Definition:
Als Medien können die technischen und sozialen Voraussetzungen, Operationen und Resultate der Herstellung, Speicherung und Übertragung von Information verstanden werden. Im Begriff des Medienwandels vereinen sich die auf Medien bezogenen Perspektiven der Technik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte. Mitgedacht ist in der Regel eine Kopplung und Wechselwirkung von Medienwandel und gesellschaftlichem Wandel, also Einflüsse der → Mediensysteme auf Einstellungen, Verhaltensweisen und Formen des Zusammenlebens.
Geschichte:
In Darstellungen der Mediengeschichte gibt es weitgehend eine Einigkeit darüber, dass sich vier Epochen unterscheiden lassen, die jeweils auch verschiedenen Gesellschaftsformationen zugeordnet werden können (vgl. Luhmann 1997: 613):
- Mündliche und gestische Kommunikationsformen in der tribalen Gesellschaft (die auf der Unterscheidung von innen und außen basiert).
- Die schriftlichen Speicher- und Kommunikationsmedien der antiken und mittelalterlichen Gesellschaften (deren zentrale Unterscheidungen die von oben und unten, Mitte und Peripherie sind).
- Das Typographeum – die auf dem Buchdruck beruhenden Speicher- und Verbreitungsmedien – der funktional differenzierten Gesellschaft. Deren bürgerliche Öffentlichkeit, in der typographische Medien eine Rolle spielen, ist sowohl Resultat als auch Voraussetzung der funktionalen Differenzierung.
- Die universalisierten digitalen Medien der ‚nächsten‘, vierten Gesellschaft – in der die funktionale Differenzierung nicht aufgelöst, aber durch globale Vernetzung überlagert ist.
Die Übergangsphasen zwischen diesen Epochen wurden in der Regel als Krisen empfunden, als Verlust von etwas Wertvollem und von Vertrautem. Das jeweils neue Mediensystem bedrohte traditionelle Ordnungssysteme. Schriftspeicher ersetzten die antiken Gedächtniskünste, wenn auch erst nach Jahrhunderten. Die Drucksachenflut nivellierte die Verfügung über religiöse und staatliche Dogmen und gab Anstöße zur Volksbildung. Die monomedialen (es gilt, was ‚schwarz auf weiß‘ zu lesen ist) und dialogfreien Angebote von Wissen und Information werden inzwischen durch eine permanent präsente Vielstimmigkeit überlagert. Dabei sind die hergebrachten Vorstellungen von Richtigkeit und Wahrheit ins Wanken geraten.
Die Kulturkritik und manche Pädagogen setzten in den fünfziger bis siebziger Jahren Attacken gegen die jungen Unterhaltungsmedien Film und Fernsehen fort, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg im Hinblick auf den Film begonnen hatten. Entsprechend einer Linienziehung zwischen Hochkultur und Populärkultur wurden die Erzeugnisse der → ‚Massenmedien‘ generell in die Sphäre des Trivialen, wenn nicht gar Schädlichen verwiesen. Seit den 1990er Jahren findet sich diese Abgrenzung in der Kritik an Erscheinungsformen des Internets wieder, denen jetzt allerdings gerade diese Medienerzeugnisse als seriös und vertrauenswürdig gegenübergestellt werden.
Die in Deutschland 2024 registrierten Nutzungsgewohnheiten von Medien weisen einen scharfen Einschnitt zwischen den Altersgruppen auf: Die über 50-Jährigen nutzen noch weit überwiegend lineare Medien – also das laufende Programm von → Fernsehen und → Radio –, während die unter 50-Jährigen sich konträr dazu nicht-linear unterhalten und informieren lassen, also über Streaming-Plattformen und andere Abrufmöglichkeiten (ARD Media). Zu beobachten ist auch, dass vor allem die permanente Verfügbarkeit der Mobiltelefone für Kommunikation und Informationsaufnahme dazu führt, dass → ‚Aktualität’ nicht mehr wie früher bei der Zeitung, dann beim Radio und beim Fernsehen, sondern jetzt bei Onlinemedien gesucht wird.
Gegenwärtiger Zustand:
Medienwandel bedeutet nicht, dass alle bestehenden Medienstrukturen innerhalb einer gewissen Frist durch neue ersetzt werden. Für die Parallelität alter und neuer Medien gibt es vergleichbare und oft zitierte Beschreibungen von Wolfgang Riepl (1913) und Marshall McLuhan (1964). Beide betonen – was allerdings bei ihrer Erwähnung oft unterschlagen wird –, dass mit dem Erhalt eines Rests der alten Strukturen dennoch ihre Form- und Funktionsveränderung verbunden ist. Sie werden durch neue Strukturen überformt und treten sozusagen in deren Dienst. Dies geschieht nicht ohne Widerspruch und Gegenwehr der Vertreter und Institutionen der älteren Medienwelt. Ein Beispiel ist das Schicksal des Fernsehens seit dem Aufkommen des Internets. Zunächst folgten die Fernsehverantwortlichen der beruhigenden Auskunft des Trendforschers Matthias Horx (2001), das Internet werde kein Massenmedium. Wenige Jahre später erkannten sie die Chancen oder zumindest die Notwendigkeit von zusätzlichen Online-Angeboten, die allerdings auch rechtlich als „Annex“ der linearen Fernsehprogramme betrachtet wurden (Rotermund 2001: 185; 235). Inzwischen häufen sich Einsichten wie die des früheren SWR-Intendanten Peter Boudgoust (2019): „Wir werden in fünf bis zehn Jahren das lineare Programm primär als Schaufenster nur noch nutzen für das, was dann non-linear abgerufen wird.“
Derzeit koexistieren zwei Mediensysteme. Der massenmediale Medienverbund, der gedruckte und elektronische Verbreitungsmedien umfasst, verliert spürbar seine Dominanz. Der Markt stützt die Verbreitung seiner Produkte, aber bildet auch einen Kommunikationsraum. Generell wird die Sichtbarkeit und Akzentuierung politischer und kultureller Perspektiven in den Massenmedien durch interessengeleitete → Gatekeeper beeinflusst. Rückkopplung erlaubt der Markt durch → Rezensionen, Programmkritik, Programm- und Fachzeitschriften (und ihre Online-Derivate), also durch journalistisch prozessierte Veröffentlichungen. Demgegenüber entwickelt der digitale Medienverbund eine zunehmende Dynamik. Er nutzt das Internet als Kommunikationsraum, in dem rückkopplungsintensive Netze und Plattformen existieren.
In medienrechtlichen Grundsatzüberlegungen wird die Andersartigkeit der → digitalen Medien gegenüber den Verbreitungsmedien für Text, Audio und Video häufig nicht thematisiert. Sie werden regulatorisch im → Medienstaatsvertrag als „Telemedien“ bezeichnet und überwiegend als Annex der traditionellen Medien betrachtet, ohne dass dabei die Qualität der dialogischen und interaktiven Nutzungsformen und ihre Auswirkungen berücksichtigt würden. In dieser Hinsicht gibt es eine Kluft zwischen den fortschreitenden Erkenntnissen der Medienwissenschaften und den deutschen medienrechtlichen Richtlinien.
Forschungsstand:
Der aktuelle Medienwandel wird aus ökonomischer, medienhistorischer, kulturwissenschaftlicher und soziologischer Sicht durchaus unterschiedlich problematisiert. → Systemtheoretisch orientierte Soziologen untersuchen die Kopplung des Medienwandels an den Gesellschaftswandel, während normativ orientierte Soziologen und → Kommunikationswissenschaftler den Verlust funktionaler Zusammenhänge und unerwünschte Veränderungen bis hin zur Bedrohung der Demokratie thematisieren.
Autor:innen von Standardwerken über den historischen und aktuellen Medienwandel sind:
- Walter Ong (1987) über die Durchsetzung der Schriftlichkeit,
- Elizabeth Eisenstein (1979) und Michael Giesecke (1991) über den Buchdruck und die mit ihm verbundenen soziokulturellen Transformationen,
- Friedrich Kittler (1986) über die technischen „Aufschreibesysteme“ seit 1800 und
- Marshall McLuhan (1964) mit seiner kulturkritischen Analyse des Fernsehzeitalters.
In diesen Arbeiten werden Grundzüge der Medienepochen herausgearbeitet. Sie folgen einem Impuls, den Friedrich Kittler (1986: 3) so formulierte: „Medien bestimmen unsere Lage, die (trotzdem oder deshalb) eine Beschreibung verdient.“ Ohne an der Epochensicht Abstriche zu machen, gibt es in den letzten Jahrzehnten jedoch Bemühungen um weitere Differenzierungen. Exemplarisch dafür kann Christian Benne (2015) genannt werden, der den ungeheuren Aufschwung der Erzeugung handschriftlicher Dokumente in den Jahrhunderten nach der Einführung des Buchdrucks untersucht hat.
Es gibt viele Vorschläge für die Bezeichnung der derzeitigen Übergangsperiode, unter anderem: Informationsgesellschaft (als Nachfolgerin der Industrie- und der Dienstleistungsgesellschaft), Netzwerkgesellschaft, postindustrielle Gesellschaft, Plattformgesellschaft oder einfach nur „4.0“ (Baecker 2018). Die digitale Mediengesellschaft öffnet sich für Vernetzungsformen aller ihrer Funktionsbereiche, verbunden mit einer Abkehr von der Eindeutigkeit und Rationalität, die einer funktional differenzierten Gesellschaft entspricht. Diese Tendenz zeichnet Baecker allerdings nicht als Bedrohungsszenario, sondern als Aufgabe, die sich der ganzen Gesellschaft stellt:
„Jedes neue Verbreitungsmedium konfrontiert die Gesellschaft mit neuen und überschüssigen Möglichkeiten der Kommunikation, für deren selektive Handhabung die bisherige Struktur und Kultur der Gesellschaft nicht ausreichen. Jede Einführung eines neuen Verbreitungsmediums muss daher zur Umstellung dieser Struktur und dieser Kultur führen, soll sie auf breiter Front überhaupt möglich sein. Andernfalls wird das neue Medium auf eine periphere Verwendungsform beschränkt.“ (Baecker 2007: 7)
Literatur:
ARD Media: Basisdaten. Umfassende Datensammlung zur Mediensituation in Deutschland. https://www.ard-media.de/media-perspektiven/basisdaten [10.06.2025].
Baecker, Dirk: Studien zur nächsten Gesellschaft. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2007.
Baecker, Dirk: 4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt. Berlin [Merve] 2018.
Benne, Christian: Die Erfindung des Manuskripts. Zur Theorie und Geschichte literarischer Gegenständlichkeit. Berlin [Suhrkamp] 2015.
Boudgoust, Peter: SWR wird sich „rasant verändern“. In: Stuttgarter Zeitung, 01.02.2019. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.scheidender-intendant-peter-boudgoust-swr-wird-sich-rasant-veraendern.ad7adbf9-04b6-4800-ab15-07440ebe8784.html [10.06.2025].
Eisenstein, Elizabeth L.: The printing press as an agent of change. Communications and cultural transformations in early-modern Europe. Cambridge [Cambridge University Press] 1979.
Giesecke, Michael: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1991.
Horx, Matthias: „Internet wird kein Massenmedium“. In: Der Standard, 02.03.2001. https://www.derstandard.at/story/496477/internet-wird-kein-massenmedium [10.06.2025].
Kittler, Friedrich: Grammophon – Film – Typewriter. Berlin [Brinkmann & Bose] 1986.
Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1997.
McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. „Understanding Media“. Düsseldorf [Econ] 1968.
Ong, Walter J.: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen: [Westdeutscher Verlag] 1987.
Riepl, Wolfgang: Das Nachrichtenwesen des Altertums. Mit besonderer Rücksicht auf die Römer. Leipzig/Berlin [Teubner] 1913.
Rotermund, Hermann: Nach dem Rundfunk. Die Transformation eines Massenmediums zum Online-Medium. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2021.