Karl Gutzkow

2005

Gutzkow, Karl, geb. 17.3.1811 in Berlin, gest. 16.12.1872 in Frankfurt-Sachsenhausen

Er war einer der meistdiskutierten Schriftsteller seiner Zeit, ebenso streitbar wie umstritten. Alle publizistischen und literarischen Disziplinen hat er ausprobiert, vom Kurzstreckenlauf in den aktuellen Druckmedien bis zum Marathon des Zeitromans in neun Bänden. Er war ein Redakteur von Rang, ein scharfsinniger Zeitkritiker, ein hochkarätiger literarischer Entdecker und Vermittler. Und er kann als Prototyp für den Übergang vom → schriftstellerischen zum → redaktionellen Journalismus gelten (siehe dazu Baumert [1928] 2013).

Am 17. März 1811 geboren und aufgewachsen am Rande des Berliner Stadtschlosses, wurde Karl Ferdinand Gutzkow schon als Kind mit den sozialen Gegensätzen seiner Zeit konfrontiert. Der Vater war Bereiter des Prinzen Wilhelm von Preußen. Die Mutter, Tochter eines Zuckersieders, schenkte fünf Kindern das Leben, von denen zwei früh starben. Sie konnte zwar lesen, aber nicht schreiben. Die Wohn- und Lebensverhältnisse waren ärmlich, sogar die Küche musste man mit einer anderen Familie teilen.

Der Start in der Schule war schwierig – aber schon bald begriff der blitzgescheite Junge, dass Bildung nicht nur geistige Bereicherung, sondern auch die Bedingung der Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg bedeutet. Ein Stipendium ermöglichte den Besuch des humanistischen Friedrich-Werder‘schen Gymnasiums, und nach der exzellent bestandenen Abiturprüfung studierte er Philologie, Philosophie und Theologie an der Berliner Universität. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Student vor allem mit Nachhilfeunterricht, wodurch er andere gesellschaftliche Milieus näher kennenlernte und für soziale Unterschiede weiter sensibilisiert wurde.

Nach dem Studienabschluss mit dem Titel eines Doktors der Philosophie lautete die klassische Berufsalternative Pfarrer oder Lehrer. Gutzkow, der schon als Schüler eine handgeschriebene Wochenschrift herausgegeben hatte, entschied sich allerdings schon früh für den unsicheren Weg des ‚freien‘ Publizisten.  Das war damals mutig in doppelter Hinsicht: Während zuvor die Schriftstellerei meist neben einem bürgerlichen Beruf oder mit Unterstützung von Mäzenen betrieben worden war, musste die neue Autorengeneration ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch die Erlöse ihrer Publikationen bestreiten. Dies bedeutete einen enormen Publikationsdruck und zugleich eine direkte Abhängigkeit vom Massengeschmack. Zum anderen unterlagen seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 alle Veröffentlichungen einer verschärften Kommunikationskontrolle. Die Folgen mussten Gutzkow und andere junge Autoren bald spüren.

Die Zeit des Vormärz war durch Gegensätze und Widersprüche gekennzeichnet: Revolution und Restauration, soziale Dynamik und politische Stagnation, technischer Fortschritt und bürokratische Repression standen neben- und gegeneinander. Den Umbruchs- und Übergangscharakter erkannten viele zeitgenössische Schriftsteller. Sie verstanden sich als Sprachrohr des Zeitgeistes und kämpften für politische und soziale Reformen.

Die Strategie der neuen Literatur hat Gutzkow prägnant umschrieben. In den anonym veröffentlichten Briefen eines Narren an eine Närrin prognostiziert er: „Der Ideenschmuggel wird die Poesie des Lebens werden“ (1832: 190). Die zunehmende Macht der Zensur drängte den Autor in die Rolle eines Schmugglers, der seine Intentionen und Inhalte literarisch verkleidet an seine Leser und Leserinnen bringt. Durch Gegenstrategien wie Camouflage, pseudonyme und anonyme Veröffentlichung, Angabe fiktiver Verlagsorte und weitere Maskierungsversuche wollten die Autoren die Vorzensur überlisten, was nur zum Teil gelang.

Für Gutzkow war das Jahr 1835 mit sieben Buchveröffentlichungen ein besonders produktives Jahr. In der Titelfigur der Tragödie Nero porträtiert er den bayrischen König Ludwig I. – eine historische Projektion als Beispiel für die Schmuggel-Strategie. Die Vorliebe für kleine Prosaformen, für Bericht und Beschreibung, Brief und Tagebuch, Skizze und Schilderung, Erzählung und Novelle, erklärt sich auch dadurch, dass die Beiträge zunächst in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht und später dann zu Büchern gebündelt werden konnten. Das bedeutete eine zusätzliche Einnahmequelle für die unter Produktionsdruck stehenden Nachwuchsautoren. Drei solcher Sammelbände brachte Gutzkow 1835 heraus.

Am meisten Wirbel machte in diesem Jahr sein Roman Wally, die Zweiflerin. Zunächst schlug die literarische Kritik zu, und zwar mit schwerem Gerät. Wolfgang Menzel, der nationalkonservative Burschenschaftler, widmete dem Buch gleich zwei Ausgaben seines einflussreichen Literatur-Blattes zum Stuttgarter Morgenblatt für gebildete Stände. Sein Text war eine Ansammlung von Invektiven: „Ungezogenheiten“, „Schändlichkeiten“, „Obscönitäten“, „Gotteslästerungen“, „Hurerei“, „Laster“, „Unglauben“, „Entsittlichung“, „Gift“, „Schlamm“, „Verruchtheit“ und ähnliche unerfreuliche Eigenschaften warf er der Titelfigur des Romans und damit auch dem Autor vor, in dem er wenige Jahre zuvor noch einen ‚Adjutanten‘ gesehen hatte (abgedruckt bei Estermann 1972: I, 41-56).

Mit seiner Wally präsentiert Gutzkow eine Mixtur heterogener Formen und Inhalte. Am Beginn geht es in erzählerischer Form vor allem um Liebe und Ehe mit einem Plädoyer für die Emanzipation der Frau. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Reflexionen über Religion und Christentum, wobei sowohl gegen die etablierte Kathedertheologie als auch gegen die Komplizenschaft von Kirche und Staat polemisiert wird. Ein angehängter Aufsatz über Wahrheit und Wirklichkeit hilft dem Buch knapp über die Zwanzig-Bogen-Grenze: Bände mit einem Umfang über 320 Seiten mussten den Zensurbehörden nicht vor der Veröffentlichung vorgelegt werden.

Die Aktualität des Romans lag nicht zuletzt darin, dass ethische und religiöse Fragen als soziale Fragen verstanden wurden. Damit war die Aufmerksamkeit der Zensurbehörden geweckt: Der Verbotserlass des preußischen Innenministeriums vom 14. November 1835 betraf die unter dem Etikett ‚Das junge Deutschland‘ zusammengefassten Autoren Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Theodor Mundt und Ludolf Wienbarg. Damit wurde paradoxerweise eine ‚literarische Schule‘ imaginiert und zugleich eliminiert, die es als solche gar nicht gab. Eine Verschärfung brachte dann noch einen Monat später das Verbotsedikt der Bundesversammlung, in dem zusätzlich → Heinrich Heine genannt ist.

Den angeführten Autoren – im Übrigen alles andere als eine kohärente Gruppe – wird nicht direkte politische Agitation vorgeworfen, sondern vielmehr ein Angriff auf das bestehende religiöse, moralische und soziale Wertesystem.

Als erschwerend galt, dass sie ihre Ideen und Ziele in allgemein zugänglichen Publikationen und dazu noch in unterhaltsamer belletristischer Einkleidung veröffentlicht hatten. Der Verbotskatalog umfasst sowohl die Produktion als auch die Verbreitung zukünftiger Schriften.

Gutzkow traf es besonders hart: Er wurde drei Monate in einem Mannheimer Gefängnis festgehalten. Zusammen mit Wienbarg musste er den damaligen Wohn- und Arbeitsort Frankfurt verlassen. Auch das gemeinsame Zeitschriftenprojekt Deutsche Revue fiel dem Verbot zum Opfer. Konzipiert als Nationalrevue, die hohe Qualitätsansprüche mit breiter Publizität verbinden sollte, konnten die bereits vorliegenden Beiträge erst 136 Jahre später vollständig veröffentlicht werden (Estermann 1971).

Das Veröffentlichungsverbot bedeutete für die Betroffenen zugleich ein Berufsverbot. Allerdings gab es immer wieder Möglichkeiten, die Einschränkungen zu unterlaufen. So arbeitete Gutzkow, ohne dass sein Name genannt werden durfte, kurze Zeit für die Börsen-Zeitung und später dann für den Frankfurter Telegraphen. 1838, inzwischen verheiratet und bald Vater von drei Söhnen, zog er nach Hamburg und war zwei Jahre tätig als Herausgeber des Telegraphen von Deutschland, an dem unter anderem Friedrich Hebbel, Georg Herwegh und Friedrich Engels mitarbeiten. Er veröffentlichte weitere Sammelbände und den umfangreichen Erziehungsroman Blasedow und seine Söhne.

Dann folgte ein Jahrzehnt als Dramatiker – mit wechselndem Erfolg seiner Stücke an verschiedenen Bühnen.  Gutzkow erhielt eine Anstellung als Dramaturg am Dresdener Hoftheater (1846–1849) und blieb nach Auflösung seines Vertrages dort wohnen. 1848 erlebte er den Ausbruch der Revolution und mischte sich unter die Redner der Märztage. Das Revolutionsjahr war für ihn auch privat ein Jahr des Umbruchs: Der Tod seiner Frau bedeutete einen tiefen Einschnitt in seinem Leben. Im Jahr darauf heiratet er deren Kusine. Dieser Ehe entstammen drei Töchter.  

Trotz aller Einschnitte und Rückschläge – die Innovationskraft dieses Mannes blieb ungebrochen. 1850 begann Gutzkows Roman Die Ritter vom Geiste zu erscheinen. Ein großes Zeitgemälde in neun Bänden, in dem er erneut die Synthese von Gegenwartskritik und Zukunftsvision anstrebt. Ein Werk voller journalistischer Qualitäten: genaue Beobachtung, gründliche Recherche, treffsichere Zeitkritik. Auch formal eine Innovation: Der Verfasser entwickelt hier den ‚Roman des Nebeneinander‘ und nimmt die großen Simultanromane des 20. Jahrhunderts konzeptionell vorweg. Es folgt dann noch ein zweiter großer Zeitroman: Der Zauberer von Rom, 1858 bis 1861 in ebenfalls neun Bänden erschienen.  Diese Mammutwerke haben manche Kritik provoziert, aber bis heute auch viele Bewunderer gefunden: Arno Schmidt sieht in ihnen den Aufbruch zur Moderne (1965: 6-54). Rolf Vollmann charakterisiert die Ritter als „einen der schönsten aller Romane“ und nennt den Zauberer „eine sinnverwirrend hinreißende Lektüre“ (1998, Jahr 1850).

Auch als Zeitschriftengründer ist Gutzkow Pionier: Seit 1852 gibt er in Leipzig das Wochenblatt Unterhaltungen am häuslichen Herd heraus. Damit begründet er den Typ der Familienzeitschrift, der dann Karriere machen sollte – zwei Jahrzehnte später gab es schon fast 70 Familienblätter, an der Spitze die äußerst erfolgreiche Gartenlaube. Er folgen noch ein paar Spätwerke sowie eine Sammlung seiner Dramatischen Werke (in 20 Bänden) und der Gesammelten Werke (in 12 Bänden). Und immer wieder bearbeitet er frühere Bücher für den Neudruck.

Der permanente Produktionsdruck, die politische Verfolgung, die ständigen Ortswechsel – all dies führte schließlich zum psychischen Zusammenbruch und zu einem Suizidversuch. Danach wechselnde Wohnorte in schneller Abfolge, am Ende ein grausamer Tod: In der Nacht zum 16. Dezember 1878 erstickt der 67-Jährige bei einem Schwelbrand in seinem Schlafzimmer. Begraben ist er in der Stadt, die ihn einst ausgewiesen hatte: auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main.

Karl Gutzkow war ein Mann, der keinem Streit aus dem Wege ging und der die Federkriege liebte. Von Zeitgenossen wurde er ‚der Unvermeidliche‘ genannt. Dann war er lange Zeit eher ‚der Vergessene‘. Doch inzwischen werden seine Qualitäten wieder mehr und mehr entdeckt (siehe etwa die hybride Gesamtausgabe seiner Werke und die neue Literaturgeschichte von Sprengel).

Literatur:

Das Riesenwerk Gutzkows und die einschlägige Sekundärliteratur hat Wolfgang Rasch bibliographisch erfasst:  Bibliographie Karl Gutzkow (1829-1880). 2 Bände, Bielefeld [Aisthesis] 1998. Im Folgenden können nur ausgewählte Titel genannt werden.

Quellen:

Estermann, Alfred (Hrsg.): ‚Deutsche Revue‘ und ‚Deutsche Blätter‘. Zwei Zeitschriften des Jungen Deutschland. Frankfurt am Main [Athenäum] 1971.

Estermann, Alfred (Hrsg.): Politische Avantgarde 1830–1840. Eine Dokumentation zum Jungen Deutschland. 2 Bände, Frankfurt am Main [Athenäum] 1972.

Gutzkow, Karl: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg [Hoffmann und Campe] 1832.

Gutzkow, Karl: Nero. Tragödie. Stuttgart u. a. [Cotta] 1835.

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Roman. Mannheim [Löwenthal] 1835.

Gutzkow, Karl: Blasedow und seine Söhne. Komischer Roman. 3 Bände, Stuttgart [Verlag der Classiker] 1838.

Gutzkow, Karl: Die Ritter vom Geiste. Roman in neun Büchern. Leipzig [Brockhaus] 1850/51.

Gutzkow, Karl: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern. Leipzig [Brockhaus] 1858-1861.

Gutzkow, Karl:  Gesammelte Werke. Erste vollständige Gesamtausgabe. 12 Bände, Jena [Costenoble] 1873-1876.

Gutzkow, Karl: Ausgewählte Werke in zwölf Bänden. Hrsg. von Heinrich Hubert Houben. Leipzig [Hesse] 1908.

Gutzkow, Karl: Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Hrsg. von Reinhold Gensel. Berlin u. a. [Bong] 1912.

Gutzkow, Karl: Schriften. Hrsg. von Adrian Hummel. 2 Bände und Materialienband, Frankfurt am Main [Zweitausendeins] 1998.

Gutzkows Werke und Briefe. Kommentierte digitale Gesamtausgabe. Hrsg. vom Editionsprojekt Karl Gutzkow. – Eröffnungsband. Hrsg. von Gert Vonhoff und Martina Lauster. Münster [Oktober Verlag] 2001 (work in progress).

Darstellungen:

Baumert, Dieter Paul: Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine sozialgeschichtliche Studie. Hrsg. und eingeleitet von Walter Hömberg.  Baden-Baden [Nomos] 2013 (Erstausgabe 1928).

Hömberg, Walter: Zeitgeist und Ideenschmuggel. Die Kommunikationsstrategie des Jungen Deutschland. Stuttgart [Metzler] 1975.

Hömberg, Walter: Zwischen Politik, Poesie und Publizistik. Karl Gutzkow als Zeitschriftsteller. In: Kutsch, Arnulf; Averbeck-Lietz, Stefanie; Eickmans, Heinz (Hrsg.): Kommunikation über Grenzen. Studien deutschsprachiger Kommunikationswissenschaftler zu Ehren von Prof. Dr. Joan Hemels. Berlin [Lit] 2014, S. 161-187.

Jendretzki, Joachim: Karl Gutzkow als Pionier des literarischen Journalismus. Frankfurt am Main u. a. [Lang] 1988.

Proelß, Johannes: Das junge Deutschland. Ein Buch deutscher Geistesgeschichte. Stuttgart [Cotta] 1892.

Schmidt, Arno: Die Ritter vom Geiste. Von vergessenen Kollegen.  Karlsruhe [Stahlberg] 1965.

Sprengel, Peter: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1830–1870. Vormärz – Nachmärz. München [Beck] 2020.

Vollmann, Rolf: Der Roman-Navigator. Zweihundert Lieblingsromane von der ‚Blechtrommel‘ bis ‚Tristram Shandy‘. Berlin [Eichborn] 1998.

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Walter Hömberg
*1944, Prof. Dr. phil., war vor seiner Emeritierung Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an den Universitäten Bamberg und Eichstätt. Seit 1999 lehrte er auch als Gastprofessor an der Universität Wien. 1992 bis 1995 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 1996 bis 2011 Sprecher des Münchner Arbeitskreises öffentlicher Rundfunk. Herausgeber mehrerer Buchreihen und des Almanachs Marginalistik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Journalismusforschung, Wissenschafts- und Kulturkommunikation sowie Medien- und Kommunikationsgeschichte. Kontakt: walter.hoemberg (at) ku.de