Küchenzuruf

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Auch wenn der Begriff altbacken anmutet und aus einer Zeit zu stammen scheint, in der man sich im Druckgewerbe um Gleichberechtigung der Frauen nicht scherte – der Kü­chen­zuruf ist erst wenige Jahrzehnte alt. Henri Nannen, von 1949 bis 1980 Chefredakteur des Stern, hat die Metapher geprägt. Sie soll ausdrücken, dass jeder journalistische Beitrag ei­ne Kern­botschaft enthalten muss, eine Quintessenz, die man in einem Atemzug einem anderen zu­rufen kann. Fehle dieser Neuigkeitskern, dann sei eine Geschichte schlecht, schrieb Nannen sei­nem Re­dak­ti­onsteam hinter die Ohren.

In dem Beispiel, das er dafür formulierte, ließ Nannen einen „Hans“ im „Esszim­mer“ den Stern lesen, während „Frau Grete“ in der Küche „sich die Schürze umbin­det, um sich für den Abwasch vorzubereiten“. Nach „beendigter Lektüre“ ruft der Hans seiner Grete in die Kü­che zu: „Mensch Grete, die in Bonn spinnen komplett! Die wollen schon wieder die Steu­ern erhö­hen!“ (zit. n. Fasel 2008: 11).

Nicht nur über die Rollenverteilung in diesem Sprachbild, sondern auch über die inhaltliche Ori­ginalität lässt sich streiten. Denn der Küchenzuruf drückt nur eine Selbstverständlichkeit aus, die sich seit Jahrhunderten z. B. in → Überschriften niederschlägt.

Literatur:

Fasel, Christoph: Textsorten. Konstanz [UVK] 2008

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Gunter Reus
*1950, Prof. Dr., ist apl. Professor i. R. für Journalistik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Kulturjournalismus, Pressejournalismus, Journalismusforschung, Sprache und Stil der Massenmedien. Kontakt: gunter.reus (at) ijk.hmtm-hannover.de Gunter Reus hat Einführungsbeiträge zum → journalistischen Jargon sowie zu → Sprache und Stil im Journalismus geschrieben.