Start Typen und Formen

Typen und Formen

Eine Einführung von Thomas Birkner

Journalismus ist ein „modern-era phenomenon” (Barnhurst 2015: 309) und kann gleichfalls als „sense-making practice of modernity” (Hartley 1996: 32) verstanden werden. Entsprechend ist die Entstehungsgeschichte des Journalismus mit dem Prozess der Ausdifferenzierung der modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft insbesondere im 19. Jahrhundert verbunden. Dem Journalismus fiel die Rolle zu, der Moderator jenes „Selbstgesprächs“ zu sein, „welches die Zeit über sich selber führt“ (Prutz 1971: 7). In dieser Funktion hat sich der Journalismus, auch im Verlauf des 20. Jahrhunderts, immer weiträumiger entfaltet. Dabei lassen sich spätestens mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts Ausdifferenzierungen oder auch Entgrenzungen (Loosen 2007) beobachten, die den Journalismus zunehmend unkenntlicher machen.

Die Ausdifferenzierung des Journalismus lässt sich auf drei Ebenen analytisch beschreiben. Zunächst sind auf institutioneller Ebene unterschiedliche Medien zu finden. Hier lassen sich zum einen themenspezifische Medien wie Special-Interest-Zeitschriften, die Fachpresse, Blogs und Spartenkanäle identifizieren, zum anderen in Fernsehen und → Radio Vollprogramme, im Internet Nachrichtenportale und die tagesaktuelle Presse. Vor allem diese → Massenmedien haben jeweils spezifische Typen und Formen des Journalismus ausgeprägt und sich intern in Ressorts aufgegliedert. Auf diesem Wege entstanden zum Beispiel → Politikjournalismus, → Kulturjournalismus, → Wirtschaftsjournalismus, → Sportjournalismus, → Lokaljournalismus und auch der selbstreflexive Medienjournalismus.

Oberhalb der Themenspezifik lassen sich im Journalismus so genannte Berichterstattungsmuster erkennen (Weischenberg 2001). Hierzu gehören neben dem im westlichen Journalismus dominierenden Informationsjournalismus der investigative Journalismus, auch Enthüllungsjournalismus genannt, der interpretative Journalismus, der Präzisions-Journalismus und der New Journalism, der später als Way New Journalism vor allem als eine Form des literarischen Journalismus auftrat, sowie die Formen des Meinungsjournalismus (Parteizeitungen), des → anwaltschaftlichen Journalismus (Gegenöffentlichkeit für Minderheiten), des Public Journalism (Engagierter Lokal-Aktionsjournalismus), der so genannte Ratgeberjournalismus oder auch Nutzwertjournalismus (Meier 2007: 185) sowie Entwicklungsjournalismus. Besondere Spielarten des Journalismus stellen der Boulevardjournalismus und Infotainment dar, denen der so genannte Qualitätsjournalismus gegenüber gestellt wird.

Dies hat immer auch mit dem Selbstverständnis unterschiedlicher Journalisten-Typen auf der Ebene der journalistischen Akteure zu tun, vom rasenden Reporter bis zum Chefredakteur und wieder zurück zu den häufig finanziell prekär ausgestatteten freien Journalisten, dem → Kriegsberichterstatter und dem Leitartikler. Dieser verweist auf die dritte Ebene der analytischen Unterteilung des Journalismus: auf die Textformen. Hierbei werden neben den Nachrichten-Darstellungsformen (→ Nachricht und → Bericht), die Meinungs-Darstellungsformen (Glosse, Lokalspitze, Kommentar, Leitartikel), sowie die Unterhaltungs-Darstellungsformen (→ Reportage, → Feature) und das → Interview unterschieden (Weischenberg 2001). Zunehmende Bedeutung hat in diesem Bereich die Einbindung des → Publikums, die heute weit über das Rubrizieren von Leserbriefen hinausgeht und etwa die häufig problematisierten Kommentarfunktionen im Netz und weitere Rückkanäle umfasst.

Literatur:

Barnhurst, Kevin: Journalism. In: Donsbach, Wolfgang (Hrsg.): The Concise International Encyclopedia of Communication. Oxford [John Wiley & Sons] 2015, S. 308-311

Hartley, John: Popular Reality. Journalism, Modernity, Popular Culture. London [Hodder Arnold] 1996

Loosen, Wiebke: Entgrenzung des Journalismus. Empirische Evidenzen ohne theoretische Basis? In: Publizistik, 52(1), 2007, S. 63-79

Meier, Klaus: Journalistik. Konstanz [UVK] 2007

Prutz, Robert Eduard: Geschichte des deutschen Journalismus. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1971

Weischenberg, Siegfried: Nachrichten-Journalismus. Anleitungen und Qualitäts-Standards für die Medienpraxis. Opladen [Westdeutscher Verlag] 2001

Thomas Birkner
*1977, Dr., Akademischer Oberrat auf Zeit am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er lehrt und forscht in den Bereichen Journalismusforschung, Politische Kommunikation, Kommunikationsgeschichte und Mediensystemforschung. Kontakt: thomas.birkner (at) uni-muenster.de Thomas Birkner hat einen Einführungsbeitrag zu → Typen und Formen des Journalismus geschrieben.

Beiträge aus der Kategorie

Nutzwertjournalismus

0
Wortherkunft und Geschichte: Der Begriff ‚Nutzwert‘ stammt aus der Volkswirtschaftslehre. Dort bezeichnet er den Nutzen, den ein Käufer beim Erwerb eines Gutes oder einer Dienstleistung erlangt. Im Journalismus...

Geschichtsjournalismus

0
Geschichtsjournalismus – wie Vergangenheit vergegenwärtigt wird Definition: Als Geschichtsjournalismus wird die journalistische Aufbereitung historischer und zeitgeschichtlicher Themen bezeichnet. Sein Ziel ist die Vermittlung geschichtlicher Ereignisse und...

Fachjournalismus

0
Herkunft: Der Historiker und Kommunikationswissenschaftler Siegfried Quandt darf wohl für sich in Anspruch nehmen, als erster den Begriff ‚Fachjournalistik‘ etabliert zu haben. Der Geschichtsdidaktiker hat...

Kriegsberichterstattung

0
Definition: Kriegsberichterstattung ist ein Teilbereich der Auslandsberichterstattung. Diese wird oft dafür kritisiert, dass sie selektiv und krisengetrieben insbesondere über nicht-westliche Weltregionen wie Afrika, die arabische...

Politischer Journalismus

0
Definition: Politischer Journalismus befasst sich mit den Rahmenbedingungen, Absichten, Ereignissen, Handlungen, Themen und Akteur:innen des politisch-administrativen Systems und der aus der Bevölkerung heraus gebildeten politischen...

Nachrichtenmagazin

0
Wortherkunft und Definition: Die Suche nach Artikeln und Forschungsarbeiten zum Begriff ‚Nachrichtenmagazin‘ führt auf Google Scholar weit überwiegend zum Spiegel. Es scheint in Deutschland jenseits...

Wirtschaftsjournalismus

0
zusammen mit → Anne Köppen Wortherkunft – Definition – Typologie: Wirtschaftsjournalismus stellt im weitesten Sinne die journalistische Beschäftigung mit dem Themenfeld ‚Wirtschaft‘ dar. Er gehört neben...

Boulevardisierung

0
Wortherkunft: Boulevard (frz.) – Prachtstraße, Flaniermeile; Boulevardzeitungen sind Straßenverkaufszeitungen, die früher im Handverkauf, später am Kiosk vertrieben wurden. Definition: Als Boulevardisierung werden jene inhaltlichen, ästhetischen und...

Scripted Reality

0
Wortherkunft und Definition: Der Fokus der folgenden Definition liegt auf den Produktions- und Inszenierungsformen: „Scripted Reality ist eine Form des vor allem deutschsprachigen Unterhaltungsfernsehens. In...

Reality TV

0
Wortherkunft und Definition:Die Bezeichnung Reality TV wurde zunächst im Produktionsbereich verwendet und dient der Kennzeichnung von Formen der faktenbasierten Unterhaltung. Der Begriff fungiert als...