Manipulation

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Wortherkunft: lat. manus = Hand: Handhabung, Kunstgriff

Definition:
Manipulation ist ein „bewusster und gezielter Einfluss auf Menschen ohne deren Wissen und oft gegen deren Willen“ (Duden Fremdwörterbuch), d. h. durch selektive und einseitige Darstellung werden Menschen zu Schlüssen und Handlungsweisen bewogen, die bei vollständiger Information anders ausgefallen wären (Schmidtchen 1970: 27). Sie ist ein Spezialfall von ‚Persuasion‘, also der gezielten Beeinflussung von Menschen durch Kommunikation und Medien. Eng damit verknüpft ist auch der Begriff ‚Propaganda‘ als Technik der Beeinflussung des menschlichen Verhaltens durch den manipulativen Gebrauch von Symbolen. Während Manipulation und Propaganda negativ konnotiert sind, umfassen die Absichten und Bemühungen zur Beeinflussung von Menschen aber auch positiv konnotierte Begriffe wie ‚Erziehung‘ und → ‚Kommunikationskampagnen‘. Analytisch zu unterscheiden sind vier eng miteinander verknüpfte Dimensionen und darauf bezogene Fragestellungen:
1) Kommunikatorbezug: Wer manipuliert: eigener Vorteil?
2) Aussagenbezug: Wie wird manipuliert: Beeinflussungstechniken?
3) Realitätsbezug: Wie wird die Realität in der Propagandabotschaft einseitig bzw. verzerrt repräsentiert?
4) Rezipientenbezug: Zu welchen Überzeugungen und Verhaltensweisen sollen die angesprochenen Menschen bewogen werden?

Geschichte:
Diskussion und Kritik des Missbrauchs von Propaganda zum Zwecke der Manipulation reichen weit zurück: Platon und Sophisten sowie Rhetorik bei Aristoteles, Machiavellis Praxis der Macht oder 1633 die Congregatio de Propaganda Fide des Vatikans zur Missionierung. Zudem wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Kulturkritikern im Rahmen des Konzepts ‚Massengesellschaft‘ den aufkommenden neuen Massenmedien zum Teil ein starkes negatives Manipulationspotential zugeschrieben: Psychologie der Massen (1895) von Gustav LeBon, David Riesmann: Einsame Masse (1950) oder Elias Canetti: Masse und Macht (1960) und neuer: Noam Chomsky mit Media Control. Wie Medien uns manipulieren (2003). Lange Zeit orientierten sich die klassischen Propagandastudien – etwa Harold Lasswell (1937) – an herausragenden Fällen wie dem I. und II. Weltkrieg (Nationalsozialismus), der Phase des kalten Kriegs zwischen den USA und der UdSSR oder der Volksrepublik China in den 1950er und 1960er Jahren, aber auch den Kriegen im Irak oder in Ex-Jugoslawien. 

Gegenwärtiger Zustand:
Inzwischen haben auch das Internet und → Social Media als Instrumente zur Verbreitung von Propaganda und Gegenpropaganda das Thema wieder aktualisiert, wobei vor dem Hintergrund der heutigen polarisierten Gesellschaft auch die bislang als objektiv geltenden journalistischen Medien mit dem politischen Kampfbegriff → Lügenpresse diffamiert werden. In der modernen Informations- und Mediengesellschaft werden die Begriffe Propaganda und Manipulation oft verschleiernd mit Public Relations, Lobbying oder Kommunikationsmanagement ersetzt. Propaganda und Manipulation erfolgen zudem viel umfassender, systematischer und basierend auf Algorithmen im Internet, aber gleichzeitig auch subtiler und weniger sichtbar als früher, etwa in Form des sog. Native Advertising bzw. von Publireportagen, d. h. durch Vermischung von Werbung und redaktionellem Inhalt.

Forschungsstand:
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Propaganda, Persuasion und Manipulation kann entweder auf die Botschaft bzw. den Text oder aber auf die Wirkungen beim → Rezipienten zielen. Die kritische Diskurstheorie verknüpft dabei linguistische mit ideologie-, gesellschafts- und sprachkritischen Fragestellungen, und zwar mit der Zielsetzung der emanzipatorischen Aufklärung durch Kritik des ideologischen und manipulativen Sprachgebrauchs. Im Zentrum der Analysen stehen der Gesamtbereich der Symbolik, Bildlichkeit, Metaphorik, Stereotypen, Klischees etc. Unterschieden wird auch zwischen der sogenannten ‚gray‘ Propaganda, wenn der Propagandist sich einer unverfänglichen, glaubwürdigen Quelle bedient, welche als vermeintlicher Kommunikator nach außen auftritt und der ‚black‘ Propaganda, wenn der Propagandist die Quelle der Propaganda bzw. Desinformation bewusst verschleiert. Im Gegensatz dazu spricht man von ‚white‘ Propaganda, wenn die Quelle korrekt identifizierbar ist und die Information ebenfalls zutrifft. – Die kommunikationswissenschaftliche Persuasionsforschung zielt demgegenüber auf die Wirkungen beim Rezipienten. Gefragt und untersucht wurde mit Hilfe von Laborexperimenten bspw. durch Carl Hovland bereits in den 1950er Jahren, wie Medienbotschaften als sogenannte ‚wissenschaftliche Rhetorik‘ so gestaltet werden müssen, damit diese möglichst große Überzeugungskraft haben. Untersucht wurden beispielsweise der Einfluss der Glaubwürdigkeit des → Kommunikators, ein- vs. zweiseitige Kommunikation oder rationaler vs. emotionaler Argumentationsstil.
Mit dem Internet und Social Media als neue Kanäle für Öffentlichkeitsarbeit, zusammen mit der komplexen Beeinflussung der Mediennutzer durch Algorithmen, hat sich allerdings die Kritik am kurzfristig-linearen Persuasions-Ansatz von manipulativen Medienwirkungen verstärkt.

Literatur:

Bonfadelli, Heinz: Medienwirkungsforschung 2. Konstanz [UVK] 2004.

Chomsky, Noam: Media Control. Wie Medien uns manipulieren. Hamburg [Europa Verlag] 2003.

Cialdini, Robert B.: Die Psychologie des Überzeugens. Bern [Hogrefe] 2010.

Dillard, James Price: Persuasion. In: Berger, Charles R.; Michael E. Roloff; David R. Roskos-

Ewoldsen (Hrsg.): The Handbook of Communication Science. Los Angeles [SAGE Publications] 2010, S. 203-218.

Dudenredaktion: Duden. Das Fremdwörterbuch. Berlin [Dudenverlag] 2015.

Lilienthal, Volker; Irene Neverla (Hrsg.): Lügenpresse. Anatomie eine politischen Kampfbegriffs. Köln [Kiepenheuer & Witsch] 2017.

Merten, Klaus: Kommunikation und Persuasion. In: Fröhlich, Romy et al. (Hrsg.): Handbuch der Public Relations. Wiesbaden [Springer VS] 2015, S. 385-398.

Schmidtchen Gerhard: Manipulation – Freiheit negativ. Neuwied/Berlin [Luchterhand] 1970.

Wallner, Regina: Digitale Medien zwischen Transparenz und Manipulation. Internet und politische Kommunikation in der repräsentativen Demokratie. Wiesbaden [Springer VS] 2018.

Wirth, Werner; Rinaldo Kühne: Grundlagen der Persuasionsforschung. Konzepte, Theorie und zentrale Einflussfaktoren. In: Schweiger, Wolfgang; Andreas Fahr (Hrsg.): Handbuch Medienwirkungsforschung. Wiesbaden [Springer] 2013, S. 313-332.

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Heinz Bonfadelli
* 1949, Prof. Dr., Studium der Sozialpsychologie, Soziologie und Publizistik­wissenschaft an der Universität Zürich. Seit Winter 1994 Extraordinarius und von Winter 2000 bis Sommer 2015 Ordinarius für Publizistikwissenschaft am IKMZ der Universität Zürich. Seit Herbst 2015 emeritiert. Forschungs­schwerpunkte: Mediennutzung & Medienwirkungen, speziell Wissenskluft-Perspektive, Online-Kommunikation und Digital Divide; Migration und Medien; Wissenschafts-, Gesundheits- und Umweltkom­munikation.