Mediathek

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Wortherkunft: Kompositum aus ‚Medien‘ (von lat. medium = Mitte) und ‚Theke‘ (von griech. thékē = Behältnis, Kiste), gebildet analog zu ‚Bibliothek‘.

Definition:
Der Begriff Mediathek bezeichnet allgemein eine Sammlung audiovisueller Medien, entweder in physischer (z. B. als Multimedia-Abteilung einer Bücherei) oder digitaler Form (z. B. als Webseite), die die Nutzung, den Erwerb und/oder die Leihe dieser Medien ermöglicht.

Im heutigen Sprachgebrauch werden als Mediatheken vorrangig Internet-Videoportale von Fernsehsendern bezeichnet, auf denen Sendungen bzw. Ausschnitte derselben zeitversetzt als → Stream und/oder seltener zum Download bereitgestellt werden. Mediatheken zählen demnach zu den Video-on-Demand-Angeboten. Zusätzlich wird häufig ein Livestream des linearen → Fernsehprogramms angeboten.

Geschichte und gegenwärtiger Zustand:
Um die Jahrtausendwende begannen deutsche Fernsehsender mit Online-Videoportalen zu experimentieren (z. B. 2001 das ZDF); etwa 2008 verfügten die meisten Sender über eine eigene Mediathek. Neben den Angeboten einzelner Fernsehsender gibt es zudem auch senderübergreifende Mediatheken. So vereint die ARD Mediathek Inhalte aller zugehörigen Rundfunkanstalten, die Mediengruppe RTL führte 2016 ihre einzelnen Sender-Mediatheken unter der Dachmarke TV NOW zusammen, ProSiebenSat.1 Media bündelt ihre Sender bei 7tv und kooperiert hierfür mit Discovery. Gemeinschaftsmediatheken der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF (Arbeitstitel: ,Germany’s Gold‘) bzw. der beiden großen Privatsendergruppen RTL und ProSiebenSat. 1 (Arbeitstitel: ,Amazonas‘) sind an kartellrechtlichen Bedenken gescheitert (vgl. Puffer 2015).

Die Nutzung von Mediatheken ist in der Regel kostenfrei, die Finanzierung erfolgt bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über den Rundfunkbeitrag, bei den privaten Anbietern vorrangig über Werbung. Zusätzlich arbeiten einige Mediatheken privater Rundfunkveranstalter mit verschiedenen Bezahlmodellen wie Abonnements oder kostenpflichtigem Einzelabruf, die den Zugriff auf Zusatzfunktionen (z. B. Livestreams, Downloads für mobile Geräte oder Vorabzugriff auf Sendungen vor deren Ausstrahlung im linearen Programm) ermöglichen (vgl. Berghofer 2018; Puffer 2018).

Keine Mediathek bietet Zugriff auf das Gesamtprogramm eines Senders. Dies hat zum einen lizenzrechtliche Gründe, da zugekaufte Inhalte wie z. B. ausländische Filme und Serien oder lizenzierte Sportübertragungen zumeist nicht oder nur kurzfristig nach der Ausstrahlung online weiterverwertet werden dürfen. Für die öffentlich-rechtlichen Mediatheken greifen zum anderen zusätzliche Auflagen des Rundfunkstaatsvertrags, der die sogenannte „Depublizierung“ von Sendungen nach einer bestimmten, genreabhängigen Zeitspanne (in den meisten Fällen sieben Tage nach der Ausstrahlung) vorsieht (Puffer 2018).

Forschungsstand:
Mediatheken sind zunächst Gegenstand der Mediennutzungsforschung. Gemäß der ARD/ZDF-Onlinestudie 2018 nutzen 38 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren mindestens einmal im Monat Mediatheken, wobei große Unterschiede zwischen den Altersklassen – mit deutlich höherer Nutzung bei jüngeren Menschen – bestehen (Kupferschmitt 2018).

Bei einer zunehmenden Abwanderung von Zuschauern aus dem linearen Fernsehprogramm ins Internet stellt sich zudem die Frage, inwiefern Mediatheken als gleichwertige Substitute des linearen Programms dienen können. Eine vergleichende Inhaltsanalyse aus dem Jahr 2015 zeigt, dass dies nicht der Fall ist (Wagner/Trebbe 2015): Der Anteil an Sendungen aus dem linearen Programm, die auch in der Mediathek abgerufen werden konnten, bewegte sich je Sender zwischen 88 und unter 25 Prozent, wobei vor allem fiktionale Sendungen online häufig nicht verfügbar sind. Journalistische, informationsorientierte Sendungen finden hingegen bei fast allen Sendern zu großen Anteilen ihren Weg in die Mediatheken.

Eine jüngere Entwicklung von besonderer Relevanz für den Journalismus stellt zudem die Verwendung algorithmischer Empfehlungssysteme in Mediatheken dar. Da sich diese Empfehlungssysteme vorrangig der Popularität von Sendungen bedienen sowie auf Basis vorangehender Nutzungsmuster personalisieren, werden der → Vielfalt des angebotenen und genutzten Programms abträgliche Effekte befürchtet. Vor diesem Hintergrund wird in Forschungsprojekten untersucht, inwiefern insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Mediatheken algorithmische Empfehlungen mit dem Programmauftrag in Konflikt geraten bzw. sich mit dem dort festgehaltenen Vielfaltsgebot vereinen lassen (vgl. Pöchhacker/Geipel/Burkhardt/Passoth 2018; Schmidt/Sørensen/Dreyer/Hasebrink 2018).

Literatur:

Berghofer, Simon: Aktueller Stand der Digitalisierung der TV-Empfangswege und digitalen Fernseh- und Videonutzung in Deutschland. In: die medienanstalten – ALM: Digitalisierungsbericht 2018 Video: Digitalisierung vollendet – Wie linear bleibt das Fernsehen. Berlin [die medienanstalten – ALM] 2018, S. 34-53.

Kupferschmitt, Thomas. Onlinevideo-Reichweite und Nutzungsfrequenz wachsen, Altersgefälle bleibt. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2018. In: Media Perspektiven, 9, 2018, S. 427-437.

Puffer, Hanna: Video-on-Demand: Neue Schubkraft durch Netflix? Bewegung im deutschen Markt der Onlinevideotheken. In: Media Perspektiven, 1, 2015, S. 17-29.

Puffer, Hanna: Internetfernsehen als Herausforderung und Chance. Inhalte und Nutzungsmuster öffentlich-rechtlicher und privater Mediatheken. In: Media Perspektiven, 1, 2018, S. 2-9.

Pöchhacker, Nikolaus; Andrea Geipel; Marcus Burkhardt; Jan-Hendrik Passoth: Algorithmische Vorschlagsysteme und der Programmauftrag: Zwischen Datenwissenschaft, journalistischem Anspruch und demokratiepolitischer Aufgabe. In: Mohabbat Kar, Resa; Basanta Thapa; Peter Parycek: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft. Berlin [Kompetenzzentrum Öffentliche IT] 2018, S. 417-439.

Schmidt, Jan-Hinrik; Jannik Sørensen; Stephan Dreyer; Uwe Hasebrink: Algorithmische Empfehlungen. Funktionsweise, Bedeutung und Besonderheiten für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts Nr. 45). Hamburg [Hans-Bredow-Institut] 2018.

Wagner, Matthias; Joachim Trebbe: Internetfernsehen 2015. Die Programmangebote in den Mediatheken der Fernsehvollprogramme. In: die medienanstalten – ALM: Programmbericht 2015. Fernsehen in Deutschland – Programmforschung und Programmdiskurs. Berlin [Vistas] 2015, S. 77-104.

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*1988, Dr., ist seit 2019 Akademischer Rat a. Z. am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Zuvor war er ebendort wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 2015-2017 Mitarbeiter am Munich Center for Internet Research. Er promovierte 2019 an der LMU München zum Thema „Informationsselektion mit Suchmaschinen“. Arbeitsschwerpunkte: Medienselektion und -rezeption, quantitative Methoden. Kontakt: unkel (at) ifkw.lmu.de