Nachrichtenmagazin

2007

Wortherkunft und Definition:
Die Suche nach Artikeln und Forschungsarbeiten zum Begriff ‚Nachrichtenmagazin‘ führt auf Google Scholar weit überwiegend zum Spiegel. Es scheint in Deutschland jenseits von Spiegel und Focus wenige Nachrichtenmagazine zu geben, zumal Raabe ‚Nachrichtenmagazin‘ eng umschreibt. Für ihn ist ein Nachrichtenmagazin „publizistisch eher ein Sonderfall der Wochenzeitungen“ (Raabe 2013).

Tatsächlich wird der Begriff aber auch anders verwendet: Der Nachrichtenmonitor der ARD beispielsweise analysiert regelmäßig die in Deutschland am stärksten genutzten → Fernsehnachrichtensendungen, darunter „die beiden Nachrichtenmagazine ‚Tagesthemen‘ (Das Erste, 22.45 Uhr) und ‚heute journal‘ (ZDF, 21.45 Uhr)“ (Maurer 2021: 163). Nachrichtenmagazine gibt es also auch im Fernsehen. Und sie dürfen darüber hinaus auch im → Hörfunk verortet werden, gibt es doch auch hier – genau wie im Fernsehen – eine Programmform, „bei der mittels Moderation thematisch und formal heterogene Einzelbeiträge additiv verbunden werden“, und die als Magazin bezeichnet wird (Lünenborg 2013: 192).

Etwas umfassender als bei Raabe darf die Begriffsbeschreibung also sein. Als Ausgangspunkt empfiehlt sich dabei die Wortzerlegung entsprechend dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) in ‚Nachricht‘ und ‚Magazin‘.
Das DWDS kennt drei Bedeutungen für den Begriff ‚Magazin‘: Die des Lagerraums, die des Behälters zum Beispiel von Diapositiven und die einer „als Ganzes angebotene(n), geordnete(n) Zusammenstellung einer Menge von Texten, Bildern o. Ä.“ und unterscheidet dabei einerseits die „unterhaltende oder informierende, illustrierte Zeitschrift, die meist in regelmäßigen Abständen im Druck oder online erscheint“ und andererseits das „Hörfunk-, Fernseh- oder → Podcastformat, das über aktuelle Ereignisse innerhalb eines Themenbereichs berichtet oder diese kommentiert“ (DWDS 2021).

Diese Umschreibung ist denkbar weit – auch mit Blick auf die → Inhalte der genannten Medienangebote. Die Inhalte werden über den Begriff der → Nachricht festgelegt. Lünenborg umschreibt die Nachricht öffentlichkeitstheoretisch als „Mitteilungen, die für die Öffentlichkeit von Interesse und/oder Bedeutung sind“ und journalismustheoretisch als „ein Genre/eine Darstellungsform, bei dem in stark konventionalisierter Form aktuelle Informationen vermittelt werden“ (Lünenborg 2013 (2): 238). Letztere, die journalismustheoretische Beschreibung als → Darstellungsform, führt unmittelbar zu einem stark formalisierten Aufbau, der meist als umgekehrte Pyramide beschrieben wird. Genau so definiert auch Pöttker die Nachricht (Pöttker 2016).

Folgt man jedoch dieser durchaus verbreiteten Definition der Nachricht, erfüllt keines der genannten Nachrichtenmagazine im Print, Fernsehen oder Hörfunk den Anspruch, Nachrichten zu vermitteln. Alle Nachrichtenmagazine einschließlich Spiegel und Focus hätten ihre Bezeichnung nicht verdient. Sie schreiben oder reden meist anders. Der Pyramidenaufbau der Information mit dem Wichtigsten vom wer, was, wann und wo an der Spitze, der → Quelle im zweiten Satz und den Details dahinter, findet in Printmagazinen nicht statt. Und außerhalb vorgelesener Nachrichten im Rundfunk auch nicht. Der Grund dafür ist einfach: Die Pyramide ist der klassische Aufbau des Agenturjournalismus, wie er im Wesentlichen von Zeitungen und Rundfunk für aktuelle kurze Informationen, die Meldungen, eingesetzt wird. Genau diese Agenturmeldungen publizieren Zeitschriften grundsätzlich nie, da sie wegen ihres drucktechnischen Vorlaufs und der Erscheinungsweise im Wochen- oder Monatsrhythmus im Print Anderes als die Zeitungen anbieten müssen. Sie müssen Neues bieten und haben mit der Magazinmeldung und der News-Story ihre eigenen Meldungs- und Berichtsformen, die zum Beispiel viel ausgeprägter den Hintergrund des Geschehens und auch den Gang der Entwicklung im Zeitablauf darstellen. Auch → Interviews, → Features, → Reportagen oder Kommentare, wie sie von den Nachrichtenmagazinen der Presse und des Rundfunks ständig angeboten werden, entsprechen ebenfalls nicht der journalismustheoretischen Nachrichtendefinition.

Auf der anderen Seite ist die allgemein verwendete und auch von Lünenborg zitierte öffentlichkeitstheoretische Umschreibung der Nachricht als „Mitteilung, die für die Öffentlichkeit von Interesse und/oder Bedeutung ist“ (Lünenborg 2013 (2):238), für die Umschreibung von Nachrichtenmagazinen zu weit. Vieles ist für die → Öffentlichkeit von Interesse, was mit dem Journalismus und seiner öffentlichen Aufgabe nichts zu tun hat. Das Internet ist voll davon.

Ergänzt man aber diese öffentlichkeitstheoretische Umschreibung Lünenborgs um journalistische Auswahlkriterien und Umsetzungsregeln, entsteht ein Nachrichtenbegriff ähnlich dem der BBC. Dieser Begriff steht nach wie vor für Qualitätsjournalismus:
„Nachrichten sind neue sowie wahrheitsgemäß und sorgfältig wiedergegebene Informationen,
• die → aktuelle Ereignisse aus der ganzen Welt zum Gegenstand haben,
• die anderen wahrheitsgemäß und sorgfältig erarbeiteten Hintergrundinformationen
gegenübergestellt werden, welche zuvor jedoch wie Nachrichten behandelt werden müssen,
• die auf faire Weise von ausgebildeten Journalisten ausgewählt werden und dies ohne künstliches Ausbalancieren und ohne persönliche Motivation oder redaktionelle Einfärbung,
• die in eine Nachrichtensendung aufgenommen werden, weil sie interessant sind oder in den Augen der erwähnten Journalisten für die Zuhörer von persönlichem Belang sind,
• und die ohne Furcht → objektiv gestaltet werden mit Blick auf die Programmgrundsätze der BBC bezüglich guten Geschmacks und journalistischer Grundsätze.“ (BBC 1976)

Mit diesem Nachrichtenbegriff als Basis gelingt die Annäherung an die Realität der Nachrichtenmagazine: Nachrichtenmagazine präsentieren aktuelle Informationen aus der ganzen Welt, die von → Journalisten für ihr → Publikum professionell ausgewählt und bearbeitet werden. Nachrichtenmagazine sind entweder Publikumszeitschriften oder Hörfunk- oder Fernsehformate. Die dazugehörigen Online-Angebote sind ebenfalls Nachrichtenmagazine, sofern sie unter anderem die Inhalte der Zeitschrift oder des Rundfunkformats präsentieren. Dasselbe gilt für inhaltlich entsprechende selbständige Online-Angebote (z. B. t-online.de).

Gemeinsam typisch für die Nachrichtenmagazine des Rundfunks im Unterschied zu seinen Nachrichtensendungen und für die Publikumszeitschriften im Unterschied zu aktuelleren Medien sind in den Magazinen das Mehr an Informationen, das breitere Spektrum der Themen, die größere Vielfalt der Darstellungsformen und die ausführlichere Hintergrundberichterstattung. „Nachrichtensendungen melden, was passiert ist. Nachrichtenmagazine bringen dazu mehr Details, erklären Hintergründe, zeigen mögliche Auswirkungen auf und können das Geschehen auch werten.“ (Schneider 2020: 179) Entsprechendes gilt für die Presse. „Niemand braucht der aktuellen Information wegen eine Zeitschrift. Alle anderen Medien sind schneller, mit der schlichten Information kann die Zeitschrift im Wettbewerb nicht punkten. Deshalb veredelt sie die Information gegenüber Online-Angeboten oder Zeitungen durch eine ganze Reihe von Maßnahmen so weit, dass es dem Leser am Ende einen Nutzen bringt, die Zeitschrift zu kaufen (gedruckt oder als digitales Angebot). Dieses Maßnahmenbündel der Magazine umfasst unter anderem die Aufmachung, viele Zusatzinformationen zu Abläufen, Hintergrund und Zusammenhängen, eine besonders sorgfältige Sprache und einen auf Spannung und Verständnis angelegten Aufbau.“ (Wolff 2021: 96 f.)

Literatur:

British Broadcasting Corporation (BBC) 1976, zit. n. Arnold, Bernd-Peter:  ABC des Hörfunks. 2. überarbeitete Auflage. Konstanz [UVK] 1999, S. 118 f.

Lünenborg, Margreth: Magazin. In: Bentele, Günter; Hans-Bernd Brosius; Otfried Jarren (Hrsg): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden [Springer VS] 2013, S. 192 f.

Lünenborg, Margreth (2): Nachricht. In: Bentele, Günter; Hans-Bernd Brosius; Otfried Jarren (Hrsg): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden [Springer VS] 2013, S. 238 f.

Maurer, Torsten; Matthias Wagner; Hans-Jürgen Weiß: Fernsehnachrichten im Zeichen der Corona-Krise. Ergebnisse des Nachrichtenmonitors 2020. In: Media Perspektiven, 3 2021, S. 163 – 184.

o.V.: Magazin, das. In: DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heutehttps://www.dwds.de/wb/Magazin [11.11.2021]

Pöttker, Horst: Nachricht. In: Journalistikon, 13.1.2016. https://journalistikon.de/nachricht/ [4.11.2021]

Raabe, Johannes: Nachrichtenmagazin. In: Bentele, Günter; Hans-Bernd Brosius; Otfried Jarren (Hrsg): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden [Springer VS] 2013, S. 241.

Schneider, Hanno: Nachrichtensendung. In: Buchholz, Axel; Katja Schupp (Hrsg.): Fernsehjournalismus. Ein Handbuch für TV, Video, Web und mobiles Arbeiten. 10. vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden [Springer VS] 2020, S. 179 – 185.

Wolff, Volker; Tanjev Schultz; Sabine Kieslich: Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus. Schreiben für Print und online. 3. komplett überarbeitete Auflage. Köln [Herbert von Halem] 2021.

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Volker Wolff
Univ.-Prof. Dr., leitete von 1995 bis 2014 die Presseausbildung im Masterstudiengang Journalismus der Universität Mainz. Davor war er Redakteur bei einer überregionalen Tageszeitung sowie Ressortleiter und Chefredakteuer bei renommierten Magazinen.