Newsgames

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verfasst zusammen mit → Alexander Godulla

Definition:
Newsgames sind eine hybride Form aus Journalismus („News“) und Computerspielen („Games“) (Bogost/Ferrari/Schweizer 2010: 13). Angesichts der Beliebtheit und der kulturellen Bedeutung von Computerspielen stellt diese Verschmelzung den Versuch dar, mit Hilfe von Praktiken des → digitalen Storytelling aktuelle Informationen zu vermitteln (Plewe/Fürsich 2017). Dies grenzt Newsgames von Spielen ab, die im breiteren Sinn Bildungsinhalte vermitteln (Meier 2017: 53). Newsgames werden meist im Kontext spezifischer Ereignisse produziert und sind daher nur bedingt am Ziel orientiert, wiederholt gespielt zu werden (Sicart 2008: 28).

Um das Publikum zu einer eigenen Auseinandersetzung mit Themen und Diskussionen zu animieren, kombinieren Newsgames reale Quellen und Ereignisse mit virtuellen interaktiven Erlebnisräumen (Wiehl 2014). Dabei kann grundsätzlich jedes Phänomen thematisiert werden, das Gegenstand von Journalismus sein könnte. Typisch ist dabei das an bestimmten Regeln orientierte Vorgehen der Spielenden, die häufig in einer Wettbewerbssituation nach der Umsetzung bestimmter Ziele streben (Deterding et al. 2011).

Als Synthese aus den vorliegenden Definitionsansätzen lässt sich folgende Definition für Newsgames vorschlagen (Wolf/Godulla 2018: 10f.): „Newsgames werden von Medienorganisationen und/oder journalistisch arbeitenden Redaktionen herausgegeben und einer potenziell breiten → Öffentlichkeit online oder mobil zur Rezeption zugänglich gemacht. Sie bedienen sich klassischer Elemente des Game Designs (Spielregeln, Spielmechanik, Spielbausteine), um Informationen zu aktuellen oder vergangenen Ereignissen von gesellschaftlicher → Relevanz prozedural aufzubereiten. Sie können diese im Spiel oder im Kontext des Spiels mit Internetspezifika (Selektivität, Multimedialität, Interaktivität, Verlinkung) kombinieren. Die spielende Person erlebt dabei Prozesse, (Hinter-)Gründe und Perspektiven aktiv durch selektive Entscheidungen innerhalb des Spiels.“

Geschichte und gegenwärtiger Zustand:
Der Journalismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durch verschiedene Faktoren deutlich verändert – etwa durch das Aufkommen des stationären und mobilen Internets sowie digitale Endgeräte als Ausspielkanäle. Vor allem jüngere Alterskohorten rezipieren mitunter die Mehrheit der von ihnen zur Kenntnis genommenen Nachrichten über soziale Netzwerke (Newman/Fletcher/Levy/Nielsen 2016: 87). Die gedruckte Tageszeitung ist für diese Kohorten kaum noch relevant (Newman/Fletcher/Kalogeropoulos/Levy/Nielsen 2017: 10). Gleichzeitig verändern sich durch die Sozialisierung mit multioptionalen Endgeräten (Smartphones, Tablets) auch die Erwartungen an Medienangebote (Wolf 2014; Godulla/Wolf 2017).

Vor diesem Hintergrund hat sich die Videospielindustrie zu einem der größten und profitabelsten Medienmärkte der Welt entwickelt (Foxman 2015: 4). Die Vielfalt und Verbreitung mobiler Endgeräte haben den Spielemarkt stark diversifiziert. Während dort daher steigende Umsätze mit hohen Wachstumsraten generiert werden, kämpfen viele Anbieter im Journalismus mit den → ökonomischen Folgen der Digitalisierung.

Seit einigen Jahren experimentieren Medienmarken wie die New York Times, der Guardian oder die Süddeutsche Zeitung deshalb vereinzelt mit der Produktion von Newsgames (u.a. Bogost/Ferrari/Schweizer 2010). Auf diese Weise sollen neue Zielgruppen erschlossen und aktiviert werden (Conill/Karlsson 2016: 5). Insbesondere jüngere Alterskohorten können durch alternative Formen des Storytelling auf diese Weise angesprochen werden. Diese Entwicklung vollzieht sich parallel zum Ausbau eines wachsenden Feldes von Indie-Spieleentwicklern und -publishern, die kontinuierlich mit neuen Erlösmodellen experimentieren. Es besteht daher die Hoffnung, dass Newsgames trotz ihrer kurzen Geschichte Teil innovativer Strategien sein können, um die Aufmerksamkeit für journalistisch aufbereitete Themen zu steigern (Plewe/Fürsich 2017: 12).

Forschungsstand:
Eine intensive wissenschaftliche Begleitung einer möglichen Konvergenz zwischen Journalismus und E-Gaming steht bislang noch aus (Vobič/Dvoršak/Vtič 2014: 123f.). Es liegen jedoch eine Reihe von Fallstudien sowie Texten vor, die sich um eine begriffliche und formale Verortung des Phänomens bemühen (u.a. Bogost/Ferrari/Schweizer 2010; Meier 2017; Plewe/Fürsich 2017; Vobič et al. 2014). Wolf und Godulla (2018) haben außerdem analysiert, ob Newsgames von jungen Zielgruppen tatsächlich mit Interesse aufgenommen werden und ob eine wichtige an sie gerichtete Erwartung überhaupt erreichbar erscheint.

Dabei zeigt sich, dass von journalistischen Medienorganisationen produzierte Newsgames nicht das formale und inhaltliche Niveau erzielen, dass im E-Gaming mittlerweile als Standard anzusehen ist. Insofern gelingt es Newsgames bislang nur unzureichend, ein Interesse für die kommunizierten Themen zu wecken oder positiv zur Wahrnehmung der Muttermarke beizutragen. Wichtige Erkenntnisse zur allgemeinen Bekanntheit und den zum Erfolg von Newsgames beitragenden Kriterien wurden auch von Meier (2017) vorgelegt.

Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass Newsgames Nischenprodukte innerhalb eines digitalen Experimentierfelds bleiben werden. Wesentliche Gründe dafür sind die geringe Budgetierung, die für hochwertige Computerspiele langen Produktionszeiten sowie die grundsätzlich sich unterscheidende Produktionslogik von Journalismus, die nicht vollständig kompatibel zur Produktion von Computerspielen ausfällt (dazu ausführlich Wolf/Godulla 2018). Es ist derzeit jedoch völlig offen, in welchem Umfang Journalismus die Chance ergreifen wird, die steigende Verbreitung von Datenbrillen und immer leistungsfähigeren Smartphones für sich zu nutzen. Virtual und → Augmented Reality werden auf diese Weise derzeit massentauglich, was neue Narrationsoptionen von Newsgames eröffnet.

Literatur:

Bogost, Ian; Simon Ferrari; Bobby Schweizer: Newsgames. Journalism at Play. Cambridge [MIT Press] 2010.

Conill, Raul Ferrer; Michael Karlsson: The Gamification of Journalism. In: Gangadharbatla, Harsha/Donna Z. Davis (Hrsg.): Emerging research and trends in gamification. Advances in multimedia and interactive technologies (AMIT) book series. Hershey [Information Science Reference] 2016, S. 356-383. doi:10.4018/978-1-4666-8651-9.ch015

Deterding, Sebastian; Miguel Sicart; Lennart Nacke; Kenton O’Hara; Dan Dixon: Gamification: Using Game Design Elements in Non-Gaming Contexts. CHI 2011. Vancouver, 2011. doi: 10.1145/1979742.1979575

Foxman, Maxwell: Play the News: Fun and Games in Digital Journalism. A Tow/Knight Report. Tow Center for Digital Journalism, 2015. https://towcenter.org/research/play-the-news-fun-and-games-in-digital-journalism/

Godulla, Alexander; Cornelia Wolf: Digitale Langformen im Journalismus und Corporate Publishing. Scrollytelling – Webdokumentationen – Multimediastorys. Wiesbaden [Springer VS] 2017.

Meier, Klaus: Journalismus zum Spielen: Newsgames als neues digitales Genre. Theoretische Verortung und explorative Nutzungsstudie. In: Hooffacker, Gabriele/Cornelia Wolf (Hrsg.): Technische Innovationen – Medieninnovationen? Herausforderungen für Kommunikatoren, Konzepte und Nutzerforschung. Wiesbaden [Springer VS] 2017, S. 47-61.

Newman, Nic; Richard Fletcher; David A. L. Levy; Rasmus Kleis Nielsen: Reuters Institute Digital News Report 2016. Oxford [Reuters Institute for the Study of Journalism] 2016.

Newman, Nic; Richard Fletcher; Antonis Kalogeropoulos; David A. L. Levy; Rasmus Kleis Nielsen: Reuters Institute Digital News Report 2017. Oxford [Reuters Institute for the Study of Journalism] 2017.

Plewe, Christoph; Elfriede Fürsich, Elfriede: Are Newsgames Better Journalism? In: Journalism Studies, 2017, S. 1-18. doi: 10.1080/1461670X.2017.1351884

Sicart, Miguel: Newsgames: Theory and Design. In: Stevens, Scott M; Shirley Saldamarco (Hrsg.): Entertainment Computing – ICEC 2008, Lecture Notes in Computer Science, 5309. Berlin/Heidelberg [Springer] 2008, S. 27-33.

Vobič, Igor; Lea Dvoršak, Mojca Vtič: Digital Games and Journalism: A Case-study of Slovenian Political Weekly’s Newsgame – Mladina’s Fojba 2000. In: Teorija in Prakska, 51(1), 2014, S. 123-142.

Wiehl, Anna: Newsgames –Typological approach, re-contextualization and potential of an underestimated emerging genre. In: Libraries, Citizens, Societies: Confluence for Knowledge: The IFLA 2014 Conference Proceedings. – s.l.: IFLA, 2014, S. 1-14. https://www.ifla.org/files/assets/newspapers/Geneva_2014/s6-wiehl-en.pdf

Wolf, Cornelia: Mobiler Journalismus: Angebote, Produktionsroutinen und redaktionelle Strategien deutscher Print- und Rundfunkredaktionen. Baden-Baden [Nomos] 2014.

Wolf, Cornelia; Alexander Godulla: Newsgames im Journalismus. Haben sie Potenzial? Was sagen die Nutzer? In: Journalistik, 1(2), 2018, S. 2-21. http://journalistik.online/ausgabe-02-2018/newsgames-im-journalismus/

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Cornelia Wolf
*1982, Prof. Dr., ist seit 2014 Juniorprofessorin für Online-Kommunikation am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. 2018 wurde sie dort zur außerplanmäßigen Professorin ernannt. Ihre Forschung fokussiert crossmediale, digitale und mobile Strategien von Organisationen, Innovations- und Akzeptanzkommunikation sowie den Medienwandel und die Institutionalisierung digitaler Medien. Sie hat Diplom-Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt studiert. Kontakt: cornelia.wolf (at) uni-leipzig.de