Wortherkunft und Definition:
Der Begriff ‚Schleichwerbung‘ bezeichnet die Erwähnung oder Darstellung von Unternehmen, Produkten oder Dienstleistungen im redaktionellen Teil von Medien, für die eine Gegenleistung seitens des Auftraggebers (in der Regel die Bezahlung eines Honorars) existiert, ohne dass dies die Leser, Hörer, Seher oder User erkennen können. Das bedeutet: Bezahlte Werbung tarnt sich als redaktionelles bzw. journalistisches Produkt und wird damit zu irreführender Werbung.
Der Terminus Schleichwerbung akzentuiert diese Irreführung auf doppelte Weise: Er betont das Einschleichen von Werbung in den redaktionellen Kontext und er weist darauf hin, dass die Aufmerksamkeit der Rezipienten durch Täuschung erschlichen werden soll.
Schleichwerbung gilt als unzulässig und ist in der Regel verboten. Grundsätzlich geht es dabei „nicht um die Verteufelung der Werbung, sondern um Überprüfbarkeit durch Transparenz“ (Baerns 1996: VII). Der Text (Werbeaussage) und sein Kontext (redaktionelles Umfeld) sollen für die Rezipienten erkennbar sein. Transparenz ist kommunikationsethisch relevant (Bentele 2015) und außerdem ein fundamentaler Anspruch an die kommunikative Qualität von Öffentlichkeit in einer Demokratie (Burkart 2019: 120ff.). Schleichwerbung verstößt gegen den sogenannten ‚Trennungsgrundsatz‘ (auch: ‚Trennungsnorm‘). Die erkennbare Trennung von Werbung und redaktionellem Programm stützt die Glaubwürdigkeit journalistischer Berichterstattung.
Geschichte:
In Marktwirtschaften operieren Medien auf dem Leser- Hörer-, Seher-, User-Markt und auf dem Anzeigenmarkt. Dahinter steckt eine Art doppelte Ökonomie: Der redaktionelle Teil wird an (interessierte) Rezipienten verkauft und diese werden den werbetreibenden Unternehmen als Zielgruppen offeriert.
Schon im 18. Jahrhundert finanzierten sich Zeitungen nicht bloß aus dem Vertriebserlös, sondern auch durch Anzeigen, die sie gegen Gebühr abdruckten. Redaktioneller Text und Anzeigen wurden verschieden behandelt, indem man z. B. am Ende der letzten Seite einen Trennstrich zog und erst darunter diverse Inserate platzierte. Mit dem Aufschwung der Werbewirtschaft begann sich diese Praxis zu ändern. Der Zeitungswissenschaftler Otto Groth (1930) ortete damals schon die Vorboten eines neuen Berufs, nämlich sogenannte ‚Reklameschriftsteller‘, die geschickt und unauffällig gegen Bezahlung das Lob einer Ware oder eines Unternehmens in diverse Texte einflochten und auch wussten, wie diese in den Redaktionen unterzubringen waren.
Die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung begannen zu verschwimmen und es entstand ein Problem, das bis heute aktuell ist (Bartoschek/Wolff 2010, Fassihi 2008, Gonser/Rußmann 2017). Längst sind davon auch → Public Relations und Marketing betroffen, was in neueren Formen der Verschleierung von Werbung deutlich wird, die sich hinter Etikettierungen wie ‚Unternehmens-‚ oder auch ‚Markenjournalismus‘ sowie ‚Content-Marketing‘ (Bull 2013, Frühbrodt 2016) verbergen, die allesamt als ‚Pseudojournalismus‘ (Hohlfeld 2003) verortbar sind. Gleiches gilt für ‚Gefälligkeitsjournalismus‘ (den versteckten Anspruch seitens der Inserenten auf positive Berichterstattung – vgl. Siegert/Rimscha 2016). Bereits im Jahr 1904 machte der (zehn Jahre zuvor gegründete) Verein Deutscher Zeitungsverleger die Abhängigkeit der Medien von ihren Anzeigenkunden zum Thema und plädierte dafür, „redaktionelle Reklamen“, „Schaufenster-Berichte für Weihnachts-Inserenten“ sowie „Anzeigen mitten im Text und verschleierte Anzeigen“ als unzulässig und „für das Gesamtinteresse der Presse unerwünschte Geschäftsmittel“ zu betrachten (Baerns 1996: 10).
Gegenwärtiger Zustand:
Ab den 1970er Jahren wurde in vielen europäischen Ländern über Richtlinien zur Trennungsnorm sowohl in Print- als auch in audiovisuellen Medien diskutiert, die dann in den 1980er Jahren in gesetzliche Bestimmungen mündeten (Baerns 1996, Fassihi 2008).
So müssen in Österreich Veröffentlichungen in periodischen Medien (§26/ÖMG) als ‚Anzeige‘, ‚entgeltliche Veröffentlichung‘ oder ‚Werbung‘ gekennzeichnet sein. Die Schweiz verlangt in ihrem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen eine deutliche Trennung zwischen Werbung und Programm und in Deutschland gilt Schleichwerbung sowohl in den Printmedien (§4 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) als auch im Rundfunk (§7 RStV) als unzulässig. Dies korrespondiert mit einer EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste, die ausdrücklich für einen Verbleib derartiger Verbote plädiert (Branahl 2015).
Inzwischen kümmern sich zudem Selbstkontrolleinrichtungen wie Presse-, Werbe- und PR-Ethikräte um die Einhaltung des Trennungsgrundsatzes. In Österreich tat dies der PR-Ethik-Rat (2009) in einem eigenen Positionspapier. Ähnliches geschah in Deutschland durch den Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) und in der Schweiz seitens der Schweizerischen Lauterkeitskommission.
Eine relativ neue Gruppe von (potenziellen) Schleichwerbern sind sogenannte → ‚Influencer‘. Das sind Self-Publisher in sozialen Medien (wie Blogs, Instagram, Facebook, YouTube), die durch Kooperationen und Partnerschaften mit Unternehmen ihr Geld verdienen (Schach/Lommatzsch 2018, Seeger/Kost 2018). Auch hier gilt der Trennungsgrundsatz: Werbung muss deutlich von privaten Beiträgen unterschieden werden können. Bislang judizierte Präzedenzfälle, in denen diese Kennzeichnungspflicht bei Influencern erfolgreich gerichtlich eingeklagt wurde, machen eher strenge Beurteilungsmaßstäbe erkennbar, was die Geschäftsmäßigkeit eines Beitrags betrifft (Freytag 2019).
Schließlich geht es noch um die Sonderwerbeformen → Advertorials und Product Placements (Gleich 2016). Ein Advertorial (Kunstwort aus Advertisement und Editorial) ist eine redaktionell gestaltete Anzeige, die mit ihrem Layout journalistische Artikel des jeweiligen Printmediums imitiert. Audiovisuelle Äquivalente heißen auch Videotorials oder Infomercials (aus information und commercial). Mit Product Placements (PPs) ist das bezahlte Nennen bzw. Verwenden von Produkten oder die Präsenz von Unternehmen, Organisationen bzw. Marken (Image Placement) im redaktionellen Kontext gemeint. Obwohl PPs grundsätzlich unzulässig sind, gibt es eine Reihe von Ausnahmen für Filme, Serien, Sport- oder Unterhaltungssendungen, sofern sie sich nicht an Kinder richten (§2 Abs. 2 RstV). PPs finden sich daher v. a. im Rahmen des audiovisuellen Unterhaltungsangebotes (in Spielfilmen, im TV, Hörfunk sowie im Netz), außerdem als ‚In-Game-Advertising‘ in Bildschirmspielen (Fassihi 2008, Siegert et al. 2016).
Wenn Advertorials und PPs über ordnungsgemäße Kennzeichnungen verfügen (etwa: „Diese Sendung enthält Produktplatzierungen“) bzw. regelkonform sind, dann dürfen sie nicht mit Schleichwerbung gleichgesetzt werden – wenigstens aus rechtlicher Sicht. Aus kommunikativer Perspektive erscheint dies allerdings fragwürdig, denn es geht um das Überlisten der Wahrnehmung von Rezipienten: Das Advertorial soll einen journalistischen Artikel simulieren und PP soll ein Produkt im Handlungskontext einer Filmsequenz weniger aufdringlich erscheinen lassen als herkömmliche Werbespots. Das Bild vom ‚Einschleichen‘ der präsentierten Inhalte in die Aufmerksamkeit der Rezipienten passt somit auch hier.
Forschungsstand:
Aus der Forschung ist zunächst bekannt, dass sich die durchaus plausible These, wonach Werbung stärker beachtet wird, wenn sie sich als journalistisches Produkt tarnt, empirisch gar nicht nachweisen lässt: Advertorials und PPs werden sogar weniger oft beachtet als Anzeigen (Baerns 2004: 29ff.) und man erinnert sie auch seltener als Werbespots (Woelke 1999) – selbst dann, wenn man PPs positiver bewertet als Unterbrecherwerbung (Koch 2016: 381).
Was allerdings die Rezeption der Inhalte betrifft, so scheint das Interesse ein relevanter Faktor zu sein: Wer beispielsweise am Thema eines Advertorials interessiert ist, der liest es in der Regel – und zwar auch dann, wenn er den Text bereits als bezahlte Einschaltung identifiziert hat (Burkart et al. 2004). Dennoch ist festzuhalten: Flüchtige Durchschnittsleser erkennen solche publizistischen Produkte nur unzureichend als (Schleich-)Werbung (Kieslich 2014).
Gerade in dieser (Nicht-)Erkennbarkeit besteht aber das eingangs angesprochene demokratiepolitische Problem: Wenn Transparenz als elementare Funktion eines demokratisch organisierten öffentlichen Kommunikationssystems gilt, dann sollten journalistische Produkte und Werbung auch als solche erkennbar sein. Wenn man außerdem weiß, dass diese Erkennbarkeit nachweislich(!) mit der Auffälligkeit und Eindeutigkeit der Kennzeichnung entgeltlicher Einschaltungen steigt (Kieslich ebd.), dann wird Schleichwerbung zu einem maßgeblichen Störfaktor in diesem System. Eine präzise Regelung der Kennzeichnungspflicht, ebenso wie die Kontrolle ihrer Einhaltung ist für ein demokratisches Kommunikationssystem somit unverzichtbar.
Literatur:
Baerns, Barbara (Hg.): Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm. Wiesbaden [Springer VS] 2004.
Baerns, Barbara: Schleichwerbung lohnt sich nicht! Plädoyer für eine klare Trennung von Redaktion und Werbung in den Medien. Neuwied, Kriftel, Berlin [Luchterhand] 1996.
Bartoschek, Dominik; Volker Wolff: Vorsicht Schleichwerbung! Konstanz [UVK] 2010.
Bentele, Günter: Ethik der Public Relations – Grundlagen, Probleme und Reflexion. In: Fröhlich, Romy; Peter Szyszka; Günter Bentele (Hg.): Handbuch der Public Relations. Wiesbaden [Springer VS] 2015, S. 1055-1067.
Branahl, Udo: Rechtliche Anforderungen an die Öffentlichkeitsarbeit. In: Fröhlich, Romy; Peter Szyszka; Günter Bentele (Hg.): Handbuch der Public Relations. Wiesbaden [Springer VS] 2015, S. 1055-1067.
Bull, Andy: Brand Journalism. New York [Routledge] 2013.
Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in Deutschland/UWG. https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl110s0254.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl110s0254.pdf%27%5D__1599509059115 [09.10.2020]
Bundesgesetz über Radio und Fernsehen/RVTG (2006) in der Schweiz. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html [09.10.2020]
Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. 5. Aufl. Wien [Böhlau/UTB] 2019.
Burkart, Roland; Martin Kratky; Lieselotte Stalzer: Advertorials im Wandel: Innenansichten aus der österreichischen PR-Forschung und -Praxis. In: Baerns, Barbara (Hg.): Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm. Wiesbaden [Springer VS] 2004, S. 153-173.
Deutscher Rat für Public Relations (DRPR) https://drpr-online.de/; DRPR-Richtlinie zur Schleichwerbung vom 1.12.2011 https://drpr-online.de/wp-content/uploads/2013/09/DRPR_Schleichwerbung.pdf [09.10.2020]
EU-Richtlinie: EU-Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 über audiovisuelle Mediendienste. https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:095:0001:0024:DE:PDF [09.10.2020]
Fassihi, Floria Fee: Werbebotschaften aus der Redaktion? Journalismus im Spannungsfeld zwischen Instrumentalisierung und Informationsauftrag. Konstanz [UVK ] 2008.
Freytag, Sarah, 2019: Influencer und Werbung: Eine Übersicht zu den wichtigsten Urteilen. https://www.it-recht-kanzlei.de/influencer-werbung-rechtsprechung-uebersicht.html [09.10.2020]
Friedrichsen, Mike; Stefan Jenzowsky (Hg.): Fernsehwerbung. Theoretische Analysen und empirische Befunde. Opladen [Westdeutscher Verlag] 1999.
Fröhlich, Romy; Peter Szyszka; Günter Bentele (Hg.): Handbuch der Public Relations. Wiesbaden [Springer VS] 2015.
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Hohlfeld, Ralf: Vom Informations- zum Pseudojournalismus. Berichterstattungsmuster im Wandel. In: Communicatio Socialis, 36(3), 2003, S. 223-243.
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