Wortherkunft und Definition:
Der Begriff Native Advertising bedeutet ‚Werbung im bekannten Umfeld‘. Das Wort ‚Native‘ kommt aus dem Lateinischen (nativus) und lässt sich mit ‚angeboren‘, ‚natürlich‘, ‚ursprünglich‘ übersetzen (Pons Online-Wörterbuch Latein-Deutsch). Native Ads sind bezahlte Werbeanzeigen in digitalen Medien, die sich durch Gestaltung, thematische Ausrichtung, → Inhalt, Tonalität, funktionale Nutzungsmöglichkeiten oder technische Einbindung möglichst nahtlos in das jeweilige mediale Umfeld einfügen (vgl. ZAW 2016: 4).
Der Oberbegriff für diese in den USA entwickelte, nicht standardisierte digitale Werbeform ist Content Marketing. Bei Content Marketing handelt es sich um einen strategischen Marketing-Ansatz, der das Ziel verfolgt, durch die Bereitstellung interessanter, hilfreicher oder unterhaltender Inhalte profitables Kundenverhalten zu erzeugen (vgl. Hörner 2022: 7). Weitere Werbeformen innerhalb der Content-Familie sind zum Beispiel Branded Content oder Corporate Publishing.
Abzugrenzen ist der Begriff Native Advertising von Product Placement. Bei Product Placement werden Produkte oder Dienstleistungen gegen finanzielle oder sachliche Zuwendungen zielgerichtet in redaktionelle Medienangebote integriert (vgl. Wegener 2019: 44).
Ebenso wie → Advertorials können und sollen Native Ads den Anschein erwecken, dass es sich anstelle bezahlter Werbung um den ursprünglichen Inhalt einer Website oder Plattform handelt. Damit soll die Werbevermeidung des Publikums umgangen und eine höhere Aufmerksamkeit für Werbeinhalte erzielt werden (vgl. Siegert und Brecheis 2017: 23ff.) Um eine Täuschung der Rezipient:innen über die → Quelle einer Veröffentlichung auszuschließen, unterliegt redaktionell gestaltete Werbung der Kennzeichnungspflicht. Diese Pflicht ist für alle deutschen Medien gleichermaßen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verankert.
Für digitale Werbung finden sich weitere medienspezifische Ausprägungen des Prinzips im Medienstaatsvertrag (MStV) und im Telemediengesetz (TMG). Anders als in den printspezifischen Vorgaben der Landesmediengesetze (z. B. § 14 Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz), die zwingend eine Kennzeichnung redaktionell gestalteter Werbung mit dem Begriff ‚Anzeige‘ vorschreiben, sind Werbetreibende und Medien nach den Regeln des TMG und MStV bei der Kennzeichnung nicht von vornherein auf einen bestimmten Terminus festgelegt.
Der Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) empfiehlt je nach Angebot und Zielgruppe eine einheitliche Verwendung der Kennzeichnung, für ein Angebot, das sich an ein jüngeres, onlineaffines → Publikum richtet, z. B. ‚sponsored post‘, für ein Angebot, das für ältere Nutzer bestimmt ist, z. B. ‚Werbung‘ oder ‚Anzeige‘ (vgl. ZAW 2016: 54).
Die American Society of Magazine Editors (ASME) empfiehlt Verlagen, Advertorials auf Websites und in Social-Media-Angeboten mit ‚Sponsor Content‘ oder ‚Paid Post‘ zu kennzeichnen und die Werbung durch visuelle Elemente klar von redaktionellen Inhalten abzugrenzen (American Society of Magazine Editors 2015).
Geschichte und gegenwärtiger Zustand:
Bereits seit Mitte der achtziger Jahre gibt es den Trend, Werbeanzeigen als Zeitungs- oder Zeitschriftenbeiträge zu verpacken. Das Advertorial, die redaktionell gestaltete Anzeige in Printmedien, findet im Internet als Native Ad ihre Fortsetzung und erscheint z. B. als Nachrichtenbeitrag, Social-Media-Post, Link oder → Suchmaschinenergebnis. Mittlerweile ist Native Advertising weit verbreitet: Eine Inhaltsanalyse aus den USA zeigte, dass 92 Prozent der meistbesuchten Online-Nachrichtenseiten in den Jahren 2015 bis 2016 Native Advertising enthielten (vgl. Amazeen/Wojdynski 2018: 4). Die sozialen Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter setzen diese Werbeform ebenfalls vermehrt ein (vgl. Perrin 2018).
Da Nutzer*innen sich zunehmend von klassischer Werbung gestört fühlen, diese ignorieren oder zwecks Vermeidung Werbeblocker einsetzen (vgl. Austin/ & Newman: 2015), sehen Werbetreibende im Native Advertising eine vielversprechende Möglichkeit, die Wahrnehmungschancen von Werbung und deren Sympathiewerte zu erhöhen. Befördert wird Native Advertising zudem durch die stetig wachsende Nutzung mobiler Geräte wie Tablet-Computer und Smartphones (vgl. D21-Digital-Index 2021/2022: 14f.), die kaum Platz für großformatige Anzeigen bieten und an deren Displays sich die als redaktionelle Beiträge getarnten Werbetexte flexibel anpassen lassen.
Native Ads sollen User*innen mit sauber recherchierten Inhalten und gut erzählten Geschichten informieren und unterhalten. Dabei sollen weniger die Vorzüge von Produkten und Dienstleistungen herausgestellt, als vielmehr durch erfolgreiches Storytelling Nutzen für Leser*innen geschaffen werden. Beim Storytelling werden Fakten in Geschichten eingebettet. Dadurch soll der argumentative Widerstand der Rezipient*innen verringert werden (vgl. ARD-Forschungsdienst 2020: 297).
Neben einer positiven Einstellung gegenüber dem werbenden Unternehmen samt seinen Dienstleistungen und Produkten erhoffen sich Werbetreibende, dass Native Ads von Nutzern per Facebook und Twitter gelikt und weiterverbreitet werden. Und nicht zuletzt sollen die verschleierten Werbebotschaften am Vertrauen der Rezipient*innen auf die Objektivität des redaktionellen Inhalts partizipieren (vgl. Kieslich 2014: 92).
Die Verschleierungstaktik von Native Advertisement kollidiert allerdings mit der berufsethischen Norm, redaktionelle Inhalte und Werbung klar voneinander zu trennen. Damit wächst nach Ansicht von Kritikern auch die Gefahr, dass journalistische Medien ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen (z. B. Siebenhaar 2018). Gilt doch gerade die redaktionelle Unabhängigkeit als wesentliches Merkmal journalistischer Professionalität und als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ( → Politischer Journalismus).
Den Ansprüchen an die Medien, einen freien Austausch der Argumente und Meinungen in der Gesellschaft zu ermöglichen, steht die wirtschaftliche Situation vieler Zeitungs- und Zeitschriftenverlage entgegen, die sich hauptsächlich durch Verkaufs- und Anzeigenerlöse finanzieren.
Besonders Zeitungen haben neben sinkenden Verkaufszahlen im Printbereich damit zu kämpfen, dass sich die Werbeeinahmen immer weiter ins Internet und hier besonders hin zu den großen Technologieunternehmen wie Facebook und Google verlagern. Von 2000 bis 2021 sind die Nettowerbeumsätze der Tageszeitungen in Deutschland von rund 6,56 Milliarden Euro um fast drei Viertel auf 1,82 Milliarden Euro geschrumpft (vgl. Statista 2022) – ohne Aussicht auf eine Trendwende. Trotz der lebhaften Diskussion um alternative Finanzierungsmöglichkeiten wie Bezahlmodelle, Crowdfunding oder staatliche Zuschüsse steht die Etablierung eines tragfähigen Geschäftsmodells im Internet noch aus (Murschetz 2020). Zudem gilt Content Marketing als Wachstumsfeld. Für Deutschland werden bis 2025 Einnahmen von mehr als 20 Milliarden US-Dollar aus dem Bereich Native Advertising prognostiziert (prnewswire 2019). Das erhöht den Druck auf die Verlage, die Grenzen zwischen Werbung und Redaktion weiter zu lockern.
Forschungsstand zur Wirkung von Native Advertising:
Ob eine Veröffentlichung als Werbung erkannt wird, hat sich in der Forschung als Schlüsselfaktor für die Wirkung von Native Advertising herausgestellt. Das Werbematerial wird positiver aufgenommen, wenn dessen Werbecharakter unerkannt bleibt. Personen hingegen, die erkennen, dass es sich bei einer Veröffentlichung um keinen ursprünglichen Beitrag einer Plattform (z. B. durch redaktionelle Entscheidungsfindung auf journalistischen Plattformen; Peer-Posting auf → sozialen Plattformen; algorithmische Optimierung auf Suchmaschinenplattformen), sondern um bezahlte Werbung handelt, bewerten die beworbene Marke negativer als Personen, die das nicht bemerken (Wojdynski/Evans 2016). Das kann bei Nachrichtenseiten zu Glaubwürdigkeitsverlusten und Reputationsschäden führen. So wurde in Studien festgestellt, dass Rezipienten, die verdeckte Anzeigen als Werbung erkannten, die Glaubwürdigkeit des Mediums geringer bewerteten als Personen, die sich täuschen ließen (z. B. Amazeen/Wojdynski 2018; Amazeen/Muddiman 2018, Wojdynski/Evans 2016; Wu et al. 2016).
Personen mit ohnehin schon hoher Werbeskepsis zeigten sich als besonders negativ gegenüber Native Ads eingestellt (Lee/Kim/Ham 2016). Eine wahrgenommene Täuschung durch Native Advertising wiederum führte bei Verbrauchern zu mehr Irritation, Werbeskepsis, und -vermeidung (Han/Drumwright/Goo 2018). Ethische Bedenken hinsichtlich des Irreführungspotenzials von Native Advertising äußern auch → Journalisten, Werbe- und PR-Verantwortliche (Schauster/Ferrucci/Neill 2016). Dass diese Bedenken begründet sind, zeigen experimentelle Studien: Selbst dann, wenn eine Anzeige mit einem Werbehinweis versehen wurde, nahmen weniger als 20 Prozent der Versuchspersonen Native Advertising als Werbung wahr (z. B. Amazeen/Muddiman 2017; Wojdynski 2016; Wojdynski/Evans 2016). Probleme, Native Advertising als Werbung zu identifizieren, hatten besonders ältere Personen und solche mit einem vergleichsweise niedrigeren Bildungsabschluss (Amazeen/Wojdynski 2018).
Die Erkennbarkeit von verdeckter Werbung in digitalen Kontexten hängt Studien zufolge unter anderem von der Platzierung des Werbehinweises ab (Wojdynski 2016; Wojdynski/Evans 2016) und dem Wortlaut, in dem dieser erscheint (Evans et al. 2017; Wojdynski 2016; Wojdynski et al. 2017). Mit dem Hinweis ‚advertisement‘ oder ‚sponsored‘ ließ sich die Erkennbarkeit im Vergleich zu anderslautenden Kennzeichnungen verbessern (Wojdynski/Evans 2016).
Ob Native Advertising nun tatsächlich die Gefahr der Einflussnahme von Werbung auf journalistische Prozesse erhöht, untersuchte eine jüngere Mainzer Studie und kam zu dem Ergebnis, dass Organisationsstruktur und finanzielle Zwänge ausschlaggebende Faktoren für das Ausmaß des Einflusses der Werbeabteilungen auf die journalistische Autonomie darstellen (Beckert 2022).
Literatur:
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Beckert, Johannes: A Threat to Journalism? How Journalists and Advertising Sales Managers in News Organizations perceive and cope with Native Advertising. In: Journalism, 0(0), 2022, S. 1-19. https://doi.org/10.1177/14648849211067584
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Kieslich, Sabine G.: Die Erkennbarkeit redaktionell gestalteter Anzeigen in Publikumszeitschriften. Eine experimentelle Untersuchung. Frankfurt am Main [Peter Lang] 2014.
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Siegert, Gabriele; Dieter Brecheis: Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft. Eine kommunikationswissenschaftliche Einführung. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden [Springer VS] 2017.
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Wojdynski, Bartosz W.; Hyejin Bang; Kate Keib, Brittany N. Jefferson, Dongwon Choi, Jennifer Malson: Building a Better Native Advertising Disclosure. In: Journal of Interactive Advertising, 17, 2017, S. 150-161.
Wu, Mu; Yan Huang; Ruobing Li; Denise S. Bortree; Fan Yang; Anli Xiao; Ruoxu Wang: A Tale of Two Sources in Native Advertising: Examining the Effects of Source Credibility and Priming on Content, Organizations, and Media Evaluations. In: American Behavioral Scientist 60, 2016, S. 1492-1509.
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