Relevanz

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Wortherkunft: aus dem Adjektiv ‘relevant’ abgeleitetes Substantiv; vermutlich abstammend vom lat. Verb ‘relevare’ = in die Höhe heben

Der Begriff bezeichnet im Journalismus (1) die Bedeutsamkeit von Ereignissen und Entwicklungen für die Öffentlichkeit als journalistisches Selektions- und Qualitätskriterium; (2) die Bedeutsamkeit von Einzelaspekten eines Ereignisses oder einer Entwicklung.

(1) Die Aufgabe bzw. in systemtheoretischen Ansätzen die Funktion des Journalismus wird in der Regel in der Kommunikation über Geschehnisse gesehen, die für die Öffentlichkeit von Bedeutung sind. Problematisch ist es allerdings, im konkreten Einzelfall zu entscheiden, welche Sachverhalte für den Journalismus relevant sind und welche nicht. Dies ergibt sich daraus, dass in modernen, pluralistisch und arbeitsteilig organisierten Gesellschaften keine einzelne Instanz in der Lage ist, verbindliche Entscheidung über die Relevanz von Ereignissen zu treffen.

Der Journalismus hat daher eigene Entscheidungsroutinen zur Bestimmung der Relevanz, die oft auch als → Nachrichtenwert bezeichnet wird, entwickelt. Zu deren Beschreibung wird häufig auf die wesentlich von Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge im Jahr 1965 begründete Nachrichtentheorie zurückgegriffen. Die beiden Wissenschaftler identifizierten insgesamt zwölf von Journalisten angewandte Selektionskriterien, so genannte Nachrichtenfaktoren. Ähnliche Kataloge von Selektionskriterien waren schon Jahrzehnte vor der Entwicklung der Nachrichtentheorie in journalistischen Lehrbüchern (etwa von Walter Lippmann 1922) zu finden. Feste Regeln zur Nachrichtenauswahl gab es offenbar sogar schon in den Neuen Zeitungen des 16. Jahrhunderts. Eine systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Relevanzkriterien entwickelte sich in Europa jedoch erst nach der Veröffentlichung von Galtung und Ruge. Die Theorie wurde seither vielfach geprüft, bestätigt und weiterentwickelt. Zu den am häufigsten genannten Nachrichtenfaktoren zählen dabei Reichweite, Wirkungsintensität (Schaden oder Nutzen), Prominenz, Macht, Nähe, Überraschung, Personalisierung, Kontroverse und Themenetablierung.

Diese Selektionskriterien haben sowohl Einfluss auf die Entscheidung, ob ein Ereignis überhaupt zum Thema der Berichterstattung wird, als auch auf die Entscheidung über Platzierung und Umfang der Berichterstattung. In der Journalismusforschung werden jedoch nicht alle dieser Nachrichtenfaktoren als positiv zu wertende professionelle Relevanzindikatoren betrachtet. Vielmehr wird ihnen oft auch eine verzerrende Wirkung bescheinigt – etwa im Hinblick auf eine Bevorzugung mächtiger gegenüber weniger mächtigen Personen oder Organisationen. Auch deshalb hat die journalismuswissenschaftliche Qualitätsforschung teilweise auf andere Methoden zur Bestimmung von Relevanz zurückgegriffen – etwa auf die Beurteilung der Berichterstattung durch Experten, den Vergleich mit statistischen Daten oder die Befragung des Publikums bzw. die Messung des Nutzungsverhaltens in elektronischen Medien.

(2) Ergänzt wird das oben dargestellte Konzept der ‘externen Relevanz’ durch die ‘interne Relevanz’. Bei der Bestimmung der internen Relevanz geht es darum, die wichtigsten unter verschiedenen, miteinander um redaktionellen Raum konkurrierenden Einzelaspekte innerhalb eines Themas zu finden. Dies kann wie bei der Bestimmung der externen Relevanz durch den Rückgriff auf Nachrichtenfaktoren erfolgen – etwa dann, wenn Journalisten in Deutschland entscheiden, ausführlicher über deutsche Opfer einer Naturkatastrophe in Südostasien zu berichten als über asiatische. Darüber hinaus nutzen Journalisten zur Bestimmung interner Relevanz aber auch stärker formal geprägte Kriterien wie die in der journalistischen Praxis bekannten W-Fragen. Sie dienen dazu, sicherzustellen, dass in kurzen Nachrichten die wichtigsten Elemente von Ereignissen – etwa Ort, Zeit und Ablauf des Geschehens sowie die handelnden Personen – genannt werden und in längeren Beiträgen darüber hinaus auch Informationen zu Hintergründen und möglichen Folgen sowie Kommentare des Autors sinnvoll eingesetzt werden.

Literatur:

Galtung, Johan; Mari Holmboe Ruge: The Structure of Foreign News. In: Journal of Peace Research, 1, 1965, S. 64-91

Hagen, Lutz M.: Informationsqualität von Nachrichten. Meßmethoden und ihre Anwendung auf die Dienste von Nachrichtenagenturen. Opladen [Westdeutscher Verlag] 1995

Handstein, Holger: Qualität im lokalen Zeitungsjournalismus. Theoretischer Entwurf und empirische Fallstudie. München [AVM] 2010

Lippmann, Walter: Public Opinion. New York [Macmillan] 1965

McQuail, Denis: Media Performance. Mass Communication and the Public Interest. London [Sage] 1992

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Holger Handstein
*1976, Dr., hat an der Technischen Universität Dortmund zum Thema Qualität im Journalismus promoviert. Er arbeitet als Kommunikationsberater in Köln. Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte: Qualität im Journalismus, Verhältnis von Journalismus und PR. Kontakt: post (at) handundstein.de Holger Handstein hat einen Einführungsbeitrag zum Thema → Qualität im Journalismus geschrieben.