Advertorial

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Wortherkunft und Definition:
Beim aus dem Englischen übernommenen Begriff ‚Advertorial’ handelt es sich um ein aus den Bestandteilen ‚Adver-tisement‘ (Werbeanzeige) und ‚Edi-torial‘ (Leitartikel) gebildetes Kofferwort. Beide Glieder dieser Wortneuschöpfung deuten es bereits an: Der Begriff zielt auf Werbeformen ab, die sich bewusst an journalistischen → Darstellungsmustern orientieren.

Definieren lassen sich Advertorials daher als hybride Werbeformen, welche sich sowohl an formale (Layout) als auch inhaltliche und stilistische Parameter des journalistischen Umfelds, in dem die jeweilige Werbebotschaft erscheint, anlehnen. Zweck dieser publizistischen Camouflage ist es, Werbeaussagen als journalistisches Informationsangebot erscheinen zu lassen, um auf diese Weise deren Wirksamkeit zu erhöhen.

Für die unter dem Stichwort ‚Advertorial‘ verhandelten Phänomene ist in der Wissenschaft ebenso wie in der Praxis strategischer Kommunikation überdies eine Reihe von verwandten Begriffen im Umlauf. Deren Bedeutungsschattierung verdankt sich jeweils der konzeptuellen Nähe zu einer bestimmten Mediengattung: Während bei Advertorials ein deutlicher Bezug zu klassischen Printmedien vorliegt, verweist das Gegenstück ‚Infomercials‘ (als Verschmelzung von ‚Info-rmation‘ und ‚Com-mercial‘) semantisch eher auf den Kontext audio-visueller Medien. Die Bezeichnung ‚Native Advertising‘ findet hingegen vor allem im Bereich digitaler Medien Verwendung. Strukturell referieren diese Begriffe jedoch auf die gleiche Werbestrategie, weshalb sie vielfach synonym gebraucht werden.

Geschichte und gegenwärtiger Zustand:
Der in Advertorials zum Ausdruck kommende enge → Zusammenhang beider publizistischen Makroformen beschreibt keinen neuartigen Sachverhalt: „Die gemeinsame Geschichte von Journalismus und Werbung reicht bis zu den ersten → Zeitungen zurück“ (vgl. Lauerer 2021: 9). Schon im 17. Jahrhundert wurde in Zeitungen der (politische) Nachrichten enthaltende Teil durch Anzeigen von Gewerbetreibenden ergänzt. Folgerichtig stellt die moderne Medienökonomie den „Doppelcharakter“ (Heinrich 2020: 146) journalistischer Angebote – zumindest in kapitalistisch organisierten Wirtschaftskontexten – heraus. Sie müssen sich seit jeher nicht nur auf Rezipient:innen-, sondern auch auf Werbemärkten behaupten: Refinanzieren journalistische Medien mithilfe der Werbung doch einen (mitunter wesentlichen) Teil ihrer Investitionen. Aus Sicht der Werbetreibenden speist sich die Attraktivität der publizistischen Kooperation aus der zugeschriebenen Glaubwürdigkeit und Reichweite des Medienangebots. Zunehmend jedoch werden rezipient:innenseitige Reaktanz und Strategien der Werbevermeidung (vgl. Naab/Schlütz 2016) als Problem wahrgenommen. Werbung reagiert auf diesen für sie kritischen Umstand mit immer neuen – bisweilen selbstreferentiell-ironischen – Versuchen, Aufmerksamkeit und Interesse für die von ihr angepriesenen Objekte zu wecken.

Im Rahmen dieser „kontinuierlichen Renovierung ihrer Binnenstruktur“ (vgl. Zurstiege 2005:  5; Hervorhebung im Orig.) entstehen spätestens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Advertorials (vgl. Serazio 2021: 120f.) als besonders raffinierte Strategie, werblichen Botschaften Resonanz zu verschaffen. Vor allem ab den 1980er Jahren gewinnen solche hybriden Werbeformen merklich an Konjunktur (vgl. Borchers 2017: 195). Die inhaltliche wie formale Imitation von journalistischen Produkten gehorcht dabei zwei aufeinander aufbauenden Absichten: So soll(en) erstens die Erkennbarkeit von Werbung erschwert und mithin Strategien der Werbevermeidung unterlaufen werden. Zweitens folgen Advertorials dem Vorsatz, werbliche Botschaften mit journalistischer Seriosität auszustaffieren. Hierdurch wollen Werbetreibende die Wirksamkeit und Handlungsrelevanz ihrer Kommunikationsangebote steigern.

Da ihr manifester Sinn darin besteht, möglichst als redaktionelles Erzeugnis statt als Werbung gelesen zu werden, operieren Advertorials an der Grenze zur gesetzlich untersagten → Schleichwerbung. Diese Grenze gilt als überschritten, sobald vorgeschriebene Kennzeichnungspflichten – in Deutschland unter anderem kodifiziert im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) – unbeachtet bleiben (vgl. Weinacht 2018).

Forschungsstand:
Kommunikationswissenschaftliche Forschung widmet sich ihren Gegenständen häufig aus einer normativen Perspektive (vgl. Karmasin et al. 2013): Ein unabhängiger Journalismus als zentrale Infrastruktur gesellschaftlicher Selbstverständigung dient ihr dabei vielfach als Leitbild. Daher begegnet der Fachdiskurs hybriden Formaten wie Advertorials oftmals eher mit Vorbehalt. Das Bestreben, Werbung gleichsam parasitär vom Glaubwürdigkeitsvorschuss des Journalismus profitieren zu lassen, wird als demokratietheoretisch heikle Aushöhlung jenes Garanten funktionierender öffentlicher Diskurse erörtert (vgl. Baerns 2005; Köberer 2014).

Folglich interessiert sich eine Vielzahl an empirischen Studien zum einen dafür, ob Advertorials von Rezipient:innen überhaupt als solche erkannt (oder irrtümlich als redaktioneller → Inhalt eingestuft) werden (vgl. Pasandaran/Mutmainnah 2020; Wilkinson et al. 1995). Je nach Studiendesign variieren die Ergebnisse zum Teil erheblich, stellenweise aber werden Advertorials von bis zu über 80 Prozent der Proband:innen nicht korrekt identifiziert.

Zum anderen wird (vornehmlich experimentell) untersucht, wie sich Kennzeichnungspflichten idealerweise gestalten lassen, um die Erkennbarkeit der werblichen Herkunft zu steigern (vgl. Iversen/Knudsen 2019; Wojdynski et al. 2017). Entsprechende Untersuchungen heben unter anderem die Bedeutsamkeit der (visuellen) Prominenz (Kontrastschärfe, Schriftgröße etc.) des Werbehinweises sowie der Integration des Sponsorenlogos hervor (vgl. Amazeen/Wojdynski 2020: 1968). Ferner wird in diesem Zusammenhang auch der – bestätigte – Einfluss moderierender Variablen wie des Persuasionswissens (vgl. Jung/Heo 2019) oder demographischer Merkmale wie des Alters (vgl. Howe/Teufel 2014) auf die Erkennungsleistung geprüft.

Abgesehen davon, dass sich solchermaßen gewonnene Erkenntnisse unter umgekehrten Vorzeichen leicht für die strategische Kommunikation selbst fruchtbar machen lassen (etwa indem sich Unternehmen gerade für die gemäß aktueller Forschung am schwersten erkennbare Kennzeichnungsoption entscheiden), existieren auch Studien, die ihr Vorgehen bewusst aus einer praxisorientierten Perspektive ableiten. Hier wird beispielsweise untersucht, welche Art der Kennzeichnung eine positivere Einstellung der Nutzer:innen gegenüber der beworbenen Marke nach sich zieht (vgl. Beckert et al. 2020) und durch welche Gestaltungsprinzipien Reaktanz am ehesten vermieden werden kann (vgl. Weitzl et al. 2020). Überdies liegt eine auf Praxisinteressen abgestimmte Einführung ins Thema auf wissenschaftlicher Basis vor (Schach 2014).

Neben einer Vielzahl empirischer Zugänge finden sich vereinzelt auch Bemühungen zur theoretischen Durchdringung von Advertorials. So begreift beispielsweise Hoffjann (2021) entsprechende hybride Formate aus → systemtheoretischer Perspektive als Aneignung von Strukturelementen fremder Systeme an den Rändern eines spezifischen Systems (hier: Werbung), welches dadurch Innovationspotential gewinnt und letztlich seine Evolutionsfähigkeit verbessert. Aus konstruktivistischer Sicht stellen Borchers und Woelke (2020) die maßgebliche Rolle der → Rezeption heraus: Ob ein Medienangebot als Advertorial einzustufen ist, entscheiden demnach keineswegs → Kommunikator:innen wie etwa Werbetreibende (allein), sondern bleibt in erster Linie das Ergebnis individueller Zuschreibungsprozesse. Daran lässt sich auch poststrukturalistisch (vgl. Raaz 2021) anschließen: Diesem Theorieprogramm gemäß haftet Abgrenzungen wie derjenigen zwischen Werbung und Journalismus grundsätzlich ein untilgbares Moment der Vagheit an. Aus diesem Grund sind einseitige, ihren Gegenstand idealisierende Beiträge in redaktionellen Publikationen an sich problematisch – ganz unabhängig davon, ob sie vom Publikum als Advertorials oder als journalistische Berichterstattung aufgefasst werden. Demzufolge dürfen Advertorials nicht von dem notwendigen, allgemeineren Engagement für journalistische Qualität (vgl. Arnold 2016) ablenken, innerhalb dessen sie aber einen wichtigen Teilbereich bilden.

Literatur:

Amazeen, Michelle A; Bartosz W. Wojdynski: The effects of disclosure format on native advertising recognition and audience perceptions of legacy and online news publishers. In: Journalism, 21(12), 2020, S. 1965-1984. https://doi.org/10.1177/1464884918754829

Arnold, Klaus: Qualität des Journalismus. In: Löffelholz, Martin; Liane Rothenberger (Hrsg.) Handbuch Journalismustheorien. Wiesbaden [Springer] 2016, S. 551-563. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18966-6_34

Baerns, Barbara: Die Zukunftstauglichkeit des Grundsatzes der Trennung von Werbung und Programm – Eine Problemskizze. In: Köhler, Tanja; Adrian Schaffranietz (Hrsg.): Public Relations – Perspektiven und Potenziale im 21. Jahrhundert. Wiesbaden [VS Verlag] 2005, S. 63-77.

Beckert, Johannes; Thomas Koch; Benno Viererbl; Nora Denner; Christina Peter: Advertising in disguise? How disclosure and content features influence the effects of native advertising. Communications, 45(3), 2020, S. 303-324. https://doi.org/doi:10.1515/commun-2019-0116

Borchers, Nils S.: Crossing the borders: A theory of hybrid advertising formats. In: Hamilton, James F.; Robert Bodle; Ezequiel Korin (Hrsg.): Explorations in critical studies of advertising. New York [Routledge] 2017, S. 205-217.

Borchers, Nils S.; Jens Woelke: Epistemological and methodical challenges in the research on embedded advertising formats: A constructivist interjection. In: Communications, 45(3), 2020, S. 325-349. https://doi.org/doi:10.1515/commun-2019-0119

Heinrich, Jürgen: Mediengüter zwischen Wirtschafts- und Kulturgut. In: Krone, Jan; Tassilo Pellegrini (Hrsg.): Handbuch Medienökonomie. Wiesbaden [Springer] 2020, S. 145-164. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09560-4_8

Hoffjann, Olaf: The innovation function of hybridization in public relations. In: Media and Communication, 9(3), 2021, S. 155-163.

Howe, Patrick; Brady Teufel: Native advertising and digital natives: The effects of age and advertisement format on news website credibility judgments. In: ISOJ Journal, 4(1), 2014, S. 78-90.

Iversen, Magnus Hoem; Erik Knudsen: When politicians go native: The consequences of political native advertising for citizens’ trust in news. In: Journalism, 20(7), 2019, S. 961-978. https://doi.org/10.1177/1464884916688289

Jung, A. Reum; Jun Heo: Ad Disclosure vs. Ad Recognition: How Persuasion Knowledge Influences Native Advertising Evaluation. In: Journal of Interactive Advertising, 19(1), 2019, S. 1-14. https://doi.org/10.1080/15252019.2018.1520661

Karmasin, Matthias; Matthias Rath; Barbara Thomaß (Hrsg.): Normativität in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden [Springer VS] 2013.

Köberer, Nina: Advertorials in Jugendprintmedien. Ein medienethischer Zugang. Wiesbaden [Springer VS] 2014.

Lauerer, Corinna: Zaungespräche statt Brandschutzmauer: Die Beziehung von Werbung & Journalismus in Verlagen. Wiesbaden [Springer VS] 2021.

Naab, Teresa K.; Daniela Schlütz: Nutzung von Werbung. In: Siegert, Gabriele; Werner Wirth; Patrick Weber; Juliane A. Lischka (Hrsg.): Handbuch Werbeforschung. Wiesbaden [Springer VS] 2016, S. 223-242.

Pasandaran, Camelia Catharina; Nina Mutmainnah, Nina: Young adults’ recognition of native advertising disguised as news. In: Young Consumers, 21(1), 2020, S. 91-108. https://doi.org/10.1108/YC-08-2019-1032

Raaz, Oliver: Der Antagonist des Antagonisten. Zur Dekonstruktion der kommunikationswissenschaftlichen Unterscheidung von Werbung und PR. In: Publizistik, 66(2), 2021, S. 215-233. https://doi.org/10.1007/s11616-021-00664-1

Schach, Annika: Advertorial, Blogbeitrag, Content-Strategie & Co.: Neue Texte der Unternehmenskommunikation. Wiesbaden [Springer Gabler] 2014.

Serazio, Michael: How news went guerrilla marketing: a history, logic, and critique of brand journalism. In: Media, Culture & Society, 43(1), 2021, S. 117-132.

Weinacht, Stefan: Journalismus & Werbung. In: Krone, Jan; Tassilo Pellegrini (Hrsg.): Handbuch Medienökonomie. Wiesbaden [Springer] 2020, S. 1-38. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09632-8_52-1

Weitzl, Wolfgang J.; Jens Seiffert-Brockmann; Sabine Einwiller: Investigating the effects of sponsorship and forewarning disclosures on recipients’ reactance. In: Communications, 45(3), 2020, S. 282-302. https://doi.org/doi:10.1515/commun-2019-0113

Wilkinson, J. B.; Douglas R. Hausknecht; George E. Prough: Reader Categorization of a Controversial Communication: Advertisement versus Editorial. In: Journal of Public Policy & Marketing, 14(2), 1995, S. 245-254. https://doi.org/10.1177/074391569501400206

Wojdynski, Bartosz W.; Hyejin Bang; Kate Keib; Brittany N. Jefferson; Dongwon Choi; Jennifer L. Malson: Building a Better Native Advertising Disclosure. In: Journal of Interactive Advertising, 17(2), 2017, S. 150-161. https://doi.org/10.1080/15252019.2017.1370401

Zurstiege, Guido: Zwischen Kritik und Faszination. Was wir beobachten, wenn wir die Werbung beobachten, wie sie die Gesellschaft beobachtet. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2005.

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Oliver Raaz
* 1981, ist seit 2019 Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (Arbeitsstelle Organisationskommunikation) der Freien Universität Berlin. Nach dem Magisterstudium der Kommunikations- und Medienwissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Münster, Leipzig und Prag war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an kommunikationswissenschaftlichen Instituten in Greifswald, Leipzig und Salzburg tätig. Im Wintersemester 2014/2015 wirkte er als ‚Visiting Scholar‘ an der Massey University (Neuseeland). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Transparenzkommunikation, Theorie und Historiographie der strategischen Kommunikation, Typen öffentlicher Kommunikation und Wissenschaftskommunikation.