Eine Einführung von Horst Pöttker
Wortherkunft: ahd., mlat.: pressa (Presse im Weinbau, später Druckerpresse, gedruckte Periodika); nhd. Freiheit (Übersetzung von frz. liberté seit der Revolution von 1789, davor: Privileg, Asyl); der Ausdruck Pressefreiheit hat sich seit der Revolution von 1848 für eine demokratische Errungenschaft im Deutschen eingebürgert.
Begriff:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
So die ersten beiden Absätze aus Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes.
Pressefreiheit ist ein relativer Begriff. Unbeschränktheit von Kommunikation ist nie ganz oder gar nicht gegeben, sondern immer nur mehr oder weniger. Der Begriff stellt hohe Ansprüche an die Vorstellungskraft, weil er nichts konkret Gegebenes bezeichnet, sondern nur die Abwesenheit von Kommunikationsbarrieren. Daher ist er nur ex negativo bestimmbar. Charakteristisch dafür ist in Artikel 5 GG der Satz: „Eine Zensur findet nicht statt.“
Was nicht beschränkt sein soll, ist leicht zu erkennen. Aus dem Hinweis auf „allgemein zugängliche Quellen“ und der Erwähnung von Presse, Rundfunk und Film geht hervor, dass vor allem öffentliche Kommunikation über Massenmedien gemeint ist. Mit „äußern“ und „sich unterrichten“ ist zudem die aktive wie die passive Dimension von Kommunikation angesprochen. Die Subjekte der Pressefreiheit dürfen weder als Kommunikatoren noch als Rezipienten eingeschränkt werden.
Weniger klar ist, welche Einschränkungen öffentlicher Kommunikation Pressefreiheit ausschließen soll. Mit dem Zensurverbot verbindet sich die Vorstellung, dass vor allem legislative und exekutive Maßnahmen gemeint sind. Von Verfassungsrechtlern wird aber darauf hingewiesen, dass der Begriff nicht nur die Abwehr staatlicher Beschränkungen der Medien umfasst: „Die Kommunikationsfreiheit ist eine ‚Rundumfreiheit‘ (…). Nicht nur staatliche Bevormundung, sondern jedwede Art der Bevormundung ist fernzuhalten. (…) Bei nachhaltiger Gefährdung der Kommunikationsfreiheit (…) können die Grundrechte ausnahmsweise auch unmittelbar gegen Träger wirtschaftlicher, sozialer und anderer Macht wirken.“ (Hoffmann-Riem 1984: 494) Sozial- und kommunikationswissenschaftliche Konzepte von Pressefreiheit achten nicht zuletzt auf ökonomische und kulturelle Einschränkungen (vgl. z. B. Czepek 2005). Auch im praktischen politischen Diskurs hat sich die Einsicht verbreitet, dass dort, wo Pressefreiheit formalrechtlich garantiert ist, öffentliche Kommunikation durch ökonomische Verhältnisse oder kulturelle Traditionen illegitim eingeschränkt sein kann.
Pressefreiheit ist kein Luxus. Sie hat einen Nutzen für das Individuum, denn ohne sie könnte es sein Leben nicht auf der Höhe gegebener Möglichkeiten gestalten. Und sie hat einen sozialen Nutzen, denn ohne sie fehlte es der Gesellschaft an Kraft, Probleme zu erkennen und zu verarbeiten. Komplexe soziale Systeme, deren Mitglieder und Teilsysteme sich mangels ungehinderter Kommunikation nicht untereinander verständigen können und zu wenig übereinander erfahren, sind auf Dauer nicht lebensfähig. Kommunikationsfreiheit ist nicht nur ein Menschenrecht, sie dient dem Allgemeinwohl.
Journalistinnen und Journalisten haben die Aufgabe, die Pressefreiheit zu nutzen, um professionell → Öffentlichkeit herzustellen, d. h.: möglichst viele richtige und wichtige Informationen an möglichst viele Menschen zu übermitteln. Das ist nötig, damit Individuen z. B. als Wähler oder Konsumenten kundig handeln können. Die selbstregulierende Kraft von Wahlen oder Märkten hängt von breiter Partizipation an ihnen ab, was von politischen Programmen und kommerziellen Warenangeboten Transparenz verlangt. Transparenz als Voraussetzung von Selbstregulierung kann nur entstehen, wenn Journalistinnen und Journalisten frei sind, nach Maßgabe ihrer beruflichen Aufgabe selbst zu entscheiden (und damit zu verantworten), was sie wie recherchieren und veröffentlichen.
Dabei haben sie zu berücksichtigen, dass Pressefreiheit nicht grenzenlos ist. Die ausdrückliche Aufzählung von „Schranken“ in Artikel 5 GG kann so verstanden werden, dass keine anderen als die hier genannten legitim sind. Allerdings liegt es nahe, für öffentliche Tatsachenfeststellungen von einer weiteren Grenze auszugehen: dass sie zutreffen müssen. Die → Richtigkeit öffentlicher Mitteilungen wird im Artikel 5 GG nicht als Schranke erwähnt, weil die Sätze davor sich auf Meinungsäußerungen beziehen, denen ein Wahrheitsgebot keine Grenze setzen darf. Für faktische Mitteilungen ist das Richtigkeitsgebot aber durchaus legal, denn nachweisbare Unrichtigkeit kann zivilrechtlich zu Unterlassungsverpflichtungen und Schadensersatz führen.
Die Grenze, die die Vorschriften der allgemeinen Gesetze der Pressefreiheit ziehen, ist insofern problematisch, als ein Gesetzgeber Vorschriften erlassen kann, durch die die Pressefreiheit zwar legal, aber nicht legitim eingeschränkt wird. In Kommentaren zum Artikel 5 GG wird dieses Problem dadurch gelöst, dass die Gültigkeit gesetzlicher Schranken der Pressefreiheit an deren Übereinstimmung mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gebunden wird (vgl. Hoffmann-Riem 1984: 496). Es spricht für eine effektive rechtliche Durchsetzung der Pressefreiheit, dass das Bundesverfassungsgericht nur wenige Normüberprüfungen dieser Art vornehmen musste. Maßgeblich war sein Fernseh-Urteil von 1961, mit dem es Gesetze der Regierung Adenauer zur Gründung einer „Deutschland-Fernseh GmbH“, an der der Bund nach dem Muster des Rundfunks der Weimarer Republik mehrheitlich beteiligt war, wegen der Medienfreiheit und der Kulturhoheit der Länder zurückwies (vgl. Bausch 1980: 434f.).
Daraus, dass der Jugendschutz als Schranke genannt wird, lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass Pressefreiheit ein erwachsenes, mündiges Publikum voraussetzt. Pressefreiheit erfüllt ihren sozialen Nutzen nur dann, wenn auch Journalisten, die von ihr Gebrauch machen, sich ein mündiges Publikum vorstellen, dem nicht wegen der Annahme Informationen vorenthalten werden dürfen, dass es damit nicht umgehen könne. Das unterscheidet Journalisten von Pädagogen.
Anders verhält es sich beim Recht der persönlichen Ehre (→ Ehrenschutz). Diese Schranke der Pressefreiheit soll Personen schützen, über die berichtet wird; und sie ist nicht – wie die Schranke der allgemeinen Gesetzesvorschriften – in Bezug auf bestimmte Rechts- und Gesellschaftsordnungen relativierbar, sondern sie gilt grundsätzlich. Weil das Persönlichkeitsrecht zu den grundlegenden Menschenrechten zählt, kann es nur in der Abwägung mit gleichrangigen Grundrechten eingeschränkt werden. Da es sich um ein Grundrecht handelt, das dem Schutz des Individuums dient, tritt es vor allem in Konkurrenz zu Grundrechten wie der Pressefreiheit, die (auch) dem Allgemeinwohl dienen.
Für Kriterien, woran eine Verletzung der persönlichen Ehre zu erkennen sei, ist die Unterscheidung von Meinungsäußerung und Tatsachenfeststellung wichtig, weil ein größerer Freiheitsspielraum für Meinungsäußerungen gilt. Bei diesen ist die Grenze durch die Stärke einer Beleidigung definiert, wofür der Begriff → Schmähkritik verwendet wird. Tatsachenfeststellungen sind insofern engere Grenzen gezogen, als eine faktische Unterstellung bereits dann nicht durch die Pressefreiheit gedeckt ist, wenn sie sich als unzutreffend erweist.
Geschichte:
Pressefreiheit ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Ihre Entwicklung begann in England, dem historisch fortgeschrittensten Land auf dem Weg zur bürgerlichen (hochdifferenzierten, kapitalistischen, demokratisch verfassten) Gesellschaft. Der im 18. Jahrhundert in England, Frankreich und den USA fortgesetzte Kampf um Pressefreiheit führte 1791 zum „First Amendment“, dem ersten Zusatz zur Verfassung der USA, in dem es heißt: „Congress shall make no law (…) abridging the freedom of speech, or of the press“. In den angelsächsischen Ländern hat Pressefreiheit seit Ende des 18. Jahrhunderts eine weitgehend ungebrochene Tradition.
Anders in Deutschland, wo der Kampf um die Pressefreiheit erst im 19. und 20. Jahrhundert geführt wurde (vgl. Koszyk 1966). Mit der bürgerlich-demokratischen Revolution im März 1848 zunächst durchgesetzt (vgl. Marx/Engels 1969), fiel sie deren Scheitern im Jahr darauf schon wieder zum Opfer. 1874 wurde durch das Reichspressegesetz die staatliche Kontrolle zwar gelockert (vgl. Naujoks 1976) – offenbar blieb auch konservativen Kreisen um Bismarck nicht verborgen, dass sozioökonomische Entwicklung ungehinderte öffentliche Kommunikation erfordert –, aber schon 1878 wurde diese Lockerung durch das Verbot der sozialdemokratischen Presse für über ein Jahrzehnt wieder zurückgenommen. Die Verfassung der Weimarer Republik garantierte in Artikel 118 zwar das Grundrecht der Meinungsfreiheit, aber der Begriff Pressefreiheit fehlte, was zahlreiche Zeitungsverbote – 1931/32 über 500 –ermöglichte (vgl. Koszyk 1972: 340, Anm. 6). Mit dem Schriftleitergesetz von 1933 sank das Maß der Pressefreiheit in Deutschland auf seinen Tiefststand (vgl. Abel 1968).
Nach 1945 mussten Medien zunächst von den Besatzungsmächten lizenziert werden (vgl. Koszyk 1986). Mit den Gründungen der DDR und der Bundesrepublik im Jahr 1949 wurde Pressefreiheit in den Verfassungen der beiden Staaten fixiert. Das hieß aber nicht, dass sie schon umfassend realisiert worden wäre. In der DDR etablierte die SED ein System staatlicher Medienlenkung einschließlich direkter Presseanweisungen, dessen Instrumente denen des NS-Regimes ähnelten (vgl. Pöttker 2008; Wilke 2007).
Auch in der BRD blieben politische, ökonomische, kulturelle und teilweise auch rechtliche Barrieren für die Pressefreiheit bestehen. Im restaurativen Klima der 1950er Jahre planten Regierungen unter Konrad Adenauer Pressegesetze, die Zeitungs- und Berufsverbote für Journalisten – im Extremfall sogar durch die Exekutive – ermöglicht hätten (vgl. Buchloh 2002). Und da das Recht, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten, nur unter der Bedingung ausreichender Medienvielfalt Kommunikationsfreiheit mit sich bringt, muss auch der Prozess der Pressekonzentration kritisch beachtet werden (vgl. Knoche 2002). Die Zahl der Kreise, in denen den Bürgern für lokale Informationen nur eine Zeitung zur Verfügung steht, hat im Laufe der Zeit kontinuierlich zugenommen: Von 85 im Jahr 1954 auf 160 im Jahr 1989. Im Zuge von Wende und Wiedervereinigung setzte sich dieser Trend mit der Übernahme vieler ostdeutscher Zeitungen durch westdeutsche Medienkonzerne fort (vgl. Tröger 2019).
Dem steht eine Entwicklung gegenüber, die die Pressefreiheit rechtlich und kulturell gestärkt hat. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht eine maßgebliche Rolle gespielt. 1966 hat es mit der Entscheidung, die die Spiegel-Affäre abschloss, in aller Deutlichkeit auf den umfassenden Charakter der Kommunikationsfreiheit und die daraus erwachsenden Aufgaben des Staats inklusive der Abwehr von Pressekonzentration hingewiesen (vgl. Pöttker 2012). Am Beispiel der Verteidigungspolitik konkretisierten die Verfassungsrichter deren gesellschaftlichen Nutzen. So könne „etwa die Aufdeckung wesentlicher Schwächen der Verteidigungsbereitschaft trotz der zunächst damit verbundenen militärischen Nachteile für das Wohl der Bundesrepublik auf lange Sicht wichtiger sein als die Geheimhaltung“ (BVerfGE).
Gegenwärtiger Zustand:
2007 bekräftigte das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung von 1966, indem es eine von Bundesinnenminister Otto Schily befürwortete Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift Cicero sowie die dabei erfolgte Beschlagnahme von Redaktionsmaterial für illegal erklärte. Cicero hatte einen Artikel über einen al-Qaida-Terroristen publiziert, der sich auf einen vertraulichen Bericht des Bundeskriminalamts stützte. Die Verfassungsrichter stärkten damit den Informantenschutz als wesentliches Element der Pressefreiheit.
Dennoch ist auch das deutsche Recht nicht völlig frei von Relikten aus vordemokratischer Zeit. Problematisch ist z. B., dass nach Paragraf 94 StGB („Landesverrat“) trotz des Cicero-Urteils nicht nur das Durchstechen von Staatsgeheimnissen durch Amtsträger, sondern auch deren Veröffentlichung strafbar ist. Und die im Spiegel-Urteil geforderten „Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden“ sind längst nicht in allen Bundesländern durch Transparenzgesetze geregelt (vgl. Darbishire 2017), in Bayern, Niedersachsen und Sachsen fehlten 2019 sogar noch Informationsfreiheitsgesetze, die Journalistinnen und Journalisten Auskunftsrechte sichern. Trotz solcher Lücken ist die rechtliche Absicherung der Pressefreiheit relativ weit vorangeschritten.
Für den kulturellen Bereich, die Verankerung von Pressefreiheit in den Denk- und Handlungsweisen von Rezipienten und Journalisten, ist das fraglich. Wenn bei Demonstrationen der Vorwurf der → „Lügenpresse“erhoben wird und Medienvertreter gewaltsam an ihrer Arbeit gehindert werden (vgl. ROG 2016, S. 1-4), lässt das Respekt vor der Unabhängigkeit vermissen, die Journalisten brauchen, um ihre berufliche Aufgabe erfüllen zu können. Auch selbst auferlegte Beschränkungen, die aus einem allzu pädagogischen Berufsverständnis mancher Journalistinnen und Journalisten herrühren, können Pressefreiheit gefährden. Dies wurde z. B. besonders den überregionalen Medien nach ihrer zögerlichen Berichterstattung über Diebstähle und sexuelle Übergriffe durch aus Nordafrika stammende junge Männer in der Silvesternacht 2015 am Kölner Hauptbahnhof vorgeworfen.
Mit dem Stichwort Selbstzensur kommt eine weitere Gefährdung der Pressefreiheit in den Blick, die weniger offensichtlich ist und auch in Demokratien kritischer Aufmerksamkeit bedarf: z. B. der vorauseilende Gehorsam gegenüber Mächtigen oder political correctness. Nicht zuletzt in politischen Diskursen bilden sich konforme terminologische und thematische Präferenzen heraus, von denen abzuweichen unkorrekt wirkt. Solche konformitätsbildenden Mechanismen können auch innerhalb der professionellen Kommunikationsgemeinschaft der Journalisten wirken, zumal Medien beim → agenda setting, der Themensetzung, häufig anderen (Leit-)Medien folgen. So können grobe Fehler zustande kommen, wie z. B. 2004 die vielfach replizierte Falschmeldung auch von Qualitätsmedien über einen angeblichen antisemitischen Überfall in einem Pariser Vorortzug gezeigt hat (vgl. Pöttker 2007). Mindestens ebenso problematisch ist kollektives Nichtberichten aus einem Bemühen um politische Korrektheit heraus. Ein der politischen Erwünschtheit geschuldetes Beschweigen von Problemen (vgl. Pöttker 2014), das auch mit der hierarchischen Organisation von Redaktionen z. B. beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammenhängen kann, trägt zum Misstrauen gegenüber den Medien bei.
Bei der Erklärung konformitätsbildender Prozesse ist zu beachten, dass Medien nicht nur Themen setzen und öffentliche Meinungen prägen (können), sondern auch umgekehrt Themenpräferenzen und Meinungen folgen, die sich im Publikum durchgesetzt haben, um Käufer zu finden und mit Informationen bei Rezipienten anzukommen. Ein Mittel gegen solche Einschränkungen der Pressefreiheit ist eine vielfältige Zusammensetzung des Medienpersonals, damit z. B. auch Perspektiven von Migranten repräsentiert sind (vgl. Pöttker u. a. 2016); ein anderes, dass Journalistinnen und Journalisten an einem empirischen Wahrheitsbegriff festhalten, der sich auf intersubjektive Sinneswahrnehmung verlässt und nicht darauf, was plausibel oder politisch wünschbar erscheint.
Eine aus dem Mediengeschehen selbst herrührende Gefährdung der Pressefreiheit ist das mehr oder weniger bewusste Übertreten ihrer legitimen Grenzen, was zu übermäßigen, aber dann nötig erscheinenden Einschränkungen führen kann. Wenn das Verdikt von der „Lügenpresse“ wachsende Resonanz findet, liegt das auch daran, dass Boulevardmedien den Persönlichkeitsschutz notorisch aus kommerziellen Motiven verletzen. Auch mit der Korrekturpflicht, die sich aus der Kombination von Richtigkeits- und Aktualitätsgebot für faktische Mitteilungen ergibt, steht es in der journalistischen Kultur Deutschlands nicht zum Besten. Regelmäßige Korrekturspalten fehlen oft.
Eine weitere Gefährdung rührt aus dem Abwandern von Anzeigeneinnahmen journalistischer Produkte zu Online-Medien ohne redaktionellen Teil. Das Versiegen solcher Finanzierungsquellen von Journalismus lässt die Geld-, aber auch die Zeitressourcen für investigative Recherchen schwinden. Ein gegenwärtig kaum lösbares Problem.
Leichter lösbar, aber durchaus folgenreich ist der Widerspruch zwischen Pressefreiheit und dem gesellschaftlichen Bedarf an qualifizierender Berufsbildung für Journalistinnen und Journalisten. Ärzte, Anwälte oder Architekten können ihren Beruf nur ausüben, wenn sie eine anerkannte akademische Ausbildung durchlaufen haben. Ausgerechnet beim Journalistenberuf, der die für das Allgemeinwohl wichtige Aufgabe zu erfüllen hat, Öffentlichkeit herzustellen, soll es anders sein? Das Bundesverfassungsgericht hat im Spiegel-Urteil die Notwendigkeit des „freien Zugangs zu den Presseberufen“ betont. Andererseits gibt es gerade hier dringenden Bedarf an qualifizierender Berufsbildung, denn der Journalismus ist in der digitalen Medienwelt in eine Krise geraten, die seine Professionalität bedroht (vgl. Weischenberg 2010). Wenn die öffentliche Hand sich stärker bei der freiwilligen Berufsbildung von Journalistinnen und Journalisten engagierte, wäre das durchaus mit der Pressefreiheit vereinbar. Im Hinblick auf die Selbstregulierungskapazität der Gesellschaft ist von entscheidender Bedeutung, dass journalistische Professionalität erhalten und gestärkt, aber auch – weil im Netz jede und jeder öffentlich kommunizieren kann – kulturell auf breitere Füße gestellt wird.
Die internationale Organisation „Reporter ohne Grenzen“ führt Deutschland in ihren jährlichen → Rankings der Pressefreiheit zwischen den Plätzen 12 und 16 (im Jahr 2021 Platz 13) von etwa 180 Staaten. Das zeigt einerseits die beachtliche Entwicklung, die die Pressefreiheit seit ihrer rechtlichen Verankerung im Grundgesetz genommen hat. Andererseits zeigt es, dass es hinsichtlich der Verwirklichung dieser systemrelevanten Errungenschaft noch einiges zu tun gibt.
Forschungsschwerpunkte und Forschungslücken:
Über das Problem der „inneren Pressefreiheit“ hat es in den 1970er Jahren eine intensive Debatte gegeben, die mittlerweile abgeklungen ist. Bekannte Autoren und Autorinnen in dieser Debatte waren Ansgar Skriver (1970), Heinz-Dietrich Fischer (1975), Elisabeth Noelle-Neumann (1977) und Wolfgang Hoffmann-Riem (1979). Gemeint ist der Widerspruch zwischen der Meinungsfreiheit von Journalisten und der in Deutschland durch Paragraph 118 des Betriebsverfassungsgesetzes geschützten Freiheit von Medieneigentümern, die Blattlinie zu bestimmen („Tendenzschutz“). Obwohl mittlerweile kaum noch Literatur zur inneren Pressefreiheit erscheint, ist das Problem der Konkurrenz zwischen den zwei Freiheitsrechten nicht gelöst.
Insgesamt wird Pressefreiheit aber wieder als prekäre Errungenschaft wahrgenommen, um die es sich besonders international zu kümmern gilt. Gefährdet wird sie u. a. durch ihre Unterdrückung in Ländern, mit denen Deutschland in enger Verbindung steht. Deutlich zeigt sich das z. B. an der Volksrepublik China, einem wichtigen Wirtschaftspartner, der seit Jahren in der Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ einen der hintersten Plätze einnimmt. Wenn dort, wie die Organisation betont, „die Repression unter Präsident Xi Jinping ungeahnte Ausmaße“ erreicht, weil das Regime „weder vor Entführungen noch vor erzwungenen Schaugeständnissen im Fernsehen oder vor Drohungen gegen Familien unliebsamer Journalisten“ zurückschreckt, hat das Folgen für die internationale Berichterstattung über China, weil Korrespondenten ihre chinesischen Informanten nicht in Schwierigkeiten bringen wollen (vgl. Voglreiter). Außerdem wird das Recht des Publikums, aber auch der Medien selbst, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“, dadurch verletzt, dass die chinesische Regierung Internetdienste und -seiten sperrt. Das ist für die Informationsfreiheit auch insofern folgenreich, als viele Redaktionen sich für die internationale Berichterstattung mittlerweile auf daheim verfügbare Online-Daten statt auf die Wahrnehmung von Korrespondentinnen und Korrespondenten verlassen (vgl. Kukral 2015). Ein weiteres von der internationalen Forschung beachtetes Problem ist die Entwicklung von Pressefreiheit in den Ländern des früheren Ostblocks (vgl. z. B. Sverdel 2008). Vor allem ist die Forschung in einer Schnittmenge von Problemen gefragt, die durch die Prozesse der Globalisierung und Digitalisierung aufgeworfen werden. Aber auch aus der → Digitalisierung für sich ergibt sich eine Fülle von Forschungsfragen. Ob das Defizit an freiheitssichernder Professionalität durch die Zunahme privater, öffentlicher und semi-öffentlicher Kommunikationsmöglichkeiten im Netz gemindert wird, ist zweifelhaft. Hier erscheint es geboten, dass der Staat stärker als bisher das „Recht der persönlichen Ehre“, aber auch das Gebot zur Richtigkeit faktischer Mitteilungen gegen mögliche Verletzungen durch diverse Internet-Kommunikatoren (Stichworte: shitstorms, fake news) schützt und dadurch letztlich die Pressefreiheit gegen ihren Missbrauch verteidigt. Konzepte dafür zu entwickeln, wie das ohne Verletzung der Pressefreiheit geschehen kann, ist eine aktuelle Aufgabe, die sich der Forschung im Schnittbereich von Rechts- und Kommunikationswissenschaft stellt. Es wäre gefährlich, sich auf den Lorbeeren der Entwicklung seit 1949 auszuruhen.
Bildentwurf: Christoph Niemann
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Literatur:
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Czepek, Andrea: Pressefreiheit und Pluralismus in Sambia. Münster [Lit] 2005.
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Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Berlin [Colloquium] 1966.
Koszyk, Kurt: Deutsche Presse 1914–1945. Berlin [Colloquium] 1972.
Koszyk, Kurt: Pressepolitik für Deutsche. Berlin [Colloquium] 1986.
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