Sommerloch

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Sieht so das Sommerloch aus? Foto: Unsplash/pixabay.comDie Naturmetapher ,Sommerloch‘ verweist auf ein natürlich wiederkehrendes Phänomen: die Zeit des Jahres, in der weniger als sonst zu passieren scheint. Es ist, als hätten sich berichtenswerte Ereig­nisse im Juli und im August in eine kühle Höhle zurückgezo­gen. Das stimmt aller­dings nur aus der Perspektive von Redaktionen, die dem Prinzip des Ter­min­jour­na­lis­mus anhän­gen. In der Tat ist während der Sommerpause aus Parlamenten oder Aus­schüs­sen, aus Fuß­ball­sta­dien, Schu­len und Universitäten, Be­hörden, Galerien oder Theatern wenig oder nichts zu be­richten.

Doch das eröffnet Journalisten die Chance, sich von Routinen zu lösen und eigene The­men in An­griff zu nehmen, die sie sonst un­ter dem Dik­tat der Termine ver­nachlässigen. Auf der an­deren Seite bietet das Som­merloch auch PR-Vertre­tern große Möglich­kei­ten: Sie haben es jetzt ebenfalls leichter, ihre The­men in die Medien z. B. mit einer Pressekonferenz zu lancieren.

Dass das Sommerloch im Journalismus nicht nur gefühlt existiert, sondern durch eine Studie nachgewiesen werden kann, zeigte Christian Pohl 2006 in seiner Diplomarbeit Gibt es das Sommerloch?. Er stellte für den Bereich des Lokaljournalismus in Tageszeitungen fest, dass die Medien in dieser Zeit „von gewohnten Berichterstattungsmustern abweichen“ (Pohl 2006: 167) und eine größere Eigeninitiative bei der Themenfindung pflegen (vgl. ebd.), die „nicht ereignisbezogen“ ist (ebd.: 168). „Im Sommer erscheinen häufiger Beiträge, für die Journalisten selbst Aktualität herstellen. […] Außerdem verändern sie ihre Darstellungstechnik und verwenden vermehrt interpretierende Genres“ (ebd.: 167). Dabei nehme die Zahl der Hintergrundberichte zu sowie die Menge an Servicebeiträgen, die einen „hohen Nutzwert bieten“ (ebd.: 168). Zu den Kehrseiten des Sommerlochs gehöre der Umstand, dass Artikel zum Aufmacher werden, „die nur einen geringen → Nachrichtenwert“ (ebd.: 168) und zum Teil mangelnde → Recherche-Sorgfalt aufweisen, indem sich Journalisten und Redakteure oft mit nur einer → Quelle zufrieden geben (vgl. ebd: 168; 170). Dennoch könne man „nicht generell von einer Steigerung oder einem Absinken der Qualität der Berichterstattung im Sommerloch sprechen“ (ebd.: 169).

Inner- und au­ßerhalb der Redak­tionen heißt das Sommerloch auch Saure-Gurken-Zeit. Diese wesentlich ältere Metapher kam Ende des 18. Jahr­hunderts in Berlin auf, hat mit sauren Gurken allerdings nichts zu tun. Sie ist „dem Rotwelschen entnommen, lautete ursprünglich ,zóress- und jókresszeit’ (von hebr. zarót und jakrút, jidd. zoro und joker) und bezeichnet die Zeit der Leiden und der Teuerung. ,Bei ihm ist Sauregurkenzeit’ bedeutet: Seine Geschäfte laufen z.Z. schlecht“ (Nail 1983: 105, zit. n. Röhrich 1991: 599). Da das Bewusstsein um die Herkunft und Bedeutung des Ausdrucks verloren ging, „bildete sich die volksetymologische Deutung heraus, der Ausdruck bezöge sich auf die geschäftsarmen Sommermonate, in denen die Gurken reifen und eingelegt werden“ (Röhrich 1991: 599; vgl. Kluge 1912: 115f.; fälschlich interpretiert etwa in Wahrig/Krämer/Zimmermann 1983: 501).

Literatur:

Kluge, Friedrich: Wortforschung und Wortgeschichte. Aufsätze zum deutschen Sprachschatz. Leipzig [Quelle & Meyer] 1912

Nail, Norbert: »Zores in der Sauregurkenzeit«. In: Der Sprachdienst, 27, 1983, S. 105

Pohl, Christian: Gibt es das Sommerloch? Inhaltsanalyse der Lokalberichterstattung dreier Tageszeitungen im Hinblick auf ihre mögliche Veränderung während des Sommers. Diplomarbeit. Dortmund [Universität Dortmund] 2006

Röhrich, Lutz: Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Band 1. Freiburg [Herder] 1991

Wahrig, Gerhard; Hildegard Krämer; Harald Zimmermann (Hrsg.): Brockhaus Wahrig. Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden. Fünfter Band P-STD. Wiesbaden/Stuttgart [F.A. Brockhaus/DVA] 1983

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Gunter Reus
*1950, Prof. Dr., ist apl. Professor i. R. für Journalistik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Kulturjournalismus, Pressejournalismus, Journalismusforschung, Sprache und Stil der Massenmedien. Kontakt: gunter.reus (at) ijk.hmtm-hannover.de Gunter Reus hat Einführungsbeiträge zum → journalistischen Jargon sowie zu → Sprache und Stil im Journalismus geschrieben.