Stockfotografie

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Wortherkunft: engl. stock = Halde, Lager, Vorrat

Der Begriff Stockfotografie ist eine eingedeutschte Wortschöpfung aus dem Englischen und beschreibt die Produktion von Fotografien auf Vorrat zu vorher festgelegten Stichwörtern, die von spezialisierten Bildagenturen vertrieben werden. Einige Autoren sprechen deswegen auch von Vorratsfotografie (vgl. Bruhn 2003: 34). Das Phänomen der Stockfotografie ist auf die Digitalisierung der Fotografie und neue Entwicklungen auf dem Bildermarkt, etwa die Entwicklung neuer Lizensierungsmodelle wie RF (Royalty Free) zurückzuführen. Gegen eine einmalige Nutzungsgebühr können bei RF umfassende – oft im Hinblick auf Zeit und Ort unbegrenzte – Nutzungsrechte erworben werden (vgl. Bermann 2006: 104). Die RF-Lizenzen stehen in Konkurrenz zum klassischen Modell der RM-Lizenzen (Rights Managed), bei dem für jede Publikation je nach Nutzungsumfang die Nutzungsrechte neu geklärt werden müssen. Mit der Herausbildung von Mikro-Stock Agenturen, die über das Internet Stockfotografien zu besonders günstigen Konditionen anbieten, gibt es auch Schnittmengen zur Amateurfotografie. Während unter den Universalagenturen Getty Images über den größten Pool von Stockfotografien verfügt, sind die größten Spezialagenturen für Stockfotografie Shutterstock und Adobe Stock.

Die Vorläufer der Stockfotografie liegen in der Ausbildung von auf bestimmte Bereiche wie „Food Photography“ oder Automobilität spezialisierte Bildagenturen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Entwicklung der eigentlichen Stockfotografie nahm jedoch ihren Anfang in den 1980er Jahren mit der Einführung illustrierter Verkaufskataloge einzelner Bildagenturen. In gedruckter Form oder als CD-Roms unterbreiteten die Agenturen „ihren Kunden Lösungsvorschläge für allerlei Visualisierungsaufgaben“ (Bruhn 2003: 38). Zwei weitere entscheidende Faktoren waren die Gründung der Bildagenturen „Corbis“ (1989) und „Getty Images“ (1995), die die Bildproduktion konsequent auf die Vermarktung über das Internet umstellten und die Profitorientierung in den Vordergrund rückten (vgl. Ullrich 2008: 52). Ohne die Möglichkeiten digitaler Vernetzung und Verteilung fotografischer Bilder ist das Phänomen der Stockfotografie also nicht denkbar.

Auch wenn die Stockfotografie „zunächst keine ,Gattung‘ von Fotografien“ (Bruhn 2003: 34) darstellt, so hat sich unter dem Phänomen doch eine gewisse Bildästhetik verbreitet, die sich durch die Arbeit mit Unschärfe, Aus- und Anschnitten sowie Überbelichtungen auszeichnet. Kennzeichnend für Stockfotografie ist ihre Zeit- und Ortlosigkeit, ihre Kontextoffenheit sowie eine kulturell neutrale oder plurale Gestaltung (vgl. Ullrich 2008: 53 f.). Mit den grundsätzlich positiv konnotierten Bildwelten geht einher, dass bei der „Wirklichkeitsorientierung wesentliche politische oder soziale Fragen ausgeblendet sein müssen“ (Bruhn 2003: 42). Die Motivgruppen werden unter Stichwörtern wie „Familie mit Kind“, „Spielende Kinder“ oder „Mann im Büro“ zur Verfügung gestellt und leisten einer gewissen Stereotypisierung Vorschub. Genau diese wird jedoch „als Voraussetzung für die Erschließung eines globalen Marktes verstanden“ (vgl. Runge 2015: 125). Die RF-Lizenzen erlauben, dass ein Bild zeitgleich in einem Werbeplakat und in einer journalistischen Publikation erscheinen kann, was zum Begriff Joker-Bild geführt hat (vgl. Ullrich 2006: 99).

In journalistischen Publikationen werden Stockfotografien verstärkt genutzt, vor allem aufgrund der geringen Kosten und der vielseitigen Einsetzbarkeit der Bilder. Die Zunahme von Stockfotografien ist Teil eines Trends im Journalismus hin zu einer stärkeren Visualisierung, da sie die Palette von Visualisierungsmöglichkeiten erweitern. Genutzt werden Stockfotografen vor allem zur abstrakten Illustration im Sinne von Symbolbildern (vgl. Runge 2015: 133), vornehmlich auf Titelseiten und in den weniger nachrichtlich orientierten Rubriken wie Wirtschaft, Kultur, Sport oder Gesellschaft.  Nicht abgeschlossen ist die Debatte, ob die Stockfotografie ein Teil des → Fotojournalismus ist. Dafür spricht, dass journalistische Redaktionen Stockfotografie intensiv nutzen. Stockfotografie wird auch als Element eines „positiven Journalismus“ betrachtet (vgl. Runge 2015: 138). Dagegen spricht, dass die Produktionsbedingungen der Stockfotografie nicht an journalistischen Maßstäben orientiert sind.

Literatur:

Bergmann, Monika: Die Bilderjagd: Beruf des Bildredakteurs. Sinzheim [PIAG] 2006.

Bruhn, Matthias: Bildwirtschaft – Verwaltung und Verwertung der Sichtbarkeit. Weimar [VDG] 2003.

Frosh, Paul: The Image Factory: Consumer Culture, Photography and the Visual Content Industry. Oxford [Berg] 2003.

Runge, Evelyn: Im Auge des Jokers: Stockfotos in journalistischen Medien. In:  Deutscher-Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Positiver Journalismus. Konstanz [UVK] 2015, S. 123-140.

Ullrich, Wolfgang: Bilder auf Weltreise, Berlin [Wagenbach] 2006.

Ullrich, Wolfgang: Bilder zum Vergessen. Die globalisierte Industrie der ,Stock Photography‘. In:  Grittmann, Elke; Irene Neverla; Ilona Ammann (Hrsg.): Global, lokal, digital: Fotojournalismus heute. Köln [von Halem] 2008, S. 51-61.

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*1979, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der Hochschule Hannover. Leitung eines Postdoc-Forschungsprojekts über bildredaktionelle Praktiken im digitalen Zeitungsjournalismus. Arbeitsschwerpunkte: Visuelle Kommunikation, zeitgenössischer Fotojournalismus, visuelle Medienkompetenz. Kontakt: felix.koltermann (at) hs-hannover.de