Rezeption

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Definition:
Der Begriff ‚Rezeption‘ wird meist unscharf verwendet. Er meint erstens schlicht ‚Mediennutzung‘ (→ Publikumsforschung), also die quantitativ erhebbare Tatsache, dass z. B. 2020 nach der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation die tagesaktuellen Medien → Fernsehen und → Hörfunk täglich je rund 80 Prozent, aber Zeitungen sowie Zeitschriften nur noch gut 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ab 14 Jahren erreichen, und dass das tägliche Zeitbudget für Medien (inklusive Internet) stabil 9,5 Stunden betrug.
Zweitens meint er in einem weiteren, eher qualitativen Sinn das, was Rezipienten während der Medienzuwendung denken (kognitiv) und erleben (affektiv), d. h. die kognitive Verarbeitung – Aufmerksamkeit, Verstehen und Interpretation – sowie die emotionale Bedeutung des genutzten Medienangebots, aber auch deren Umsetzung und Anwendung im Alltag (sozial) etwa durch Gespräche als Anschlusskommunikation.

Gegenwärtiger Zustand und Forschungsstand:
In der aktuellen Rezeptionsforschung lassen sich zwei Zugriffe unterscheiden. Die qualitative Rezeptionsforschung wie auch die sogenannten Cultural Studies untersuchen mit Hilfe von teilnehmender Beobachtung, Leitfadengesprächen und biographischen Methoden, wie Mediennutzer dokumentarische, aber vor allem auch fiktionale → Fernsehangebote wie Soaps oder Daily Talk Sendungen verstehen, interpretieren und auf ihren Lebenszusammenhang beziehen. Demgegenüber untersuchen die quantifizierenden und stärker verhaltenstheoretischen Ansätze beispielsweise mit physiologischen Methoden, wie Rezipienten Medienangebote so auswählen, dass ihre bereits vorhandenen positiven Stimmungen beibehalten werden oder bestehende negative Stimmungslagen verändert werden: ‚Mood-Management-Theorie‘. Untersucht wird auch die unterschiedlich hohe Involviertheit während der Mediennutzung und der damit einhergehende ‚Emotional Flow‘. Interesse auf sich gezogenen haben zudem Rezeptionsprozesse im fiktionalen Bereich wie Identifikation, Empathie oder die parasoziale Interaktion mit Medienfiguren. Im Journalismus stellen sich zudem Fragen nach der Wahrnehmung von Qualität und Glaubwürdigkeit von Medienangeboten durch das Publikum. Am weitesten Verbreitung gefunden hat aber der ‚Uses-and-Gratifications-Ansatz‘ (Nutzenansatz), der danach fragt, warum Menschen täglich so viel Zeit mit den Medien verbringen. Nach der Prämisse des Nutzenansatzes wählen Menschen aktiv und intendiert jene Medien und Inhalte aus, von denen sie sich eine Befriedigung von Bedürfnissen und Erwartungen versprechen wie
1) Information und Orientierung,
2) Eskapismus als Möglichkeit der Realität zu entfliehen,
3) Spannung und Entspannung als Stimmungskontrolle,
4) Interaktion, d.h. Medien als Lieferanten von Gesprächsthemen und Möglichkeit für soziale Kontakte,
5) Gewohnheit und Ritual, etwa zur Strukturierung des Tagesablaufs.

Literatur:

Bilandzic, Helena; Friederike Koschel; Nina Springer; Heinz Pürer: Rezipientenforschung. Konstanz /München [utb] 2016.
Bilandzic, Helena; Holger Schramm; Jörg Matthes: Medienrezeptionsforschung. Konstanz/München [utb] 2015.
Bonfadelli, Heinz; Thomas N. Friemel: Medienwirkungsforschung. Konstanz/München [utb] 2017.
Meyen, Michael: Mediennutzung. Konstanz [UVK] 2004.
Rössler, Patrick; Uwe Hasebrink; Michael Jäckel (Hrsg.): Theoretische Perspektiven der Rezeptionsforschung. München [Verlag Reinhard Fischer] 2001.
Schweiger, Wolfgang: Theorien der Mediennutzung. Eine Einführung. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2007.

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Heinz Bonfadelli
* 1949, Prof. Dr., Studium der Sozialpsychologie, Soziologie und Publizistik­wissenschaft an der Universität Zürich. Seit Winter 1994 Extraordinarius und von Winter 2000 bis Sommer 2015 Ordinarius für Publizistikwissenschaft am IKMZ der Universität Zürich. Seit Herbst 2015 emeritiert. Forschungs­schwerpunkte: Mediennutzung & Medienwirkungen, speziell Wissenskluft-Perspektive, Online-Kommunikation und Digital Divide; Migration und Medien; Wissenschafts-, Gesundheits- und Umweltkom­munikation.