Unabhängigkeit

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Wortherkunft: abgeleitet vom Adjektiv ‘unabhängig’, dem Gegenteil von ‘abhängig’; dieses ist nachgewiesen seit dem 15. Jahrhundert, seit dem 18. Jahrhundert in der Bedeutung von ‘nicht selbstständig, angewiesen auf’

Der Begriff der Unabhängigkeit beschreibt einen Zustand, in dem jemand oder etwas nicht von jemand oder etwas anderem beeinflusst wird. Als journalistische Qualität bezeichnet Unabhängigkeit vor allem (1) die Freiheit journalistischer Organisationen und darin handelnder Personen von journalismusfremden Einflüssen. Insofern beschreibt diese Qualitätsdimension nur indirekt eine Eigenschaft journalistischer Beiträge. In erster Linie zielt sie auf die Qualität journalistischer Arbeitsprozesse. (2) In systemtheoretisch geprägten Beschreibungen ist Unabhängigkeit von anderen gesellschaftlichen Teilsystemen eine unabdingbare Voraussetzung für den Bestand des Systems Journalismus.

(1) Von unabhängigem Journalismus kann immer dann gesprochen werden, wenn Journalisten weder ihre → Relevanzentscheidungen noch Ausmaß oder Richtung ihrer Recherchetätigkeit von journalismusfremden Instanzen beeinflussen lassen. Relevanzentscheidungen schließen dabei Entscheidungen über Veröffentlichung oder Nichtveröffentlichung von Nachrichten ebenso ein wie Entscheidungen über die Aufnahme thematischer Teilaspekte in einzelne Beiträge und Entscheidungen über die Gewichtung von Beiträgen hinsichtlich Umfang, Platzierung und Gestaltung.

(2) Die vor allem von Niklas Luhmann geprägte Theorie sozialer Systeme beschreibt Journalismus, Massenmedien oder Publizistik als autopoietisch, also selbsterhaltend und nach eigenen Regeln operierendes System, das aufgrund systemeigener Kriterien Entscheidungen über die Veröffentlichung oder Nichtveröffentlichung von Informationen trifft. Innerhalb derartiger Ansätze hört Journalismus auf, Journalismus zu sein, sobald systemfremde Kriterien an die Stelle journalistischer Entscheidungsprogramme treten. Unabhängigkeit kann in diesem Sinne nie relativ gedacht werden – Journalismus ist entweder unabhängig, oder er hört auf zu existieren.

Die Unabhängigkeit des Journalismus kann durch eine Vielzahl gesellschaftlicher Teilsysteme beziehungsweise in anderen Bereichen der Gesellschaft handelnde Akteure bedroht werden. So ist denkbar, dass Erwägungen über den Machterhalt von Personen oder Organisationen (etwa Parteien), also politische Kriterien zu Einflussnahme auf Journalisten führen. Auch die strukturelle Abhängigkeit des Journalismus von wirtschaftlichen Ressourcen eröffnet Einflussmöglichkeiten. Daneben können etwa auch Interessen des Religions- oder Rechtssystems die Unabhängigkeit des Journalismus gefährden.

In der Bundesrepublik Deutschland wurden, wesentlich geprägt durch historische Erfahrungen in der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, verschiedene Vorkehrungen getroffen, um die Unabhängigkeit des Journalismus zu sichern. So schützt Artikel 5 des Grundgesetzes die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film. Darüber hinaus ist die Pressefreiheit in sämtlichen Pressegesetzen der Bundesländer verankert.

Für die konkrete Ausgestaltung dieser Rechte sind zudem verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes maßgeblich. Unter anderem hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der öffentlichen Aufgabe der Presse geprägt. Diese besteht in der Information der Öffentlichkeit, der Artikulation der öffentlichen Meinung sowie der Kontrolle und Kritik des gesellschaftlichen Geschehens. Um diese öffentliche Aufgabe erfüllen zu können, werden der Presse verschiedene Privilegien eingeräumt – etwa die Zulassungsfreiheit, durch welche die jederzeitige Gründung von Presseunternehmen gewährleistet wird, den Informationsanspruch gegenüber Behörden oder das Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutz von Informanten. Die Unabhängigkeit des Rundfunks im Speziellen soll durch eine staatsferne Organisation auch der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sichergestellt werden.

Literatur:

Handstein, Holger: Qualität im lokalen Zeitungsjournalismus. Theoretischer Entwurf und empirische Fallstudie. München [AVM] 2010

Kurz, Josef; Daniel Müller; Joachim Pötschke, Horst Pöttker; Martin Gehr: Stilistik für Journalisten. 2. Auflage. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2010

Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1997

McQuail, Denis: Media Performance. Mass Communication and the Public Interest. London [Sage] 1992

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Holger Handstein
*1976, Dr., hat an der Technischen Universität Dortmund zum Thema Qualität im Journalismus promoviert. Er arbeitet als Kommunikationsberater in Köln. Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte: Qualität im Journalismus, Verhältnis von Journalismus und PR. Kontakt: post (at) handundstein.de Holger Handstein hat einen Einführungsbeitrag zum Thema → Qualität im Journalismus geschrieben.