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Nachrichtenfaktoren

Eine Einführung von Beatrice Dernbach

Wortherkunft: zusammengesetztes Nomen aus ‘Nachrichten’ und ‘Faktor’, lat. factor = derjenige, der etwas tut, schafft; Multiplikator, Zahl, die mit einer anderen multipliziert wird; figurativ bestimmendes Element, maßgebender Umstand

Der Begriff des Nachrichtenfaktors wurde im Amerikanischen geprägt und bezieht sich auf engl. news value = Nachrichtenwert. Im Deutschen werden die Begriffe Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert deshalb häufig synonym verwendet. Sie beschreiben Merkmale von Ereignissen und Themen, die für die Publikation in journalistischen Nachrichten selektiert werden und je nach ihrer Quantität, Intensität und Kombination den Wert einer Nachricht ausmachen. Ein hoher Nachrichtenwert erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Ereignisse von Journalisten wahrgenommen und ausgewählt werden. Darüber hinaus beeinflussen Nachrichtenfaktoren, in welcher Form das Thema bearbeitet wird und welche konkreten Aspekte dargestellt bzw. besonders hervorgehoben werden.

Ereignisse verfügen nicht per se über diese Kriterien, sondern sie werden ihnen zugeschrieben. Diese Kriterien gelten als manifeste Stereotype, an die sich Journalisten im routinierten Selektionsprozess ihres Mediums, ihrer Redaktion und ihres Themenfeldes halten. Dabei spielen die angenommenen Motive des Publikums, bestimmte Angebote wahrzunehmen und andere zu ignorieren, eine herausragende Rolle (vgl. hierzu das Zwei-Komponenten-Modell nach Kepplinger 1998).

Die Studien von Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge (1965) sowie Winfried Schulz (1976/1990) sind nach wie vor grundlegend für die Nachrichtenfaktorenforschung. Letzterer arbeitete die bis heute gebräuchlichen sechs Dimensionen der Nachrichtenwerte aus, unter die er wiederum 18 Faktoren zusammenfasst:

1. Dimension: Zeit. Sie bezieht sich auf die Dauer des Geschehens (Kurz- versus Langzeitereignisse) sowie auf die Thematisierung: Handelt es sich um ein langfristig eingeführtes oder ein noch nicht etabliertes Thema?

2. Dimension: Nähe. Sie lässt sich unterteilen in räumliche (geographische), politische und kulturelle Nähe und ermittelt abhängig von dieser Grundlage die Relevanz, also die Bedeutung des Ereignisses und den Grad der Betroffenheit.

3. Dimension: Status. Faktoren sind hier die regionale und nationale Zentralität sowie Prominenz und persönlicher Einfluss der am Ereignis beteiligten Menschen.

4. Dimension: Dynamik. Als entscheidende Faktoren lassen sich hierbei der Grad der Überraschung, aber auch die Struktur des Ereignisses benennen.

5. Dimension: Valenz. Die Wertigkeit entspricht in dieser Dimension oft dem Wesen einer ‘bad news’ und basiert daher auf Faktoren wie Konflikt, Kriminalität, Schaden und Misserfolgen; zugehörig sind aber im Gegensatz dazu auch Erfolg und Fortschritt.

6. Dimension: Identifikation. Als ebenso relevant für eine journalistische Berichterstattung können je nach Thema die Faktoren Personalisierung und Ethnozentrismus gelten. Letzterer stellt die Werte und Eigenschaften der eigenen Nation und dabei etwa deren globale Bedeutsamkeit in den Mittelpunkt, wobei der Begriff bereits vor über 100 Jahren in die Wissenschaft eingeführt wurde.

Viele Forscher haben sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem darum bemüht, für die Operationalisierung des Katalogs in empirischen Studien (primär Inhaltsanalysen) die Faktoren einerseits zu bündeln, beispielsweise unter der Zeit-, der Sach- und der Sozialdimension, und andererseits weiter auszudifferenzieren. Vor allem Langzeitstudien zeigen, dass die Nachrichtenauswahl in den Redaktionen einem historischen und zeitgeschichtlichen Wandel unterworfen ist. Alle Untersuchungen stellen das Nachrichtenfaktoren-Konzept insgesamt nicht infrage, sondern sie zeigen, dass bestimmte Kriterien mehr oder weniger Priorität genießen; bestätigt hat sich die relativ stabile Wirksamkeit der Faktoren Etablierung des Themas, Betroffenenreichweite, Kontroverse und Prominenz, Schaden/Nutzen, Aggression, Nähe und Status der Ereignisnation.

An den Studien wird vor allem kritisiert, dass sie nicht darüber aufklären können, ob und warum über ein Ereignis berichtet wird, sondern wie. In Inhaltsanalysen wird gezählt, wie viele Zeilen eine Nachricht lang und wo sie platziert ist. Die Herausforderung besteht nach wie vor darin, den Zusammenhang herzustellen zwischen den Nachrichtenfaktoren als Kriterien, die die Aufmerksamkeit von Journalisten und Rezipienten beeinflussen, und den Nachrichtenfaktoren als Merkmale von berichteten Ereignissen, wie sie in Inhaltsanalysen erhoben werden.

Literatur:

Galtung, Johan; Mari Holmboe Ruge: The Structure of Foreign News. In: Journal of Peace Research, 2, 1965, S. 64-91

Kepplinger, Hans Mathias: Der Nachrichtenwert der Nachrichtenfaktoren. In: Holtz-Bacha, Christina; Helmut Scherer; Norbert Waldmann (Hrsg.): Wie die Medien die Welt erschaffen und wie wir darin leben. Opladen [Westdeutscher Verlag] 1998, S. 19-38

Kepplinger, Hans Mathias: News factors. In: Donsbach, Wolfgang (Hrsg.): The International Encyclopedia of Communication, Band 7. Oxford/Malden [Blackwell Publishing] 2008, S. 3245-3248

Östgaard, Einar: Factors Influencing the Flow of News. In: Journal of Peace Research, 2, 1965, S. 39-63

Ruhrmann, Georg; Roland Göbbel: Veränderung der Nachrichtenfaktoren und Auswirkungen auf die journalistische Praxis in Deutschland. Abschlussbericht für Netzwerk Recherche e.V. http://www.netzwerkrecherche.de/files/nr-studie-nachrichtenfaktoren.pdf. 2007

Schulz, Winfried: Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Analyse der aktuellen Berichterstattung. 2. Auflage. Freiburg/München [Karl Alber] 1990

Beatrice Dernbach
*1964, Prof. Dr., lehrt und forscht seit März 2014 an der Technischen Hochschule Nürnberg im Studiengang Technikjournalismus/Technik-PR. Arbeitsschwerpunkte: Fachjournalismus, Wissenschaftskommunikation, Nachhaltigkeit und Ökologie im Journalismus, Narration im und Vertrauen in Journalismus. Kontakt: beatrice.dernbach (at) th-nuernberg.de Zu Nachrichtenfaktoren im Journalismus hat Beatrice Dernbach einen → Einführungsbeitrag geschrieben.

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