Wissenschaftsjournalismus

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Wortherkunft und Definition:
Wissenschaftsjournalismus setzt sich aus den Begriffen ‚Wissenschaft‘ und ‚Journalismus‘ zusammen, wobei der erste Bestandteil wie beim Wirtschafts-, → Sport-, oder Politikjournalismus den Gegenstand bezeichnet, über den journalistisch berichtet wird. Er ist jener Teilbereich des Journalismus, der sich einerseits mit Themen und Ereignissen aus der Wissenschaft beschäftigt, andererseits aber auch Vorgänge in anderen Bereichen journalistisch aufbereitet, sofern sie einen Bezug zur Wissenschaft haben (Blöbaum 2017). Anlässe für Wissenschaftsjournalismus finden sich daher beispielsweise auch in der Politik (z.B. wissenschaftspolitische Entscheidungen) oder dem Sport (z. B. Doping oder Sportpsychologie) (Kohring 1997). Wie die COVID-19 Pandemie deutlich zeigt, ist die Berichterstattung über Wissenschaftsthemen nicht auf das spezialisierte Wissenschaftsressort beschränkt (Volpers/Summ 2015). Zu unterscheiden ist also zwischen (1) Berichterstattung über wissenschaftliche Ereignisse im Wissenschaftsressort (z. B. die Veröffentlichung einer Studie zu Gründen für das Aussterben von Tierarten), (2) Berichterstattung über Vorgänge in anderen Bereichen im Wissenschaftsressort (z. B. hochschulpolitische Entscheidungen, Wirkweise verschiedener Doping-Substanzen) und (3) Berichterstattung über wissenschaftliche Themen in anderen Ressorts (z. B. kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse zu Shitstorms im Medienressort oder Studien zu Impfstoffen in Berichten über die Impfpflicht-Diskussion im Politikressort).

Der Begriff Wissenschaftsjournalismus ist verwandt mit den Begriffen ‚Wissenschaftskommunikation‘ und ‚Wissenschaftsberichterstattung‘, aber nicht synonym mit ihnen zu verwenden. Wissenschaftskommunikation bezeichnet alle Formen der wissenschaftsbezogenen Kommunikation und umfasst neben dem Wissenschaftsjournalismus auch die strategische Wissenschaftskommunikation (z. B. von Hochschulen oder Wissenschaftler*innen selbst).
Sie ist also ein umfassenderer Begriff als ‚Wissenschaftsjournalismus‘. Dieser bezieht auch den Prozess journalistischen Arbeitens (Recherche, Selektion und Abstimmungsprozesse) sowie die Rahmenbedingungen (wie wirtschaftliche Zwänge und technologische Möglichkeiten) ein (Blöbaum 2017). Die Bezeichnung ‚Wissenschaftsberichterstattung‘ meint dagegen ein begrenzteres Feld: Sie bezeichnet lediglich die → Medieninhalte.

Geschichte und gegenwärtiger Zustand:
Die Geschichte des Wissenschaftsjournalismus im Speziellen ist eng verbunden mit der Entwicklung von Wissenschaftskommunikation im Allgemeinen. Wissenschaftler*innen war es seit jeher ein Anliegen, ihre Erkenntnisse mit der → Öffentlichkeit zu teilen. Dies taten sie schon Anfang des 16. Jahrhunderts, indem sie Experimente einem staunenden Publikum vorführten (Weingart 2006). Auch nachdem Wissenschaft ihre Unmittelbarkeit dadurch verloren hatte, dass sie verstärkt in Akademien und nicht mehr vor → Publikum stattfand, waren Wissenschaftler*innen bestrebt, ihre Erkenntnisse der Laienöffentlichkeit zu vermitteln. Noch im 19. Jahrhundert verstanden sie es als zentralen Teil des Berufs, Ergebnisse ihrer Arbeit verständlich aufzubereiten (Dunwoody 2014). Zunehmend spezialisierten sie sich jedoch. Durch die damit größer werdende Lücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit waren sie bald nicht mehr in der Lage, Erkenntnisse selbst an die als unwissend wahrgenommene Bevölkerung zu vermitteln. Aus der Perspektive der Wissenschaft sollten nun Journalist*innen die Aufgabe der Popularisierung übernehmen. Und tatsächlich konzentrierten Medien sich zunächst auf die reine Vermittlung und Übersetzung wissenschaftlicher Erfolge (Wormer 2017). Erst Mitte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Professionalisierung und Institutionalisierung eines Wissenschaftsjournalismus, der sich dadurch auszeichnet, dass er sich nicht mehr als Sprachrohr der Wissenschaft versteht, sondern Themen mit Wissenschaftsbezug anhand einer journalistischen Logik (siehe → Medienlogik) als kritischer Beobachter bearbeitet – auch wenn an den Journalismus von Seiten der Wissenschaft durchaus weiterhin der Anspruch herangetragen wurde (und wird), wissenschaftliche Erkenntnisse unkritisch für ein Laienpublikum aufzubereiten (Blöbaum 2017). Die Emanzipation des Wissenschaftsjournalismus, die in den 50er und 60er Jahren zur Gründung erster Wissenschaftsressorts in Deutschland führte (Meier 2008), wurde durch zwei gesellschaftliche Prozesse angestoßen: einerseits die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft, in deren Zuge wissenschaftliche Expertise für immer mehr Lebensbereiche handlungsrelevant wurde; andererseits die Vergesellschaftung der Wissenschaft, die kennzeichnet, dass sich Wissensproduktion wachsendem Legitimationsdruck ausgesetzt sieht.

Doch auch wenn die Relevanz von wissenschaftlichem Wissen in Wissen(schaft)sgesellschaften (Weingart 2001) enorm ist, führt der Wissenschaftsjournalismus ein Nischendasein: Der → Organisationsgrad als eigenes → Ressort ist nicht so ausgeprägt wie bei den Themen Politik, Wirtschaft, → Kultur und Sport, und die Gruppe der Wissenschaftsjournalist*innen macht einer Berechnung von Blöbaum (2008) zufolge gerade einmal ein Prozent aller Journalist*innen aus. Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass wissenschaftsbezogene Inhalte eine marginale Rolle in Medienangeboten spielen würden, da über viele derartige Themen auch außerhalb des Wissenschaftsressorts und von Journalist*innen ohne Spezialisierung in diesem Bereich berichtet wird. Ihnen fehlt jedoch oft das Verständnis für die Spezifik des wissenschaftlichen Prozesses, was wiederum zu einem wachsenden Bedarf nach wissenschaftlicher Expertise führt, also zu einer Abhängigkeit von wissenschaftlichen Quellen, die eine unkritische Berichterstattung im Dienste der Wissenschaft begünstigen mag.

Mit der Medienkrise verlor der Wissenschaftsjournalismus weiter an Stellenwert, da er in vielen Medienhäusern als verzichtbar galt (Schäfer 2017). Die Digitalisierung hatte dabei für Wissenschaftsjournalist*innen nicht nur negative Konsequenzen in Form von wachsender Konkurrenz und zunehmender Arbeitsbelastung; inzwischen bieten sich etwa deutlich effizientere → Recherchewege für spezialisierte Informationen, die sich an eine konkrete Zielgruppe richten (Blöbaum 2017; Schäfer 2017). Spezialisierte Wissenschaftsjournalist*innen versuchen sich daher zunehmend als Freelancer und betreiben auf Wissenschaft fokussierte Online-Kanäle (Schäfer 2017). Während also die Nachfrage nach wissenschaftlichem Wissen gestiegen ist – in Zeiten von COVID-19 war dies wie durch ein Brennglas zu beobachten –, ist das Angebot an spezialisiertem Wissenschaftsjournalismus in traditionellen Nachrichtenmedien im Print, TV oder → Radio geschrumpft.

Forschungsstand:
Der Forschungsstand zu den unterschiedlichen Facetten von Wissenschaftsjournalismus ist sehr reichhaltig; oft aber auch widersprüchlich, was damit zu erklären ist, dass Wissenschaftsjournalismus in verschiedenen Studien unterschiedlich definiert wird. So legen Inhaltsanalysen von Wissenschaftsressorts nahe, dass sich Wissenschaftsjournalismus zum überwiegenden Teil mit den Themenfeldern Medizin und Gesundheit beschäftigt (Dunwoody 2014). Schränkt man die Analyse aber nicht auf das Wissenschaftsressort  ein, zeigt sich eine große Bedeutung auch sozial- und geisteswissenschaftlicher Themen (Volpers/Summ 2015). In wissenschaftsjournalistischen Beiträgen werden selten Informationen zum methodischen Design wissenschaftlicher Studien geliefert; auch die typische Unsicherheit bei der Erhebung wissenschaftlichen Wissens kommt in der Berichterstattung kaum zum Ausdruck; wenn doch, dann wird sie meist als Konflikt zwischen Wissenschaftler*innen beschrieben. Allerdings spielt der wahrgenommene Evidenzgrad von Studien für Journalist*innen eine große Rolle bei der Entscheidung, ob sie über eine Studie berichten oder nicht (Blöbaum/Nölleke 2012). Weitere Kriterien, die über die Publikationswürdigkeit im Wissenschaftsjournalismus entscheiden, sind identisch mit denen im Journalismus allgemein, u. a. Neuigkeit, → Personalisierung, → Negativität, Unerwartbarkeit, Valenz und Nähe (Blöbaum 2017). Auch hinsichtlich des Rollenselbstverständnisses ähneln Wissenschaftsjournalist*innen ihren Kolleg*innen in anderen Ressorts: Sie wollen neutral und faktengetreu informieren, verstehen es aber etwas häufiger als ihre Aufgabe, komplizierte Sachverhalte zu erklären (Blöbaum 2008). Insgesamt deutet der Forschungsstand also darauf hin, dass Wissenschaftsjournalismus journalistischen und nicht wissenschaftlichen Normen folgt. Allerdings haben → Quellen aus der Wissenschaft eine große Bedeutung und werden (auch aufgrund der fehlenden Expertise der Journalist*innen) nur selten kritisch hinterfragt, sodass die Darstellung vieler Themen noch immer stark dem Modell der Popularisierung von wissenschaftlichem Wissen folgt (Schäfer 2017).

Literatur:

Blöbaum, Bernd: Wissenschaftsjournalismus. In: Bonfadelli, Heinz; Birte Fähnrich; Corinna Lüthje; Jutta Milde; Markus Rhomberg; Mike S. Schäfer (Hrsg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden [Springer VS] 2017, S. 221-238.

Blöbaum, Bernd: Wissenschaftsjournalisten in Deutschland: Profil, Tätigkeiten und Rollenverständnis. In: Hettwer, Holger; Markus Lehmkuhl; Holger Wormer; Franco Zotta (Hrsg.): WissensWelten. Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis. Gütersloh [Verlag Bertelsmann Stiftung] 2008, S. 245–256.

Blöbaum, Bernd; Daniel Nölleke: ‚If you doubt leave it out!‘ Journalists’ processing of uncertain scientific information. Full Paper Presented at the 1st Conference on Journalism Studies, Santiago de Chile, June 27–29, 2012.

Dunwoody, Sharon: Science journalism. Prospects in the digital age. In: Bucchi, Massimiano; Brian Trench (Hrsg): Routledge handbook of public communication of science and technology. London [Routledge] 2014, S. 27-39.

Kohring, Matthias: Die Funktion des Wissenschaftsjournalismus: Ein systemtheoretischer Entwurf. Wiesbaden [Springer VS] 2013.

Meier, Klaus: Für und Wider des Lebens im Getto. Wissenschaftsjournalisten in den Strukturen einer Redaktion. In: Hettwer, Holger; Markus Lehmkuhl; Holger Wormer; Franco Zotta (Hrsg.): WissensWelten. Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis. Gütersloh [Verlag Bertelsmann Stiftung] 2008, S. 267–278).

Schäfer, Mike S.: How changing media structures are affecting science news coverage. In Jamieson, Kathleen Hall; Dan Kahan; Dietram Scheufele (Hrsg.): The Oxford handbook of the science of science communication. New York [Oxford University Press] 2017, S. 51-57.

Volpers, Anna-Maria; Annika Summ: Der Wandel des einst verspäteten Ressorts – Konstanten und Veränderungen der Wissenschaftsberichterstattung in deutschen Printmedien. In Mike S. Schäfer; Kristiansen, Silje; Bonfadelli, Heinz (Hrsg.), Wissenschaftskommunikation im Wandel. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2015, S. 233-257.

Weingart, Peter: Die Wissenschaft der Öffentlichkeit. Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit. 2. Auflage. Weilerswist [Verlag Velbrück Wissenschaft] 2006.

Weingart, Peter: Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist [Verlag Velbrück Wissenschaft] 2001.

Wormer, Holger: Vom Public Unterstanding of Science zum Public Understanding of Journalism.  In: Bonfadelli, Heinz; Birte Fähnrich; Corinna Lüthje; Jutta Milde; Markus Rhomberg; Mike S. Schäfer (Hrsg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden [Springer VS] 2017, S.  429–450.

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Daniel Nölleke
*1978, Dr., ist seit 2022 Juniorprofessor für Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. Zuvor arbeitete er als Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Er hat 2012 an der Universität Münster zum Thema „Experten im Journalismus“ promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medialisierung, Sportkommunikation und Wissenschaftskommunikation. Kontakt: d.noelleke (at) dshs-koeln.de