Hurenkind

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Die Derbheit des Begriffs lässt keine Zweifel daran, dass Setzer und Zeitungsjour­na­listen damit etwas Illegitimes und Unerwünschtes bezeichnen wollten. Wenn beim Umbruch die letzte Zeile eines Absatzes (der ‘Ausgang’) unglücklicherweise in die nächste Spalte rutschte, spra­chen sie von einem Hurenkind.

Ein solcher Zeilenstummel am Spalten- oder gar Seitenbeginn störte das Er­schei­nungsbild, weil er den Eindruck einer Stufe bewirkte. Das galt als häss­lich und als gro­ber Regelverstoß. Um ein Hurenkind zu ver­hin­dern, musste der Journalist eine Zeile einbringen (aus dem Absatz streichen), oder er musste dazudichten und den Absatz um eine Zeile verlängern. Auch der Setzer konnte durch Verkleinern oder Vergrö­ßern der Wortzwischenräume Zeilen ein- oder ausbringen.

Layoutsoftware unterdrückt heute die Entste­hung von Hurenkindern, die man in profes­sionellen Druckerzeugnissen im Gegensatz zu → Schusterjungen kaum mehr sieht. Der Be­griff Hurenkind greift in der Metaphorik des Druckgewerbes die Isolation und den Verstoß unehe­lich geborener Kinder aus der ‘ordent­lichen’ Gesell­schaft auf (vgl. auch → journalis­tischer Jargon).

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*1950, Prof. Dr., ist apl. Professor i. R. für Journalistik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Kulturjournalismus, Pressejournalismus, Journalismusforschung, Sprache und Stil der Massenmedien. Kontakt: gunter.reus (at) ijk.hmtm-hannover.de Gunter Reus hat Einführungsbeiträge zum → journalistischen Jargon sowie zu → Sprache und Stil im Journalismus geschrieben.