Karl Marx

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Karl MarxKarl Marx – Vordenker, Aktivist und Journalist

Marx, Karl, geb. 5. 5. 1816 in Trier, gest. 14. 3. 1883 in London

Wer und was war Karl Marx? Revolutionär, Querkopf, Vordenker, Aktivist, Prophet und Erlöser – das sind einige der Etiketten, mit denen er charakterisiert wurde und wird. Als Eleanor Marx am 16. März 1883 den Tod ihres Vaters beim Sterberegister des Londoner Stadtteils Pancras meldete, ließ sie als Beruf des zwei Tage zuvor Verstorbenen den Begriff ‚Author‘ eintragen. Und was für ein Autor er war: Bei einem Zitate-Ranking setzte ihn die → Wissenschaftszeitschrift Nature auf Platz 1 der meistzitierten Autoren aller Zeiten. Und die UNESCO erklärte mit dem Kommunistischen Manifest und dem ersten Band des Kapitals zwei seiner Schriften zum Weltkulturerbe. Karl Heinrich Marx hat sich in seinem langen Leben allerdings nicht nur als Verfasser dicker Kompendien und revolutionärer Kampfschriften profiliert, sondern auch als → Journalist. Und zwar in ganz unterschiedlichen Berufsrollen: als → Korrespondent, als → (Chef-)Redakteur und als → Herausgeber.

Am 5. Mai 1818 als drittes von neun Kindern des Rechtsanwalts Heinrich Marx und seiner Frau Henriette in der Moselstadt Trier geboren, wuchs er auf im gebildeten bürgerlichen Milieu. Die Eltern stammten aus alten Rabbinergeschlechtern, waren aber zum Protestantismus konvertiert. Durch das familiäre Umfeld und die Lehrer im humanistischen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium erhielt der junge Marx viele Anregungen im Geiste der Aufklärung und eines liberal geprägten Rationalismus. Als 17-Jähriger schreibt er in einem Abituraufsatz zum Thema „Betrachtung eines Jünglings bei der Wahl eines Berufes“: „[…] gestatten unsere Lebensverhältnisse, einen beliebigen Stand zu wählen, so mögen wir den ergreifen, der uns die größte Würde gewährt, der auf Ideen gegründet ist, von deren Wahrheit wir durchaus überzeugt sind, der das größte Feld darbietet, um für die Menschheit zu wirken und uns selbst dem allgemeinen Ziele zu nähern, für welches jeder Stand nur ein Mittel ist, der Vollkommenheit“ (MEW Ergänzungsband I: 593). In diesen idealistisch-emphatischen Zeilen deuten sich schon die späteren Impulse zur Weltverbesserung an.

Die eigene Berufsfindung verläuft dann allerdings durchaus nicht gradlinig. Zunächst zwei Semester Studium an der neu gegründeten Universität Bonn: Rechtswissenschaft, nach dem Vorbild und auf Anraten des Vaters. Dann – auch als Akt der Emanzipation – Umzug in die preußische Metropole Berlin. An der dortigen Universität, die noch ganz im Banne des Meisterdenkers Hegel stand, intensive Beschäftigung mit den Geisteswissenschaften, speziell der Philosophie. Besonders die Junghegelianer mit ihren staats- und religionskritischen Ansichten ziehen ihn in ihren Bann. Studienabschluss 1841 mit einer Doktorarbeit, in der die dialektische Spannung zwischen Zufall und Notwendigkeit, zwischen Determinismus und Freiheit thematisiert wird. Die Promotion erfolgt, was damals keine Seltenheit war, in absentia, und zwar an der Universität Jena.

Berufseinstieg als Journalist
Wie bei manchen systemkritischen Köpfen der Restaurationszeit zerschlägt sich auch bei Marx die Hoffnung auf eine akademische Karriere. Da bietet ein neu gegründetes Presseorgan eine berufliche Einstiegschance: Die Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe, die seit 1842 von einer Kommanditgesellschaft auf Aktienbasis herausgegeben wird, soll der konservativen Kölnischen Zeitung durch eine kritisch-liberale Berichterstattung Konkurrenz machen.

Marx beginnt seine Mitarbeit mit einer sechsteiligen Artikelserie zu den Debatten des Rheinischen Landtags über die → Pressefreiheit. Den Abgeordneten, die den Status quo der Vorzensur ontologisch begründen wollten, hält er am 12. Mai 1842 entgegen: „Die zensierte Presse mit ihrer Heuchelei, ihrer Charakterlosigkeit, ihrer Eunuchensprache, ihrem hündischen Schwanzwedeln verwirklicht nur die inneren Bedingungen ihres Wesens.“ Und weiter: „Das Wesen der freien Presse ist das charaktervolle, vernünftige, sittliche Wesen der Freiheit. Der Charakter der zensierten Presse ist das charakterlose Unwesen der Unfreiheit, sie ist ein zivilisiertes Ungeheuer, eine parfümierte Mißgeburt“ (MEW 1: 54). Selten sind stilistisch so brillante, polemisch zugespitzte und intellektuell fundierte Passagen über Pressefreiheit und Zensur veröffentlicht worden wie in dieser Artikelserie.

In weiteren Beiträgen befasste sich Marx mit sozialen Problemen und ökonomischen Fragen. Damit der Zensor nicht einschreiten konnte, geschah dies teilweise wieder mit Bezug auf die Landtags-Verhandlungen, etwa über das Gesetz zum Holzdiebstahl und die Lage der Moselbauern. Die Artikel erschienen, wie damals üblich, anonym. Aber intern konnte sich der Autor damit so profilieren, dass er im Oktober 1842 Chefredakteur wurde. Die Auflage der Rheinischen Zeitung stieg unter seiner Redaktionsleitung auf 3400 Abonnenten – für damalige Verhältnisse eine stolze Zahl. Das Blatt erlitt jedoch schon bald das ‚normale‘ Schicksal des kritischen Journalismus: Anfang 1843 wurde sein weiteres Erscheinen verboten.

Marx zog aus seinen Erfahrungen dieselbe Konsequenz wie viele oppositionelle Publizisten vor ihm: Er ging in die Emigration. Zusammen mit dem Linkshegelianer Arnold Ruge gab er im Februar 1844 in Paris die Deutsch-Französischen Jahrbücher heraus. Im ersten – und einzigen – Doppelheft erschien seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift“ (MEW 1: 385). Hier beginnt Marx seinen Weg als Theoretiker des wissenschaftlichen Sozialismus und als Aktivist des Kommunismus.

Freundschaft und Partnerschaft mit Friedrich Engels
Ein großer Teil der Auflage wurde an den Grenzen zum Deutschen Bund konfisziert, und damit war das neue Medium schon kurz nach dem Start gescheitert. Es brachte allerdings Marx in Kontakt mit dem Barmer Fabrikantensohn Friedrich Engels. Dies war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft und intellektuellen Partnerschaft. Von den vielen gemeinsamen Werken hat das im Februar 1848 veröffentlichte Manifest der Kommunistischen Partei die größte Resonanz gefunden. Der in Brüssel im Auftrag des Bundes der Kommunisten entstandene Text, mittlerweile in mehr als 200 Sprachen übersetzt, beginnt mit dem Satz: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“ (MEW 4: 461). Und er endet mit dem Appell: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ Aus einer radikalliberalen Kritik am Bestehenden war inzwischen ein revolutionäres Programm geworden.

„Es ist die Zeit des Ideenkampfes, und Journale sind unsere Festungen.“ Diese Diagnose stammt von → Heinrich Heine, mit dem sich Karl Marx in Paris angefreundet hatte (aus einem Brief an Gustav Kolb vom 11.11.1828). Sie hätte auch von Marx selbst stammen können. Nach der bürgerlichen Revolution von 1848 – zuerst in Paris, dann in Berlin – gründete er in Köln erneut eine Tageszeitung. Von der Neuen Rheinischen Zeitung (Untertitel: Organ der Demokratie) kamen seit dem 31. Mai 1848 insgesamt 301 Nummern heraus, ergänzt durch Beilagen und Extrablätter. Marx war jetzt im Impressum als „Redacteur en chef“ aufgeführt. Und er war ein autoritärer Chefredakteur. Engels schrieb dazu im Rückblick: „Die Verfassung der Redaktion war die einfache Diktatur von Marx“ (nach Roegele: 203).

Die Linie der Zeitung und auch die Diktion waren diesmal weit radikaler und dogmatischer. Polemik gegen die überkommenen Machteliten, Abrechnung mit der Nationalversammlung in der Paulskirche, Aufruf zum Steuerstreik in Preußen, Plädoyers für eine soziale Republik – die Redaktion betrieb durchaus Kampagnenjournalismus. Prozesse wegen Majestätsbeleidigung, Verleumdung und Anstiftung zur Rebellion endeten zwar mit Freispruch; aber am 19. Mai 1849 musste das Blatt trotz einer beachtlichen Auflage von 6000 Exemplaren sein Erscheinen aus politischen und ökonomischen Gründen einstellen. Die letzte Ausgabe dieser „ersten sozialistischen Parteizeitung großen Stils in Deutschland“ (Koszyk 1999: 157) wurde in roter Farbe gedruckt und auch deshalb später als Rarität in Antiquariaten hoch gehandelt. Am Beginn stand ein Abschiedsgedicht von Ferdinand Freiligrath, in dem er das Blatt als „stolze Rebellenleiche“ würdigte.

Erneut in der Emigration
Für den Chefredakteur bleibt, wieder einmal, nur die Emigration, die diesmal über Paris nach London führt. Dort wird er ausharren bis zu seinem Tod, 34 Jahre lang. Einen Großteil der Zeit verbringt er im Lesesaal des Britischen Museums. Dort unterwirft sich der Vordenker der proletarischen Revolution der Diktatur des Sitzfleisches. Im Laufe der Jahre füllt er eine dreistellige Zahl von Notizheften mit Exzerpten wissenschaftlicher Literatur. Diese bilden die Materialbasis für sein Hauptwerk Das Kapital, dessen erster Band 1867 erscheint.

Die Londoner Zeit ist durch eine bedrückende finanzielle Situation für Marx und seine Familie gekennzeichnet. Dem Dauerkunden der örtlichen Leihhäuser muss der Freund und Kombattant Engels immer wieder mit Geldgeschenken unter die Arme greifen. Allerdings helfen auch Erträge aus dem Journalismus beim Überleben: Von 1852 bis 1862 liefert Marx regelmäßig Beiträge für die New-York Daily Tribune, damals das auflagenstärkste Blatt der Welt. Dabei handelt es sich primär um politische und wirtschaftliche Analysen; es geht vor allem um Freihandel und Kolonialismus, um Ursachen und Folgen der Industrialisierung und der zeitgenössischen Kriege. Eine Zeitlang tragen auch die Honorare deutschsprachiger Zeitungen zum Broterwerb bei. Marx arbeitet als Korrespondent für die Neue Oder-Zeitung in Breslau und Die Presse in Wien. Mit dem österreichischen Blatt macht er allerdings schlechte Erfahrungen, weil es nur wenige seiner Beiträge veröffentlicht. In einem Brief an Engels vom 18. Juni 1862 klagt er: „Das Lausegeld von Wien […] wird verdammt wenig sein, da die Hunde nicht einmal wöchentlich einen Artikel jetzt drucken“ (MEW 30: 248). So muss Marx am Ende seines Lebens die Erfahrung machen, dass auch von journalistischer Lohnarbeit andere Profiteure den Mehrwert kassieren. Jahrzehnte zuvor hatte er allerdings festgestellt: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein“ (Rheinische Zeitung, 19.5.1842 – MEW 1: 71).

Literatur:

Quellen:

Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA). Berlin [Dietz] 1975 ff.; Berlin [Akademie-Verlag], seit 1990.

Marx-Engels-Werke (MEW). 43 Bände, Berlin [Dietz] 1956-1990.

Darstellungen:

Endler, Franz: Österreich zwischen den Zeilen. Die Verwandlung von Land und Volk seit 1848 im Spiegel der „Presse“. Wien, München, Zürich [Molden] 1973.

Herres, Jürgen: Marx und Engels. Porträt einer intellektuellen Freundschaft. Ditzingen [Reclam] 2018.

Hömberg, Walter: Gesellschaftskritik und Kampagnenjournalismus: Karl Marx. In: Haller, Michael; Walter Hömberg (Hrsg.): „Ich lass mir den Mund nicht verbieten!“ Journalisten als Wegbereiter der Pressefreiheit und Demokratie. Ditzingen [Reclam] 2020, S. 85-90.

Hosfeld, Rolf: Karl Marx. Philosoph und Revolutionär. Eine Biographie. München [Pantheon] 2018.

Koszyk, Kurt: Karl Heinrich Marx (1818-1883). In: ders.: Publizistik und politisches Engagement. Lebensbilder publizistischer Persönlichkeiten. Hrsg. von Hömberg, Walter; Arnulf Kutsch; Horst Pöttker. Münster [Lit] 1999, S. 152-161.

Neffe, Jürgen: Marx. Der Unvollendete. München [C. Bertelsmann] 2017.

Roegele, Otto B.: Karl Marx. In: ders.: Plädoyer für publizistische Verantwortung. Beitrage zu Journalismus, Medien und Kommunikation. Hrsg. von Dorsch-Jungsberger, Petra E.; Walter Hömberg; Walter J. Schütz. Konstanz [UVK Medien] 2000, S. 185-207.

Stedman Jones, Gareth: Karl Marx. Die Biographie. Frankfurt am Main [S. Fischer] 2017.

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Walter Hömberg
*1944, Prof. Dr. phil., war vor seiner Emeritierung Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an den Universitäten Bamberg und Eichstätt. Seit 1999 lehrte er auch als Gastprofessor an der Universität Wien. 1992 bis 1995 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 1996 bis 2011 Sprecher des Münchner Arbeitskreises öffentlicher Rundfunk. Herausgeber mehrerer Buchreihen und des Almanachs Marginalistik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Journalismusforschung, Wissenschafts- und Kulturkommunikation sowie Medien- und Kommunikationsgeschichte. Kontakt: walter.hoemberg (at) ku.de