Wortherkunft: Im Griechischen benennt Krise (,krísis‘) die mit einer entscheidenden Wende verknüpfte Situation. Das altgriechische Verb ,krínein‘ bedeutet ,unterscheiden‘; das Wort ,Kritik‘ geht darauf zurück. Im Duden bedeutet Krise eine schwierige Situation bzw. eine Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt (vgl. Duden 2001: 454; Duden 2010: 588).
Definition:
Der Krisenbegriff ist seit jeher facetten- und traditionsreich und ohne disziplinäre Ein- und Zuordnung nicht eindeutig zu begreifen. Das Spektrum reicht von der Mathematik, Physik und Medizin bis zur politischen Ökonomie, Demokratie und gesellschaftlichen (Des)Integration (vgl. statt anderer: Luhmann 1997; Rosa 2016; Schwarz et al. 2016). Aktuell und nicht selten missverständlich werden Konzepte der Krisenkommunikation für Zwecke der Politikberatung und → Public Relations instrumentalisiert und bisweilen im Journalismus unkritisch übernommen (vgl. Palenchar 2010; Sellnow/Seeger 2013; Ruhrmann 2016; Ruhrmann/Guenther 2017).
In der kommunikationswissenschaftlichen Literatur lassen sich Krisen definieren als manifestierte Risiken (vgl. Heath/O‘ Hair 2010: 9): Riskante Entwicklungen haben sich zugespitzt, die Zeit wird knapp. Eintretende oder bereits vorhandene manifeste Schäden verletzen akut Leben, Gesundheit, Besitz und Sicherheit. Auch die Werte einer Gesellschaft sind massiv bedroht. „Crisis should be reserved for only those events, that have the potential to or do seriously affect the organization. The event must warrant assembling the crisis team” (Coombs 2010: 477). Konkrete und medial häufig präsente Krisen sind bspw. Existenzkrisen von Wirtschaftsunternehmen, bundespolitische oder außenpolitische (Kommunikations-)Krisen, europaweit relevante Spannungen wie die Flüchtlingskrise, die ungeklärten Fragen der Integration (vgl. Ruhrmann 2016) sowie akute oder latente Kriegs- und Terrorbedrohungen.
Gegenwärtiger Zustand:
Krisenkommunikation dient vor allem der Krisenbewältigung bereits eingetretener Schäden. Sie beeinflusst den Verlauf einer Krise etwa durch eine zunehmend mit Big Data operierende Sicherheitspolitik und -kommunikation (vgl. Gonzáles-Bailón 2017) und eine an → Nachrichtenfaktoren und Nutzerzahlen orientierte Krisenberichterstattung. Insbesondere auf kurzfristige und manifeste Schadensereignisse, die Verantwortlichen und ihr Management wird eingegangen. Nicht zuletzt dadurch wird in der Öffentlichkeit ein → dramatisiertes Bild der Krisensituation gezeichnet.
Ein allgemeines Ziel von Krisenkommunikation ist es, schnell zu reagieren und den Status vor der Krise wiederherzustellen (vgl. Sellnow/Seeger 2013). In dieser unter dem Einfluss von Presse, Fernsehen und vor allem des Social Web (vgl. Fuchs 2017) zunehmend dynamischen Entwicklung entsteht (je nach Form der Krise) massiver Zeitdruck.
Zentrale Akteure sind (Krisen-)Stäbe in Landes- und Bundesämtern, in Staatskanzleien, Ministerien, Unternehmen und weltweit operierende Organisationen (z. B. die NATO) (vgl. Maier et al. 2012). Die Öffentlichkeitsarbeit auf allen Kanälen ist fallbezogen und konkret, sie erfolgt häufig nicht geplant, sondern reaktiv und spontan.
Bezüglich der Ausgewogenheit der journalistischen Krisenberichterstattung wird vermutet, dass Betroffene und Kritiker häufiger als Entscheider und Experten vorkommen. Festgestellt wird eine personalisierende und emotionalisierende Darstellung. Diese lässt sich empirisch etwa in Nachrichten und Berichten zur internationalen Krisenkommunikation (vgl. Maier et al. 2012; Zillich u. a. 2011) nachweisen.
Forschungsstand:
Erst in den letzten Jahren ist in der Kommunikationswissenschaft ein Interesse an theoretischen und empirischen Analysen zur Krisenkommunikation entstanden, die über Best-Practice-Modelle hinausgehen. In ihnen werden analytische und normative Perspektiven vermischt (vgl. Schwarz et al. 2016) und es mangelt häufig an evidenzbasierten Befunden (vgl. Ruhrmann/Guenther 2017: 308 ff., Maier et al. 2018). In der Sozialwissenschaft und insbesondere in der Soziologie werden auch größere theoretische Krisenzusammenhänge kapitalistischer Gesellschaften thematisiert (vgl. Beck 2016; Fuchs 2017; Dörre 2017).
Mit Blick auf die zeitliche Entwicklung krisenhafter Ereignisse zeigen sich typische Dynamiken, etwa in Form von Krisenphasen, wie sie in der neueren Kommunikationsforschung auch empirisch untersucht worden sind, u.a. im Bereich von Umweltkrisen, internationaler Krisen und Kriegen (vgl. Maier et al. 2012), beim Terrorismus oder bei Naturkatastrophen (vgl. Sellnow/Seeger 2013; Schwarz et al. 2016; Ruhrmann/Guenther 2017): Zunächst geht es in einer ersten Latenzphase um bekannte, aber nicht eingetretene Risiken oder gelöste Konflikte; journalistisch wird nicht besonders häufig und intensiv berichtet (vgl. Zillich et al. 2011). In der zweiten Phase eskalieren Konflikte – etwa ausgelöst durch Katastrophen, Unfälle oder so genannte Zwischenfälle (z.B. Anschläge). Diese werden journalistisch präferiert (vgl. Ruhrmann /Guenther 2017). Hinzu kommt Zeitknappheit einer sich weiter beschleunigenden Berichterstattung, die wie eine Art übergeordneter Nachrichtenfaktor fungieren kann (vgl. Maier et al 2012; Zillich et al. 2011; Ruhrmann/Guenther 2017). In der dritten Phase, der Lösungsphase, treten Schäden in den Hintergrund; die Krise verschwindet aus dem Aufmerksamkeitsfokus der Öffentlichkeit.
Die empirische Erfassung solcher Dynamiken erfordert komplexere Mehrmethodendesigns. Simultan sind die Beiträge, Inhalte und Wirkungen von Organisationen, Kommunikatoren, Journalisten und Medienbeiträgen zu erfassen und relational zu analysieren. Solche empirischen Untersuchungen konnten jedoch erst selten durchgeführt werden (vgl. Maier u. a. 2012; 2018; Zillich u. a. 2011).
Die neuere Sozialwissenschaft versucht darüber hinaus, sich grundlagentheoretisch mit den gesellschaftlichen Wirkungen derartiger Dynamiken (vgl. Beck 2016; Dörre 2017: 37) und seiner ökologischen, sozialen und psychischen Folgen auseinanderzusetzen (vgl. Rosa 2016: 707ff.). Auftretende paradoxe Effekte von Krisenmanagement können als nicht intendierte Nebenfolgen krisenverschärfend wirken (vgl. Gonzáles-Bailón 2017: 23ff., 174ff.). Dabei ist es eine offene Frage, wie und unter welchen Umständen auch neuartige, die Gesamtgesellschaft ergreifende → öffentliche Diskurse über Krisen entstehen. Diese können sich in der öffentlichen Wahrnehmung zu globalen Krisen ausweiten, sind jedoch nicht mehr als schlichte Kommunikationskrise zu verstehen.
Literatur:
Beck, Ulrich: The Metamorphosis of the World. Cambrige [Polity Press] 2016.
Coombs, W. Timothy: Crisis communication. A Developing Field. In: Heath, Robert L. (Hrsg.): The Sage Handbook of Public Relations. Thousand Oaks/New Dehli/London [Sage] 2010, S. 477-488.
Dörre, Klaus: Nach dem schnellen Wachstum: Große Transformation und öffentliche Soziologie. In: Aulenbacher, Brigitte; Michael Buroway; Klaus Dörre; Johanna Sittel (Hrsg.). Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft. Frankfurt/New York [Campus] 2017, S. 33-67.
Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Band 5. Das Fremdwörterbuch. 10. Auflage. Mannheim [Bibliographisches Institut GmbH] 2010.
Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Band 7. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 3. Auflage. Mannheim [Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG] 2001.
Fuchs, Christian: Social Media. A Critical Introduction. 2. Auflage. New Dehli/London [Sage] 2017.
Gonzáles-Bailón, Sandra: Decoding the Social World. Data Science and the Unintended Consequences of Communication. Cambridge [The MIT Press] 2017.
Guenther, Lars; Georg Ruhrmann: Scientific evidence and mass media. Investigating the journalistic intention to represent scientific uncertainty. In: Public Understanding of Science 25, 5(8), 2016, S. 927-943.
Heath, Robert L.; H. Dan O´Hair: The Significance of Crisis and Risk Communication. In: Heath, Robert L.; H. Dan O´Hair (Hrsg.): Handbook of Risk and Crisis Communication. New York [Routledge] 2010, S. 5-30.
Maier, Michaela; Georg Ruhrmann; Katrin Stengel; Arne Freya Zillich; Roland Göbbel; Marion Rahnke u. a.: Bedrohung auf der Medienagenda. Krisenkommunikation im Nachrichtenprozess. Schriftenreihe Forschung DSF, 32. Osnabrück [Bundesstiftung Deutsche Stiftung Friedensforschung] 2012.
Maier, Michaela; Lars Guenther; Georg Ruhrmann; Berend Barkela; Jutta Milde: Kommunikation ungesicherter wissenschaftlicher Evidenz. In: Janich, Nina (Hrsg.): Unsicherheit als Herausforderung. Frankfurt/M. [Peter Lang] 2018, S. 93-112.
Palenchar, Michael J.: Historical Trends of Risk and Crisis Communication. In: Heath, Robert L. (Hrsg.). The Sage Handbook of Public Relations. Thousand Oaks/New Dehli/London/Singapore [Sage] 2010, S. 31-52.
Rosa, Hartmut: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2016.
Ruhrmann, Georg: Integration in the Media. Between Science, Policy Consulting, and Journalism. In: Ruhrmann, Georg; Yasemin Shooman; Peter Widmann (Hrsg.): Media and Minorities. Questions on Representation from an International Perspective. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 2016, S. 177-194.
Ruhrmann, Georg; Lars Guenther: Risiko- und Katastrophenkommunikation. In: Bonfadelli, Heinz; Birte Fähnrich; Corinna Lütje; Jutta Milde, Markus Rhomberg; Mike S. Schäfer (Hrsg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden [Springer VS] 2017, S. 297-314.
Schwarz, Andreas; Matthew W. Seeger; Christian Auer (Hrsg.): The Handbook of International Crisis Communication Research. Chichester [Wiley] 2016.
Sellnow, Timothy; Matthew W. Seeger: Theorizing Crisis Connunication. Chichester [Wiley] 2013.
Zillich, Arne F.; Roland Göbbel; Karin Stengel; Michaela Maier; Georg Ruhrmann: Proactive crisis communication? News coverage of the international conflicts in German print and broadcasting media. In: Media, War & Conflict 8, 4(3), 2011, S. 251-267.