Fachjournalismus

936

Herkunft:
Der Historiker und Kommunikationswissenschaftler Siegfried Quandt darf wohl für sich in Anspruch nehmen, als erster den Begriff ‚Fachjournalistik‘ etabliert zu haben. Der Geschichtsdidaktiker hat 1984 an der Universität Gießen den bis heute existierenden Studiengang Fachjournalistik Geschichte eröffnet (Quandt 1990/1992). In der Folge ist die Bezeichnung vor allem von Hochschulen beziehungsweise Weiterbildungseinrichtungen verwendet worden: Im Wintersemester 1997/1998 nahm der inzwischen geschlossene Diplom-Studiengang Fachjournalistik an der Hochschule Bremen die ersten Studierenden auf (Dernbach 2006: 9-11); im Jahr 1999 wurde der zwei Jahre zuvor gegründete Allgemeine Journalisten- und Medienclub e. V. (AJM) in Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. umbenannt. Ende 2006 hat sich der DFJV grundlegend umstrukturiert: Der Geschäftsbetrieb wurde auf eine Aktiengesellschaft übertragen, die Deutsche Fachjournalisten-Schule und der Verlag wurden abgetrennt.

Definition:
Journalismus hat die Funktion, gesellschaftliche Teilbereiche wie → Politik und → Wirtschaft zu beobachten und relevante und aktuelle Themen auf die öffentliche Agenda zu setzen. Dafür werden entsprechende Informationen recherchiert, selektiert und überprüft. Sie werden bearbeitet und in speziellen Formaten über mediale Kanäle an ein großes, heterogenes → Publikum vermittelt (Meier 2018: 14). Das Kompositum ‚Fachjournalismus‘ zu definieren, erfordert eine Fokussierung insbesondere der Funktion, der Themen, der Medienkanäle und des Publikums. Dabei gilt vor allem die Bedeutung des Bestimmungswortes ‚Fach-‘ zu klären. Gemeint ist damit ein homogenes Sach- oder Themengebiet, wie es sich beispielsweise in der → Ressortbezeichnung der jahrhundertealten Struktur der Tageszeitungen widerspiegelt, also Politik, Wirtschaft, → Kultur, → Sport usw. (Meier 2002). Da diese Felder umfangreich und komplex sind, werden sie teilweise binnendifferenziert, wie beispielsweise Innen- und Außenpolitik oder Wirtschafts- und Geldpolitik.

In den vergangenen Jahrhunderten hat sich innerhalb der Printmediengattung ein vielfältiges Segment der Fachzeitschriften gebildet. Produziert und rezipiert werden sie häufig von Experten für ein Publikum, das ebenfalls über ein entsprechendes Fachwissen verfügt (Dernbach 2010: 31-41).

Zusammenfassend kann folgende Definition formuliert werden: Fachjournalismus sammelt Themen und Informationen in einem eingegrenzten Sachgebiet. Fachjournalisten bearbeiten sie nach den allgemein gültigen journalistischen Standards, erschließen aber in der Regel → Quellen mit hoher Expertise. Die Beiträge werden in erster Linie in Fachmedien veröffentlicht (wie Fachzeitschriften, Very-Special-Interest-Formate, Spartenprogramme u. ä.) und von einem Publikum genutzt, das ebenfalls profundes Wissen in dem jeweiligen Themengebiet besitzt (Dernbach 2010: 43-44).

Geschichte:
Mit Hilfe des Digitalen Wörterbuchs der Deutschen Sprache (DWDS) ist belegbar, dass die Bezeichnung ‚Fachjournalist‘ erst Mitte der 1960er- und dann nochmals Ende der 1990er-Jahre vor allem in Zeitungstexten häufiger vorkommt; der Begriff ‚Fachjournalismus‘ wird hingegen kaum verwendet. Entlang der Geschichte der Fachzeitschriften können die Anfänge des Fachjournalismus nachgezeichnet werden.

Die Ausdifferenzierung der gedruckten Medien begann bereits im 17. Jahrhundert. Neben den Zeitungen, die zwar noch nicht täglich erscheinen, aber aktuell über Ereignisse berichten, wurden Magazine, Monatsschriften, Sammlungen, Gelehrtenzeitschriften und wissenschaftliche Universalorgane herausgegeben (Hagemann 1957; Pürer/Raabe 2007). Periodika aus den wissenschaftlichen Disziplinen wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts von den Fachzeitschriften abgelöst – eine Folge der Binnendifferenzierung der Wissenschaft.

Vor allem in Deutschland erschienen im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche theologische, juristische und volkswirtschaftliche, philosophische und historische, geografische und naturwissenschaftliche, kulturelle und pädagogische Publikationen. Ab dem 19. Jahrhundert bis heute stieg der Bedarf an fachspezifischen Informationen aufgrund des politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und vor allem technischen Wandels. Karl H. Salzmann hat bereits 1954 (97-98) die Gattung (Fach-) Zeitschrift treffend beschrieben: Sie erscheinen periodisch, der Inhalt ist nicht durch die Nachrichten über das Tagesgeschehen bestimmt, sie „wenden sich oft an weit verstreut wohnende, immer aber durch gemeinsame Interessengebiete gebundene Leserkreise“ und Anzeigen dienen „bei Fachblättern der gezielten Werbung“.

Gegenwärtiger Zustand:
Die Bedarfe vor allem einer gesellschaftlichen Elite nach themen- und gruppenspezifischer Information und Kommunikation sollten mittels der Zeitschriften befriedigt werden. Das Problem der sogenannten ‚Fachpresse‘ allerdings war, ist und bleibt die Finanzierung. Die starke Segmentierung der Angebote führt zwar zu einer hohen Titel- aber einer vergleichsweise niedrigen Auflagenzahl und damit Reichweite; dies wiederum führt zu hohen Abonnementpreisen, die sich im Wesentlichen nur eine kaufkräftige Kundschaft leisten kann, das heißt mit hoher Bildung und einem entsprechenden Haushaltseinkommen.

Wie andere Mediengattungen auch, steht die Fachpresse vor dem Hintergrund des ökonomischen Drucks und der → Digitalisierung vor einem tiefgreifenden Wandel. Die Erlöse aus dem Printmedienmarkt schrumpfen, die aus dem digitalen steigen. Der Vorteil der Fachverlage ist, dass sie sich als Contentanbieter vor allem für die Zielgruppe Entscheider etabliert haben. Ein wichtiges Segment ist zudem der Geschäftsbereich ‚Events‘ geworden, die der Kommunikation und Vernetzung dienen (Deutsche Fachpresse 2021).

Forschungsstand:
Mittlerweile existieren neben dem Begriff ‚Fachjournalismus‘ zahlreiche weitere Komposita, wie Nutzwert- (Fasel 2004; Eickelkamp 2004) oder Verbraucherjournalismus (Brandstetter 2015). Aber weder die journalistische Praxis noch die Forschung haben sich intensiv diesen Spielarten des Journalismus gewidmet. Im Übergang vom ersten ins zweite Jahrzehnt der 2000er-Jahre gab es eine kleine Welle an wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Spezialisierung im Journalismus (Dernbach/ Quandt 2009; Kaiser 2012). Sowohl der Verlag UVK als auch der Herbert von Halem Verlag haben Reihen etabliert, in deren Einzelbänden Wissenschafts– und Sportjournalismus, → Foto– und → Lokaljournalismus behandelt werden. Die Forschergemeinschaft ist inzwischen weitergezogen auf dem Weg des → ‚Konstruktiven‘ und ‚Positiven‘ bis hin zum ‚Pionier-Journalismus‘. Diese Bezeichnungen sind Indikatoren dafür, dass der Journalismus auf der Suche nach seiner spezifischen Funktion in der sich transformierenden Gesellschaft ist. Die Leistung des Anbietens von fundiert recherchierten Fachinformationen jedoch wird bleiben.

Literatur:

Brandstetter, Barbara: Verbraucherjournalismus. Konstanz [UVK Verlagsgesellschaft] 2015.

Dernbach, Beatrice: Reihe: Fachjournalistische Ausbildung. Fachjournalistik in Bremen. Eintrittskarte in einen wachsenden Markt. In: Fachjournalist, 5, 2006, S. 9-11. https://www.fachjournalist.de/PDF-Dateien/2012/05/FJ_5_2006-Fachjournalistik-in-Bremen.pdf [22.11.2022]

Dernbach, Beatrice: Die Vielfalt des Fachjournalismus. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2010.

Dernbach, Beatrice; Thorsten Quandt (Hrsg.): Spezialisierung im Journalismus. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2009.

Deutsche Fachpresse: Fachpresse-Statistik 2021.  https://www.deutsche-fachpresse.de/markt-studien/fachpresse-statistik/ [01.12.2022]

Deutscher Fachjournalisten-Verband (DFJV): Der DFJV. https://www.dfjv.de/ueber-uns/der-dfjv [19.12.2022]

DWDS – Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache. Schlagwort Fachjournalist. https://www.dwds.de/wb/Fachjournalist [19.12.2022]

Eickelkamp, Andreas: Der Nutzwertjournalismus. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2004.

Fasel, Christoph: Nutzwertjournalismus. Konstanz [UVK] 2004.

Hagemann, Walter (Hrsg.): Die deutsche Zeitschrift der Gegenwart: Eine Untersuchung des Instituts für Publizistik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Münster [C. J. Vahle] 1957.

Kaiser, Markus (Hrsg.): Special Interest. Berlin [Springer VS] 2012.

Meier, Klaus: Ressort, Sparte, Team. Wahrnehmungsstrukturen und Redaktionsorganisation im Zeitungsjournalismus. Konstanz [UVK] 2002.

Meier, Klaus: Journalistik. 4. Auflage. Konstanz/München [UVK] 2018.

Pürer, Heinz; Johannes Raabe: Presse in Deutschland. 3. Auflage. Konstanz [UVK] 2007.

Quandt, Siegfried: Fachjournalismus in Gießen: Geschichte … Eine vorläufige Bilanz. 2013, Erstellungsjahr 1988. http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9477/pdf/GU_21_1988_1_S59_68.pdf [22.11.2022]

Quandt, Siegfried (Hrsg.): Fachjournalismus im Gespräch. Band 6. Gießen [Zentrum für fachjournalistische Studien] 1990.

Quandt, Siegfried (Hrsg.): Fachjournalismus im Gespräch. Band 9. Gießen [Zentrum für fachjournalistische Studien] 1992.

Quandt, Siegfried; Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Fachjournalismus. Expertenwissen professionell vermitteln. Konstanz [UVK] 2004.

Quandt, Siegfried; Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Fachjournalismus. Expertenwissen professionell vermitteln. 2. Auflage. Konstanz [UVK] 2010.

Salzmann, Karl H.: Die deutsche Zeitschrift 1953/54. In: Institut für Publizistik an der FU Berlin (Hrsg.): Die Deutsche Presse 1954. Zeitungen und Zeitschriften. Berlin [Duncker und Humblot] 1954.

Vorheriger ArtikelLandesmedienanstalten
Nächster ArtikelSchweigespirale
Beatrice Dernbach
*1964, Prof. Dr., lehrt und forscht seit März 2014 an der Technischen Hochschule Nürnberg im Studiengang Technikjournalismus/Technik-PR. Arbeitsschwerpunkte: Fachjournalismus, Wissenschaftskommunikation, Nachhaltigkeit und Ökologie im Journalismus, Narration im und Vertrauen in Journalismus. Kontakt: beatrice.dernbach (at) th-nuernberg.de Zu Nachrichtenfaktoren im Journalismus hat Beatrice Dernbach einen → Einführungsbeitrag geschrieben.