Schriftstellerischer Journalismus

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Dieter Paul Baumert unterteilte 1928 in seiner Dissertation Die Entstehung des deutschen Journalismus die ihm damals bekannte Geschichte des Journalismus in vier Perioden. Dabei stellt der schriftstellerische Journalismus den Übergang vom → korrespondierenden Journalismus hin zum → redaktionellen Journalismus dar.

Die Periode des schriftstellerischen Journalismus beginnt für Baumert Ende des 18. Jahrhunderts und reicht bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die damaligen gesellschaftlichen Veränderungen durch die Urbanisierung, aber auch durch die Französische Revolution 1789, machten in seinen Augen auch eine Veränderung des Journalismus notwendig, denn die zeitgenössische „Avisen- und Intelligenzpresse“, schien „dem allgemeinen und aktuellen Lesebedarf nicht mehr zu genügen“ (Baumert, 1928: 35). Baumert unterstellte dem damaligen Zeitgeist, dass eine „literarische Veredelung der eigentlichen Tagespresse“ (Baumert 1928: 43) durch Schriftsteller notwendig sei.

Doch aufgrund der langen Unterdrückung insbesondere der Tageszeitungen durch die Zensur fand der aufklärerische Geist seinen Ausdruck in Zeitschriften, die zunächst losgelöst von der Aktualität räsonierten. Diese standen in der Tradition der ‘Moralischen Wochenzeitungen’, Papier gewordene Aufklärung des 18. Jahrhunderts, und bilden für Baumert (1928: 36) den „Keim schriftstellerischer Journalistik“. Auf diesem Wege entstand die „tagesschriftstellerische Arbeit“, die dann mit „den Schriftstellern des ‚Neuen Deutschland‘ ihren Höhepunkt“ erreichen sollte.

Baumert nennt als besonders auffällig, dass sich der schriftstellerische oder auch literarische Journalismus (Eberwein 2013) wirtschaftlich unabhängig vom Zeitungswesen entwickelte. Denn Kennzeichen der literarisch und politisch ambitionierten Zeitschriften der Revolutionszeit war, dass sie zumeist das Werk wirtschaftlich unabhängiger Herausgeber wie Joseph Görres waren, die, so Baumert, nur „nebenberuflich als Journalisten tätig“ waren und denen die „politische Journalistik nicht Erwerbschance, sondern sittliche Pflicht“ (Baumert 1928: 42) schien. Zugleich ist dies aber auch seine Kritik. Baumert betonte die „wirtschaftsberufliche Unzulänglichkeit des schriftstellerischen Journalismus“ (Baumert 1928: 40) und die Notwendigkeiten des Verlagswesens.

Die bedeutenden Schriftsteller konnten sich schließlich wenig mit der Tagesschriftstellerei anfreunden, aber, so Baumert (1928: 46), auf dem Weg hin zum modernen redaktionellen Journalismus „ergaben sich gerade für diejenigen Schriftsteller, die nicht die literarische Elite darstellten, feste Arbeitsverhältnisse, die eine hauptberufliche, tagesschriftstellerische Betätigung ermöglichten“.

Mit der Professionalisierung des Journalismus, die erst in politisch freieren und wirtschaftlich prosperierenden Zeiten – nach 1848 für Baumert, eigentlich erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert in Deutschland – einsetzte, konnten auch korrespondierender und schriftstellerischer Journalismus zum redaktionellen Journalismus werden. Rudolf Stöber (2005: 15) hat zu Recht bemerkt, dass korrespondierende wie schriftstellerische Phasen deshalb ebenfalls präjournalistisch seien. Und auch schon für Baumert war der von ihm so genannte schriftstellerische Journalismus eben nur halber Journalismus, denn er hatte zu wenig mit der Redaktion von Nachrichten zu tun.

Die einprägsamen Begriffe, orientiert an den jeweils dominierenden Akteuren, haben sich zur Unterteilung der Journalismusgeschichte als sehr funktional erwiesen. Noch heute bietet Baumert eine lesbare Beschreibung des Journalismus der Zeit der Napoleonischen Kriege und des Vormärz (Baumert 2013). Allerdings bleiben bei ihm die großen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen insgesamt unterrepräsentiert (Birkner 2012).

Literatur:

Baumert, Dieter Paul: Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine sozialgeschichtliche Studie. München [Duncker & Humblot] 1928

Baumert, Dieter Paul: Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine sozialgeschichtliche Studie. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Hömberg. Baden-Baden [Nomos] 2013

Birkner, Thomas: Das Selbstgespräch der Zeit. Die Geschichte des Journalismus in Deutschland 1605-1914 Köln [Herbert von Halem Verlag] 2012

Eberwein, Tobias: Literarischer Journalismus. Theorie – Traditionen – Gegenwart Köln [Herbert von Halem Verlag] 2013

Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Auflage. Konstanz [UTB/UVK] 2005

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Thomas Birkner
*1977, Prof. Dr., ist Professor für Journalistik im Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Er forscht insbesondere zum Journalismus, zu politischer Kommunikation, zu Kommunikationsgeschichte und Sportkommunikation. Er hat die DFG-Projekte „Medienbiografien der bundesdeutschen Kanzler und der Kanzlerin“ (2017-2019) und „Das Jahrhundert des Journalismus“ (2019-2023) geleitet.