Waschzettel

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Waschzettel ist ein Begriff für Pressemitteilung
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Wenn Interessengruppen wie Parteien, Verbände oder Unternehmen die Medien auf Sachverhalte auf­merksam machen wollen, dann tun sie das unter anderem mit einem ‚Waschzettel‘. Dieser kurze Text enthält zum Beispiel Angaben zu neuen Produkten, Hinweise auf Ereignisse, Personalia oder Stellungnah­men zu aktuellen Themen. Er geht den Redaktionen als E-Mail oder in gedruckter Form zu, liegt Presse­mappen bei oder wird auf → Pressekonferenzen verteilt. Der Waschzettel ist also eine → Presse­mitteilung, die allerdings oft über die bloße Information hinausgeht und werblichen Cha­rakter hat oder Teil gezielter Lobbyarbeit ist.

Es liegt nahe zu vermuten, → Journalisten hätten diesen abschätzig anmutenden Begriff (vgl. ‚Ge­wäsch‘) aufgebracht, um sich sprachlich gegen jede Einflussnahme auf ihre Tätigkeit zu verwahren. Tatsächlich aber ist der Waschzettel viel älter als der Journalismus. Er diente in der vor­industriel­len Zeit als „Verzeichnis der in die Wäsche gegebenen Stücke“ (Grimm/Grimm 1922: 2271). Der Zettel sollte sicherstellen, dass bei der müh­samen Kleiderreinigung von Hand und außer Haus nichts verloren ging oder durcheinandergeriet. In der Literatur taucht der Begriff ‚Wasch­zet­tel‘ zum Beispiel bei Georg Forster, Jean Paul oder E.T.A. Hoffmann auf (vgl. ebd.). Seit dem 19. Jahrhundert wurde er im über­tragenen Sinne auch für andere ‚Zettel‘ wie zum Beispiel ministerielle Mit­teilungen oder die Wer­be­prospekte von Buch­verlagen benutzt. So fand er schließlich seinen Weg in den jour­nalistischen → Jargon.

Die Vorteile des Waschzettels für die Redaktionsarbeit sind offenkundig: Die darin enthaltenen Da­ten, Fakten und Zusammenhänge sind unentbehrlich als Interna und Anregungen für die weitere → Re­cherche. Ohne solche ,ins Haus geliefertenʻ Hinweise kann Journalismus in einer von Parti­kular­inter­essen geprägten Gesellschaft nicht funktionieren. Die Gefahren indessen liegen ebenso auf der Hand. Waschzettel sind interessengeleitete Kommunikation. Je pro­fessioneller solche Mitteilungen aber aufgemacht sind und je höher der Zeitdruck in den → Redak­tionen ist, um so stärker ist die Ver­lockung, die Liefe­rung ins Haus einfach ungeprüft zu überneh­men und damit fremde Interessen zu bedienen.

Das wird auf einem Gebiet wie der journalistischen Buchkritik besonders deutlich. Bei rund 70.000 Neuerscheinungen in Deutschland pro Jahr und einem gnadenlosen Konkurrenzkampf ist das Ver­lagswesen wie kaum eine andere Branche auf ein Echo in den Medien angewiesen. Der „Wasch­zettel“ ist dabei von herausragender Bedeutung und eine „traditionelle Fachbezeichnung“ (Pape 1997: 610) im Buchmarketing. Jedem neuen Buch, das an die → Feuilletons zur Besprechung ge­schickt wird, liegt eine solche Pressemitteilung bei. Sie enthält eine Darstellung des Buch­inhalts, Angaben zu Autor oder Autorin, Seitenzahl und Preis des Buches, aber auch wertende Einschät­zungen und Testimonials (zum Beispiel Zitate bekannter Persönlichkeiten, die sich für das Werk oder seine Urheber aussprechen). Denn über die sachliche Informationsfunktion hinaus ist es Ziel der → Verlage, poten­tielle Rezensentinnen und Rezensenten positiv auf die Neuerscheinung einzu­stim­men. Ent­sprechend können Wasch­zettel „auch bei der Werbung verwendet“ werden (Rau­tenberg 2003: 533).

Allzu oft zeigen sich Redaktionen bereit, den Einflussversuchen der Verlage nachzugeben und Waschzettel einfach unverändert abzudrucken (vgl. Hiller/Füssel 2006: 355; Pape 1997: 611; Pflug 2014: 196). In einer Untersuchung von 580 → Rezensionen deutscher Tageszeitungen konnte Anja Beer nachweisen, dass in jeder zweiten Besprechung Pressemitteilungen „komplett oder in Teilen übernommen“ wurden (Beer 2007: 78).

Literatur:

Beer, Anja: Vertrauensselige Kritiker. In: Message, 3, 2007, S. 76-79.

Grimm, Jacob; Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bearbeitet von Dr. Karl von Bahder unter Mitwirkung von Dr. Hermann Sickel. Dreizehnter Band. W–Wegzwitschen. Leipzig [Verlag von S. Hirzel] 1922 (Nachdruck München [dtv] 1984), Spalte 2271.

Hiller, Helmut; Stephan Füssel: Wörterbuch des Buches. 7. Auflage. Frankfurt/Main [Klostermann] 2006.

Pape, Martin: Wörterbuch der Kommunikation: Geschichte, Technik, Medien, Sprache, Gesell­schaft, Kultur. Neuwied [Luchterhand] 1997.

Pflug, Günther (Hrsg.): Lexikon des gesamten Buchwesens. Stuttgart [Hiersemann] 2014.

Rautenberg, Ursula: Reclams Sachlexikon des Buches. Stuttgart [Reclam] 2003.

 

 

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Gunter Reus
*1950, Prof. Dr., ist apl. Professor i. R. für Journalistik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Kulturjournalismus, Pressejournalismus, Journalismusforschung, Sprache und Stil der Massenmedien. Kontakt: gunter.reus (at) ijk.hmtm-hannover.de Gunter Reus hat Einführungsbeiträge zum → journalistischen Jargon sowie zu → Sprache und Stil im Journalismus geschrieben.