Medienvertrauen

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Wortherkunft: ‚Vertrauen‘ von mittelhochdeutsch ‚vertrūwen‘, trūwen‘: hoffen, erwarten, glauben, trauen.

Definition:
Bei Medienvertrauen handelt es sich um eine Beziehung zwischen zwei Akteuren: den Medien auf der einen Seite und den Mediennutzer:innen auf der anderen Seite. Diese Beziehung ist durch bestimmte Merkmale charakterisiert:

  • Abhängigkeit: Die Mediennutzer:innen sind darauf angewiesen, dass die Medien ihnen über bestimmte Ereignisse berichten, da sie sich nicht selbst über alles informieren können und nicht alles, was geschieht, mitbekommen.
  • Asymmetrie: Die Medien verfügen über Informationen, und haben Zugriff auf → Quellen, die für die Mediennutzer:innen nicht zugänglich sind.
  • Risiko: Die Mediennutzer:innen gehen ein Risiko ein, da sie nur in seltenen Fällen die Möglichkeit haben, Informationen aus den Medien anhand externer Quellen zu überprüfen. Sie machen also nicht überprüfbare Informationen aus den Medien zur Basis für ihr Handeln, und müssen sich auf die Medienberichterstattung verlassen.
  • Vorwegnahme der Zukunft: Die Mediennutzer:innen können vor dem Einlassen auf die Vertrauensbeziehung zu einem Medium nicht wissen, ob dieses die Erwartungen erfüllen wird.

Medienvertrauen spielt in demokratischen Gesellschaften eine wichtige Rolle: Unabhängige Medien, die die Bürger:innen über für sie wichtige politische Geschehnisse informieren, tragen einen bedeutenden Bestandteil zur politischen Willensbildung bei und stellen somit eine Grundvoraussetzung für mündige, gut informierte Bürger:innen dar, die in politischen Prozessen handlungs- und entscheidungsfähig sind.

Medienvertrauen kann unterschiedliche Formen annehmen bzw. sich auf unterschiedliche Bezugsobjekte richten. Die generalisierteste Vertrauensform ist das allgemeine Medienvertrauen, das sich auf die Medien als gesellschaftliche Institution richtet, vergleichbar dem Vertrauen in die Politik oder die Wissenschaft. Medienvertrauen kann aber auch spezifischer sein: in Form von Vertrauen in Mediengattungen, wie Fernsehen oder Zeitungen, Vertrauen in bestimmte Medienmarken, wie das ZDF oder den Spiegel, Vertrauen in einzelne → Journalist:innen, oder sich auf → Medieninhalte, also auf ganz konkrete Medienbeiträge wie einen Zeitungsartikel oder Fernsehbeitrag richten.

Geschichte:
In vielen anderen Disziplinen wie der Soziologie, der Philosophie, der Theologie, der Politikwissenschaft, der Psychologie oder den Wirtschaftswissenschaften spielt Vertrauen schon seit vielen Jahrzehnten eine wichtige Rolle. In der → Kommunikationswissenschaft stand lange Zeit ein anderes Konstrukt im Vordergrund: die Glaubwürdigkeit. Bereits in den Anfängen der Kommunikationswissenschaft ging eine Forschungsgruppe um Carl Hovland an der Yale-Universität ab dem Jahr 1946 der Frage nach, welche Merkmale eines → Kommunikators dazu führen, dass dieser als glaubwürdig eingeschätzt wird. Daraus entwickelte sich eine umfangreiche Forschungstradition, aus der sich der Faktorenansatz der Glaubwürdigkeit sowie die Medienglaubwürdigkeitsforschung entwickelt haben (vgl. weiterführend Kohring 2004: 27ff.; Jackob 2012: 120 ff.). Erst seit etwa den 2000er Jahren wendet sich die Kommunikationswissenschaft dem Vertrauensbegriff zu. Mit dem Aufkommen der Pegida-Bewegung im Jahr 2014 und der damit einhergehenden gesellschaftlichen und medialen → ‚Lügenpresse‘-Debatte hat sich die Forschung zu Medienvertrauen intensiviert und ist zu einem wichtigen Forschungsbereich in der Kommunikationswissenschaft geworden.

Gegenwärtiger Zustand:
Die empirische Erforschung von Medienvertrauen ist dadurch geprägt, dass es keine einheitliche Definition des Begriffs gibt, und zudem in verschiedenen Studien unterschiedliche Vertrauensformen erhoben werden, sodass keine einheitliche Operationalisierung bzw. Messung des Konstrukts existiert. Das erschwert die Vergleichbarkeit von Untersuchungen zum Medienvertrauen.

Eine für Deutschland einzigartige Studie ist die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen (Jackob, Schultz et al. 2019; Schultz et al. 2020; Jakobs, Schultz et al. 2021). Sie untersucht seit 2015 in sechs Befragungswellen (Trendbefragungen, bevölkerungsrepräsentative CATI-Befragungen einer Zufallsstichprobe von je 1.200 Personen ab 18 Jahren) die Entwicklung des Medienvertrauens in Deutschland und dessen Korrelate. Die Studie untersucht das allgemeine Medienvertrauen sowie Vertrauen in Mediengattungen, Themen der Medienberichterstattung und auch Medienzynismus als Form des Misstrauens ‚den Medien‘ gegenüber. Die Befunde zeigen, dass das allgemeine Medienvertrauen der Deutschen nicht so niedrig war, wie es die intensive gesellschaftliche Debatte um die ‚Lügenpresse‘ befürchten ließ. In den Jahren seit 2015 hat das Medienvertrauen der Deutschen leicht zugenommen, vor allem aber hat sich die Mitte verringert, d. h. der Anteil an Personen, die sich unentschlossen zeigten oder unentschieden waren. Die gesellschaftliche Debatte hat vermutlich dazu beigetragen, dass die Menschen Stellung für oder gegen die Medien bezogen haben. Zugleich hat sich ein harter Kern an Personen herausgebildet, die den Medien extrem ablehnend gegenüberstehen und an medienbezogene Verschwörungserzählungen glauben, zum Beispiel dass die Medien und die Politik in Deutschland zusammenarbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu → manipulieren. Im Jahr 2020, während der Corona-Pandemie, ging der Anteil dieser Bürger:innen jedoch deutlich zurück, während das Medienvertrauen auf den höchsten in der Langzeitstudie gemessenen Wert stieg.

Forschungsstand:
Die kommunikationswissenschaftliche Vertrauensforschung lässt sich in unterschiedliche Bereiche einteilen:

  • Theoretische Überblickswerke, die das Konzept Vertrauen definieren, seine Komponenten beschreiben und verwandte Konstrukte abgrenzen (Fawzi et al. 2021; Engelke et al. 2019; Hagen 2015)
  • Untersuchungen, die erheben, wie es um das Vertrauen der Menschen in die Medien bestellt ist (vgl. für Deutschland Blöbaum 2018; Schultz et al. 2020; Jakobs, Schultz et al. 2021; Reinemann et al. 2017; im internationalen Vergleich Hanitzsch et al. 2018; Tsfati/Ariely 2014)
  • Abgrenzung unterschiedlicher Formen von Vertrauen (vgl. Strömbäck et al. 2020; Ognyanova 2019) bzw. Differenzierung von theoretischen Konstrukten: Medienskepsis (vgl. Tsfati/Capella 2003), Medienzynismus (vgl. Jackob, Jakobs et al. 2019; Quiring et al. 2021), Medienfeindlichkeit (vgl. Fawzi 2019), Misstrauen (vgl. Engelke et al. 2019), Vertrauen in die Nachrichtenauswahl (vgl. Kohring 2004; Pingree et al. 2013) und Vertrauen in Medien als Institutionen (vgl. Jackob 2012; Jackob, Schultz et al. 2019)
  • Folgen von Medienvertrauen, z. B. Untersuchung von politischer Entscheidungsfindung, Vertrauen in Institutionen, der Rolle von Medienvertrauen in → Agenda-Setting-Prozessen oder bei der Wahrnehmung von Meinungsklima (vgl. Peifer 2018; Tsfati 2003a, 2003b)
  • Analysen der Faktoren, die Medienvertrauen beeinflussen können. Neben Merkmalen der → Rezipient:innen inklusive der Mediennutzung (vgl. Jakobs, Jackob et al. 2021) werden hier, vor allem international vergleichend, auch → Mediensystem-Faktoren, gesellschaftliche Einflüsse, wirtschaftliche Leistung oder politische Gegebenheiten untersucht (vgl. Hanitzsch et al. 2018; Tsfati/Ariely 2014; Yamamoto et al. 2016)
  • Analysen der Medienberichterstattung, die untersuchen, wie der mediale Diskurs über das Thema Vertrauen gestaltet ist (vgl. Denner/Peter 2017)
  • Methodische Forschung, die Verbesserungen für die Operationalisierung und Messung von Medienvertrauen erarbeitet (vgl. Daniller et al. 2017; Engelke et al. 2019; Prochazka/Schweiger 2019)

Literatur:

Blöbaum, Bernd: Bezugspunkte von Medienvertrauen. Ergebnisse einer explorativen Studie. In: Media Perspektiven, 12, 2018, S. 601-607.

Daniller, Andrew; Douglas Allen; Ashley Tallevi; Diana C. Mutz: Measuring Trust in the Press in a Changing Media Environment. In: Communication Methods and Measures, 11(1), 2017, S. 76-85.

Denner, Nora; Christina Peter: Der Begriff Lügenpresse in deutschen Tageszeitungen. Eine Framing-Analyse. In: Publizistik, 62(3), 2017, S. 273-297.

Engelke, Katherine M.; Valerie Hase; Florian Wintterlin: On measuring trust and distrust in journalism: Reflection of the status quo and suggestions for the road ahead. In: Journal of Trust Research, 9(1), 2019, S. 66-89.

Fawzi, Nayla: Untrustworthy News and the Media as ‚Enemy of the People’? How a Populist Worldview Shapes Recipients‘ Attitudes toward the Media. In: The International Journal of Press/Politics, 24(2), 2019, S. 146-164.

Fawzi, Nayla; Nina Steindl; Magdalena Obermaier; Fabian Prochazka; Dorothee Arlt, Bernd Blöbaum; Marco Dohle; Katherine M. Engelke; Thomas Hanitzsch; Nikolaus Jackob; Ilka Jakobs; Tilman Klawier; Senja Post; Carsten Reinemann; Wolfgang Schweiger; Marc Ziegele: Concepts, causes and consequences of trust in news media – A literature review and framework. In: Annals of the International Communication Association, 45(2), 2021, S. 154-174.

Hagen, Lutz: Nachrichtenjournalismus in der Vertrauenskrise. ‚Lügenpresse‘ wissenschaftlich betrachtet: Journalismus zwischen Ressourcenkrise und entfesseltem Publikum. In: Communicatio Socialis, 48(2), 2015, S. 152-163.

Hanitzsch, Thomas; Arjen van Dalen; Nina Steindl: Caught in the Nexus: A Comparative and Longitudinal Analysis of Public Trust in the Press. In: The International Journal of Press/Politics, 23(1), 2018, S. 3-23.

Hovland, Carl I.; Irving L. Janis; Harold H. Kelley: Communication and persuasion. Psychological studies of opinion change. New Haven [Yale University Press] 1953.

Jackob, Nikolaus: Gesehen, gelesen – geglaubt? Warum die Medien nicht die Wirklichkeit abbilden und die Menschen ihnen dennoch vertrauen. München [Olzog Verlag GmbH] 2012.

Jackob, Nikolaus; Ilka Jakobs; Oliver Quiring; Tanjev Schultz; Christian Schemer; Marc Ziegele: Medienskepsis und Medienzynismus – Funktionale und dysfunktionale Formen von Medienkritik. In: Communicatio Socialis, 52(1), 2019, S. 19-35.

Jackob, Nikolaus; Tanjev Schultz; Ilka Jakobs; Marc Ziegele; Oliver Quiring; Christian Schemer: Medienvertrauen im Zeitalter der Polarisierung. In: Media Perspektiven, 5, 2019, S. 210-220.

Jakobs, Ilka; Nikolaus Jackob; Tanjev Schultz; Marc Ziegele; Christian Schemer; Oliver Quiring: Welche Personenmerkmale sagen Medienvertrauen voraus? Der Einfluss von Charakteristika der Rezipientinnen und Rezipienten auf Vertrauen in Medien im Zeitverlauf. In: Publizistik, 66(3-4), 2021, S. 463-487.

Jakobs, Ilka; Tanjev Schultz; Christina Viehmann; Oliver Quiring; Nikolaus Jackob; Marc Ziegele;  Christian Schemer: Medienvertrauen in Krisenzeiten. Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen 2020.  In: Media Perspektiven, 3, 2021, S. 152-162.

Kohring, Matthias: Vertrauen in Journalismus. Theorie und Empirie. Konstanz [UVK] 2004.

Ognyanova, Katherine: The Social Context of Media Trust: A Network Influence Model. In: Journal of Communication, 69(5), 2019, S. 544-567.

Peifer, Jason T: Imitation as Flattery: How TV News Parody’s Media Criticism Can Influence Perceived News Media Importance and Media Trust. In: Journalism & Mass Communication Quarterly, 95(3), 2018, S. 734-756.

Pingree, Raymond J.; Andrea M. Quenette; John M. Tchernev; Ted Dickinson: Effects of Media Criticism on Gatekeeping Trust and Implications for Agenda Setting. In: Journal of Communication, 63(2), 2013, S. 351-372.

Prochazka, Fabian; Wolfgang Schweiger: How to Measure Generalized Trust in News Media? An Adaptation and Test of Scales. In: Communication Methods and Measures, 13(1), 2019, S. 26-42.

Schultz, Tanjev; Marc Ziegele; Ilka Jakobs; Nikolaus Jackob; Oliver Quiring; Christian Schemer: Medienzynismus weiterhin verbreitet, aber mehr Menschen widersprechen. Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen 2019. In: Media Perspektiven, 6, 2020, S. 322-330.

Strömbäck, Jesper; Yarif Tsfati; Hajo Boomgaarden; Alyt Damstra; Elina Lindgren; Rens Vliegenthart; Torun Lindholm: News media trust and its impact on media use: toward a framework for future research. In: Annals of the International Communication Association, 44(2), 2019, S. 139-156.

Tsfati, Yarif: Media Skepticism and Climate of Opinion Perception. In: International Journal of Public Opinion Research, 15(1), 2019a, S. 65-82.

Tsfati, Yarif: Does Audience Skepticism of the Media Matter in Agenda Setting? In: Journal of Broadcasting & Electronic Media, 47(2), 2019b, S. 157-176.

Tsfati, Yarif; Gal Ariely: Individual and Contextual Correlates of Trust in Media Across 44 Countries. In: Communication Research, 41(6), 2014, S. 760-782.

Tsfati, Yarif; Joseph N. Capella: Do People Watch What They Do Not Trust? Exploring the Association Between News Media Skepticism and Exposure. In: Communication Research, 30(5), 2003, S. 504-529.

Yamamoto, Masahiro; Tien-Tsung Lee; Weina Ran: Media Trust in a Community Context: A Multilevel Analysis of Individual- and Prefecture-Level Sources of Media Trust in Japan. In: Communication Research, 43(1), 2016, S. 131–154.

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Ilka Jakobs
*1986, Dr., ist seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin und seit 2015 Leiterin des Studienbüros Publizistik am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Sie studierte in Mainz Publizistik und Romanistik (Französisch) und hat 2018 in Mainz promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Vertrauen in Medien, Rezeptionsforschung, Methoden der Kommunikationswissenschaft, politische Kommunikation, Hochschulforschung.