: Verbraucherjournalismus. Konstanz [UVK] 2015.

Brandstetter, Barbara; Steffen Range: Wirtschaft. Basiswissen für die Medienpraxis. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2017.

Frühbrodt, Lutz: Wirtschaftsjournalismus. Ein Handbuch für Praxis und Ausbildung. Berlin [Econ Verlag] 2007.

Frühbrodt, Lutz: Journalistische Praxis: Wirtschaftsjournalismus. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2020.

Heinrich, Jürgen; Christoph Moss: Wirtschaftsjournalistik. Grundlagen und Praxis. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2006.

Knauß, Ferdinand: Wachstum über alles? Wie der Journalismus zum Sprachrohr der Ökonomen wurde. München [oekom Verlag] 2016.

Mast, Claudia: Wirtschaftsjournalismus. Grundlagen und neue Konzepte für die Presse. 2. Auflage. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2003.

Mast, Claudia: Neuorientierung im Wirtschaftsjournalismus. Redaktionelle Strategien und Publikumserwartungen. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2012.

Mast, Claudia; Klaus Spachmann: Was leistet der wirtschaftspolitische Journalismus? Strukturen, Strategien und Vorgehensweise. In: Otto, Kim; Andreas Köhler (Hrsg.): Qualität im wirtschaftspolitischen Journalismus. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2017, S. 49-73.

Müller, Henrik: Funktionen und Selbstverständnis des wirtschaftspolitischen Journalismus. In: Otto, Kim; Andreas Köhler (Hrsg.): Qualität im wirtschaftspolitischen Journalismus. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2017, S. 27-48.

Otto, Kim; Andreas Köhler; Kristin Baars: „Die Griechen provozieren!“ Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung über die griechische Staatsschuldenkrise. [Otto-Brenner-Stiftung] 2016.

Otto, Kim; Andreas Köhler: Einführung: Qualität im wirtschaftspolitischen Journalismus. Aktuelle Herausforderungen, Fragestellungen, Befunde und Strategien. In: Otto, Kim; Andreas Köhler (Hrs.): Qualität im wirtschaftspolitischen Journalismus. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2017, S. 1-27.

Reckinger, Gabriele; Volker Wolff: Finanzjournalismus. Konstanz [UVK] 2011.

Renner, Karl Nikolaus; Tanjev Schulz; Jürgen Wilke (Hrsg.): Journalismus zwischen Autonomie und Nutzwert. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2017.

Ruß-Mohl, Stephan; Heinz D. Stuckmann: Wirtschaftsjournalismus. Ein Handbuch für Praxis und Ausbildung. München [Paul List Verlag] 1991.

Viehöver, Ulrich: Ressort Wirtschaft. Konstanz [UVK] 2003.

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Lutz Fruehbrodt
Prof. Dr., leitet seit 2008 den Master-Studiengang „Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Von 2008 bis 2013 hielt er eine Stiftungsprofessur der Vogel-Stiftung Dr. Eckernkamp inne. Der promovierte Ökonom arbeitete von 2000 bis 2008 als Technologie-Reporter in der Wirtschaftsredaktion der „Welt“-Gruppe. Er publiziert vor allem über mediensoziologische und medienökonomische Themen sowie über Wirtschaftskommunikation.