Faktencheck

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Wortherkunft: Faktum bedeutet ‚Tatsache, Ereignis‘. Im 16. Jh. wird das lateinische factum – ‚Tat, Handlung‘ – in die deutsche Rechtssprache übernommen (auch in der Bedeutung ‚Delikt‘). Seit dem 18. Jh. ist der Begriff Faktum (später verkürzt zu Fakt) als ‚Tatsache, beglaubigtes Ereignis‘ allgemein geläufig. De facto – ‚tatsächlich, in Wirklichkeit‘ – wurde im 16. Jh. aus der lateinischen Juristensprache ins Deutsche übernommen, als Gegensatz zu de iure – ‚dem Recht entsprechend‘ (DWDS 2022).

Definition:
Das Fact-Checking, die Faktenprüfung oder der Faktencheck gehört zu den Kernaufgaben journalistischer → Recherche. Nachweisbare Tatsachen stehen hier im Vordergrund. Bestimmt wird diese Praxis des Prüfens von ausgewählten Behauptungen vor oder auch nach Veröffentlichung durch die Norm der → Wahrhaftigkeit und die journalistische Sorgfaltspflicht. Diese prägen sowohl auf rechtlicher als auch auf medienethischer Grundlage den Journalistenberuf. Sie fordern ihn täglich aufs Neue heraus, denn für kritisches Hinterfragen und sorgfältige Rechercheleistung bedarf es intellektueller Anstrengung, einer kritischen Reflexion auch der eigenen Voreingenommenheit, und entsprechender zeitlicher und personeller Ressourcen.

Geschichte:
Im 19. Jahrhundert etablierte sich im Zeitungswesen eine stärkere Orientierung an Tatsachen, Meinung und Polemik rückten in den Hintergrund. Der Fokus auf Sachinformationen, auf das Faktische im Journalismus wurde beeinflusst durch kommunikationstechnische Entwicklungen und ökonomische Überlegungen. Daniel H. Craig, Leiter der US-amerikanischen Agentur Associated Press, schickte im Jahr 1854 einen Aufruf an seine Reporter und → Korrespondenten, sich möglichst kurz zu fassen und sich nur noch auf wesentliche Fakten zu fokussieren (Dickey 2019). Der Grund: Die neue Form der schnelleren Nachrichtenübermittlung per Telegramm. Bezahlt wurde hier pro Wort. Je kürzer und prägnanter die jeweilige Korrespondenz also formuliert war, desto günstiger wurde ihre Übertragung für die Medienunternehmer.

Mit dem Fokus auf das Faktische stieg auch die Angst vor Fehlern und gezielten Fälschungen. 1912 richtete die New York World unter Ralph Pulitzer deshalb ihr ‚Bureau of Accuracy and Fair Play‘ ein, dessen Aufgabe als eigenständiges Fact-Checking-Team es war, nachträglich Beiträge zu überprüfen und → Falschmeldungen richtigzustellen (ebd.). Weitere Redaktionen folgten dem Beispiel. Bis in die 1970er Jahre galt diese Form der Recherche im Journalismus dann als minderwertiger Frauenjob ohne große Anerkennung – perfekt für junge und gut gebildete Geisteswissenschaftlerinnen, die einer interessanten Tätigkeit nachgehen wollten, aber wenig Ansprüche stellten und die männlichen → Journalisten in ihrem Geltungsdrang nicht weiter störten (ebd., dazu auch Friedman/Schwartz 1971).

Gegenwärtiger Zustand:
Auch im deutschsprachigen Journalismus etablierten sich Akteure, die auf Faktenprüfung spezialisiert sind. Sie sind entweder innerhalb der eigenen Redaktion für die Vorab-Überprüfung von Tatsachen zuständig, wie z. B. das langjährig tätige Dokumentations-Team des SPIEGEL, oder sie greifen gezielt ausgewählte Beispiele aus der Berichterstattung und heute vermehrt auch aus → Social-Media-Netzwerken auf, um diese auf sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Die Verifikation gewinnt durch die vermehrte Einbindung von nutzergenerierten Inhalten nochmal an Relevanz (Wintterlin 2019: 39). Das Material stammt hier nicht mehr von eigenen Korrespondenten vor Ort, deren Zuverlässigkeit man bereits einschätzen kann. Eine sorgfältige Prüfung wird umso wichtiger.

Den Fokus auf Faktenprüfung legen z. B. neuere Rechercheteams wie CORRECTIV, spezialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle, das dpa-Faktencheck-Team, oder die ARD-Teams Faktenfinder und Faktenfuchs. Mit ‚Checker Tobi‘ hat es das Format Faktencheck sogar in den öffentlich-rechtlichen Kindersender KiKa geschafft. Auch digitale Agenturen bieten Faktenprüfung als Service an. Im englischsprachigen Raum sind es Teams, Formate und Netzwerke wie BBC Reality Check, Bellingcat oder Forensic Architecture (die u. a. mit dem SPIEGEL kooperieren). Neben journalistischen Medien arbeiten z. B. große Infrastrukturanbieter wie das Social-Media-Netzwerk Facebook mit Faktenprüfern zusammen. Es gibt dabei auch kritische Stimmen, die das Thema Machtmissbrauch bei dieser Form der Einflussnahme auf das, was medial bzw. über die sozialen Netzwerke wahrgenommen wird, diskutieren (Dobusch 2018).

Forschungsstand:
Von Brandtzaeg et al. (2016) wurden allgemein Verifikationspraktiken und -prozesse innerhalb journalistischer Redaktionen untersucht. Dabei hat das Forscherteam auch die Nutzung digitaler Tools zur Unterstützung der Recherche und Überprüfung von Informationen in den Blick genommen. Der Auswertung ihrer Studie zufolge fehlten vielen Journalisten und Journalistinnen Mitte der 2010er Jahre noch Kenntnisse in diesem Bereich – eine Lücke, die spezialisierte → Redakteure oder externe Verifikationsservices heute füllen können (Brandtzaeg et al. 2016: 331f, vgl. auch Silverman 2015, Brandtzaeg et al. 2018, Xinshi/Wenshu 2020). Bernhard (2020) spricht hier bereits von einem Boom, kommt aber in seiner Studie zur Situation in der Schweiz auch zu dem Schluss, dass die Praktiken des Prüfens und Verifizierens von Informationen im Journalismus noch immer ausbaufähig sind. Faktencheck-Teams aus verschiedenen Ländern und Mediensystemen füllen ihre Funktion als Watchdogs zudem in unterschiedlicher Weise aus, wie eine vergleichende Studie aus den USA, Italien, Deutschland und Brasilien zeigen konnte (Ferracioli et al. 2022).

Neben klassischen Rechercheinstrumenten und -praktiken wie Quellengesprächen oder eigenen Vor-Ort-Recherchen spielen digitale Tools zur Auswertung von Online-Inhalten heute eine größere Rolle. Dazu gehören beim Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks z. B. die umgekehrte Bildersuche (Reverse Image Search) über verschiedene → Suchmaschinen, bei Videomaterial beispielsweise die InVid-Video-Verifikation, oder auch der Abgleich mit Wetterdaten, Kartenmaterial und Satellitenaufnahmen. Beantwortet werden müssen folgende fünf Fragen: Sehe ich das Original? Wer ist der Urheber? Warum wurde die Aufnahme gemacht? Wann wurde das Material aufgenommen? Wo wurde das Material aufgenommen? (Sell/Oswald 2021)

Im Grundsatz werden in der Forschung drei Ansätze der Faktenprüfung unterschieden: 1) Expertenorientiertes Arbeiten und Nachrecherchieren, 2) Praktiken des Crowdsourcing, in denen Rezipienten und User nachrichtlichen Content kommentieren und auf Fehler aufmerksam machen und 3) computergestützte Überprüfungen, in denen automatisierte Systeme Inhalte klassifizieren, z. B. in wahre oder falsche Behauptungen (Giomelakis et al. 2021: 4). Auch Mischformen sind möglich. Transparentes Arbeiten und die Entwicklung entsprechender Faktencheck-Formate sollen so auch der Steigerung der Glaubwürdigkeit des jeweiligen dienen. Eine leichte Erhöhung der Vertrauenswürdigkeit in Form einer Verifikation von User Generated Content durch Faktenchecks konnte bereits festgestellt werden (Grosser et al. 2019), wobei neben journalistischer Professionalität auch Quellentransparenz ein Einflussfaktor sein kann (Humprecht 2020).

Dennoch erreichen Formate wie Faktenchecks ihr Ziel nur teilweise. Einerseits, weil sie auf diejenigen, die ggf. über Social-Media-Kanäle stark auf Emotionalisierung ausgerichtete Falschmeldungen teilen und deren → Medienvertrauen ohnehin gering ist, kaum Einfluss haben. Andererseits, weil sachliche Auseinandersetzungen und Richtigstellungen weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen als (reale oder erfundene) Skandale (Ehl 2019). Falsche Informationen verfangen zudem dann besonders gut, wenn sie dem sogenannten Confirmation Bias zuträglich sind, Mediennutzer sich also in ihrer bisherigen Weltsicht bestätigt sehen – man glaubt eben leichter, was man glauben will. Die Wirkung von Faktenchecks wird gerade bei politischen Informationen gedämpft durch Glaube, Ideologie und Wissen (Walter et al. 2020). Es kann dennoch auch bei Gruppen mit gefestigten politischen Glaubenssätzen durch die Richtigstellung von Fehlinformationen zu einem Perspektivenwechsel kommen, wie aus einer aktuellen Studie aus den USA zum Thema Migration hervorgeht (Carnahan/Bergan 2022).

Insgesamt stellen Faktenchecks in einer stark ausdifferenzierten Medienlandschaft, in der jede(r) ohne allzu großen Aufwand eigene → Inhalte veröffentlichen und verbreiten kann, eine Chance für den Journalismus dar, seine klassische und für Demokratien zentral relevante Informationsfunktion zu stärken und in Zeiten medialer Unübersichtlichkeit Orientierung zu bieten.

Literatur:

BBC: Reality Check. https://www.bbc.com/news/reality_check [04.07.2022]

Bellingcat. https://de.bellingcat.com/ [04.07.2022]

Bernhard, Laurent: Fact-checking direct democracy. When journalists set out to correct misinformation. New York [Routledge] 2020.

BR24: Faktenfuchs. https://www.br.de/nachrichten/faktenfuchs-faktencheck,QzSIzl3 [04.07.2022]

Brandtzaeg, Petter Bae et al.: Emerging Journalistic Verification Practices Concerning Social Media. In: Journalism Practice, 3, 2016, S. 323-342.

Brandtzaeg, Petter Bae et al.: How Journalists And Social Media Users Perceive Online Fact-Checking And Verification Services. In: Journalism Practice, 9, 2018, S. 1109-1129.

Carnahan, Dustin; Daniel E. Bergan: Correcting the Misinformed: The Effectiveness of Fact-checking Messages in Changing False Beliefs. In: Political Communication, 2, 2022, S. 166-183.

Deutsche Welle: Fact-checking: A curated guide to resources and ideas. 10.08.2020. https://www.dw.com/en/fact-checking-a-curated-guide-to-resources-and-ideas/a-54509776 [28.06.2022]

Dickey, Collin: The Rise and Fall of Facts. In: Columbia Journalism Review, Herbst 2019. https://www.cjr.org/special_report/rise-and-fall-of-fact-checking.php [28.06.2022]

Dobusch, Leonard: Wer checkt die Faktenchecker? Kontroverse um Facebooks ‚externe Faktenprüfung‘. In: Netzpolitik.org, 13.09.2018. https://netzpolitik.org/2018/wer-checkt-die-faktenchecker-kontroverse-um-facebooks-externe-faktenpruefung/ [04.07.2022]

dpa: Faktencheck. https://www.dpa.com/de/unternehmen/faktencheck#faktencheck-regeln [04.07.2022]

Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache: Faktum, das. https://www.dwds.de/wb/Faktum [04.07.2022]

Ehl, David: Gegen Fake News: Was bringt der Faktencheck? In: Deutsche Welle, 09.01.2019. https://www.dw.com/de/kampf-gegen-fake-news-was-bringt-fact-checking/a-46993021 [06.07.2022]

Ferracioli, Paulo et al.: The Watchdog Role of Fackt-Checkers in Different Media Systems. In: Digital Journalism, 5, 2022, S. 717-737.

Forensic Architecture: https://forensic-architecture.org/ [04.07.2022]

Friedman, Sara Ann; Lois C. Schwartz: No Experience Necessary: A Guide to Employment for the Female Liberal Arts Graduate. New York [Dell Publishing Company] 1971.

Giomelakis, Dimitrios et al.: Verification of News Video Content: Findings from a Study of Journalism Students. In: Journalism Practice, 2021, S. 1-30.

Grosser, Katherine M. et al.: TRUSTWORTHY OR SHADY? Exploring the influence of verifying and visualizing user-generated content (UGC) on online journalism’s trustworthiness. In: Journalism Studies, 4, 2019, S. 500-522.

Humprecht, Edda: How Do They Debunk ‚Fake News‘? A Cross-National Comparison of Transparency in Fact Checks. In: Digital Journalism, 3, 2020, S. 310-327.

KiKa (ARD/ZDF): Checker Tobi. https://www.kika.de/checker-tobi/index.html [05.07.2022]

Sell, Saskia; Bernd Oswald: Verifikation von Online-Inhalten im Journalismus. In: Schicha, Christian; Ingrid Stapf; Saskia Sell (Hg.): Medien und Wahrheit. Medienethische Perspektiven auf Desinformation, Lügen und ‚Fake News‘. Baden-Baden [Nomos], S. 243-261.

Silverman, Craig (Hg.): Verification Handbook for Investigative Reporting. A Guide to Online Search and Research Techniques for Using UGC and Open Source Information in Investigations. 2015. https://datajournalism.com/read/handbook/verification-2 [03.07.2022]

Tagesschau.de: Faktenfinder https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ [04.07.2022]

Walter, Nathan et al.: Fact-Checking: A Meta-Analysis of What Works and for Whom. In: Political Communication, 3, 2020, S. 350-375.

Wintterlin, Florian: Quelle: Internet. Journalistisches Vertrauen bei der Recherche in sozialen Medien. Baden-Baden [Nomos], 2019.

Xinshi, Zhang; Li Wenshu: From Social Media with News: Journalists’ Social Media Use for Sourcing and Verification. In: Journalism Practice, 10, 2020, S. 1193-1210.

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Saskia Sell
* 1981, Dr., Studium der Anglistik/Amerikanistik und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Journalismus an den Universitäten Warwick/Coventry, NYU New York, Humboldt Universität zu Berlin und Freie Universität Berlin. Seit 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und 2016 Promotion an der Freien Universität Berlin zu diskursiven Aushandlungsprozessen von Kommunikationsfreiheit. Lehr- und Forschungsaufenthalte in Madrid und Oslo. Seit 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Lehrschwerpunkt an der Freien Universität Berlin. Forschungs­- und Lehrschwerpunkte: Kommunikationsfreiheiten, Digitaler Journalismus, Politische Diskurse, Medienethik, Zeugenschaft und Media Witnessing.