Theodor Fontane

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Theodor Fontane – Journalist und Autor in vielen Berufsrollen

Fontane, Theodor, geb. 30.12.1819 in Neuruppin, gest. 20.9.1898 in Berlin

Der gebildete Zeitgenosse denkt, wenn er den Namen Fontane hört, zuerst an den Romanautor. Frau Jenny Treibel, Effi Briest und Der Stechlin – zumindest diese Titel sind vielen noch präsent, auch deshalb, weil sie zum Kanon der Schullektüre gehör(t)en. Und die Älteren, die noch Gedichte auswendig lernen mussten, erinnern sich vielleicht an Balladen wie Archibald Douglas, Die Brück am Tay und Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Theodor Fontane war schon fast sechzig, als er seine großen Romane in Angriff nahm. Die Jahrzehnte zuvor hatte er hauptsächlich als Journalist gearbeitet. Nach einer kurzen und wechselvollen Schulkarriere begann der 16-Jährige seine Ausbildung als Apothekerlehrling, also im gleichen Beruf wie sein Vater. Neben der ungeliebten Tätigkeit als Pillendreher und Salbenmischer blieb ihm genügend Zeit zur Lektüre. Favoriten dabei waren die Autoren des Jungen Deutschland und weitere zeitgenössische Schriftsteller des Vormärz. Bald schon veröffentlicht er eigene Texte. 1839 erscheint seine Novelle Geschwisterliebe im Berliner Figaro, und drei Jahre später druckt das Unterhaltungsblatt Die Eisenbahn Gedichte und Feuilletons von ihm.
Während der revolutionären Barrikadenkämpfe von 1848 steht der junge Fontane auf Seiten der Republikaner. Seine regierungskritische Position erläutert er in Artikeln für die Berliner Zeitungs-Halle und später für die Dresdner Zeitung. Prekäre finanzielle Verhältnisse bringen ihn dann dazu, ins sogenannte Literarische Cabinet einzutreten. Damit war er Mitarbeiter im Propaganda-Apparat der reaktionären preußischen Regierung. Er hatte sich also an die realen Machtverhältnisse angepasst – die Wende zum Konservativen war eingeleitet.
Die Anstellung versprach Sicherheit und ermöglichte ihm so die Heirat mit seiner Verlobten Emilie Rouanet-Kummer. Dies war der Beginn einer fast 48 Jahre dauernden Ehe. Von den sieben Kindern sollten nur drei ihre Eltern überleben – der frühe Kindstod war damals kein ganz seltenes Familienschicksal. Typisch auch die unsichere finanzielle Situation: Die Autoren wurden nicht mehr, wie noch ein Jahrhundert zuvor, von Mäzenen unterstützt, sondern mussten von den – meist dürftigen – Honoraren für ihre veröffentlichten Texte leben.
Das Literarische Cabinet, später umbenannt in Centralstelle für Preßangelegenheiten, war so etwas wie die Pressestelle der Regierung. Der neue Mitarbeiter musste die aktuellen Zeitungen auswerten und gelegentlich Presseaussendungen im Sinne der Regierungslinie verfassen. Da nach der März-Revolution die Präventivzensur ausgesetzt war, sollte so der staatliche Einfluss auf die Medien sichergestellt werden.

Publizistische Mehrfachverwertung
Um der bürokratischen Routine zu entfliehen, ließ sich Fontane 1852 für ein halbes Jahr nach England entsenden, in jenes Land, für das er schon auf einer Urlaubsreise während seiner Militärzeit ein besonderes Faible entwickelt hatte. Während dieser Zeit verfasste er vorwiegend → Feuilletons, die als Briefe aus London in der Preußischen (Adler-)Zeitung abgedruckt wurden. Die Beiträge erschienen zwei Jahre später unter dem Titel Ein Sommer in London als Buch. Eine solche Mehrfachverwertung war im 19. Jahrhundert sehr verbreitet – sie verschaffte den Autoren zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit und weitere Einkünfte.
Nicht alle dieser Texte stammten von Fontane. Es waren auch Übernahmen aus der Londoner Times darunter. Der → Korrespondent war hier nicht zimperlich. Zwar existierten damals noch keine strengen Urheberrechtsgesetze, aber Plagiate waren dennoch verpönt. Aus einem Brief Fontanes an seine Frau geht hervor, dass ihm eine Rückübersetzung ins Englische peinlich gewesen wäre. Im Übrigen war die intensive regelmäßige Zeitungslektüre für den journalistischen Autodidakten eine gute Schule: ‚learning by reading and writing‘ sozusagen. Die Universität des Lebens musste die lückenhafte Schulbildung kompensieren.
Im September 1855 schickte die Centralstelle in Berlin ihren Mitarbeiter erneut nach London, diesmal für längere Zeit. Er sollte sowohl in preußenfreundlichem Tenor für Berliner Blätter berichten als auch solche Artikel in englische Zeitungen lancieren. Diese Tätigkeit als Presseagent bedeutete einerseits einen hohen Arbeitsdruck, andererseits problematische Grenzgänge. Auch diesmal schrieb Fontane in seinen Berichten immer wieder aus britischen Zeitungen ab, ohne seine → Quellen zu nennen. In diese Zeit fallen auch erste Kontakte mit der renommierten Vossischen Zeitung, für die er feuilletonistische Beiträge liefert.
Was den Hauptjob als Presseagent betrifft, so kamen auch bedenkliche Methoden zur Anwendung: Der → Herausgeber des Morning Cronicle wurde mit jährlich 2000 Talern dazu gebracht, preußenfreundliche Artikel abzudrucken. Dorothee Krings konstatiert süffisant: So „konnte Fontane in seinen eigenen Artikeln für preußische Zeitungen aus dem Chronicle zitieren, was er selbst gegen Geld dort platziert hatte“ (2008: 58).
Abwechslung vom termingesteuerten Tagesgeschäft brachte eine Reise nach Schottland, die Fontane mit seinem Freund Bernhard von Lepel im August 1858 unternahm. Reisen, das war seit Beginn des 19. Jahrhunderts für junge Schriftsteller ein geradezu existentielles Bedürfnis. Neugier auf andere Länder und Kulturen war neben der publizistischen Verwertbarkeit der Erlebnisse und Erfahrungen ein Hauptmotiv für die Reiselust. Die oppositionellen Autoren des Vormärz hatten durch den Vergleich zwischen verschiedenen politischen und sozialen Zuständen auch indirekt Kritik an den restriktiven Verhältnissen zuhause geübt und so Ideenschmuggel betrieben (Hömberg 1975). Fontane hingegen interessierte sich mehr für die Geschichte als für die Gegenwart.
Seine Reiseberichte erschienen in mehreren deutschen Zeitungen und wurden zwei Jahre später unter dem Titel Jenseits des Tweed in Buchform herausgebracht. Der Band wird bis heute immer wieder nachgedruckt und kann geschichtsbewussten und literaturbeflissenen Zeitgenossen durchaus noch als Reiseführer dienen. Edinburgh, Inverness, Culloden-Moor, Oban, Loch Lomond und Abbotsford hießen die Stationen. Die beiden Freunde bereisten sie mit Bahn und Boot, Fuhrwerk und Kutsche – teilweise auf den Spuren von Walter Scott, dessen Romane Fontane bewunderte und den er auch in späteren Gedichten noch würdigte.

Unechte und echte Korrespondenz
So sehr es ihn nach England gezogen hatte – letztlich fühlte er sich dort als Fremder. Anfang 1859 kehrte er nach Berlin zurück. Im Jahr darauf begann mit dem Eintritt in die Redaktion der erzkonservativen Preußischen (Kreuz-)Zeitung eine neue Phase in seinem Leben als Journalist, die ein ganzes Jahrzehnt dauern sollte. Als England-Kenner war er jetzt zuständig für den ‚englischen Artikel‘. Das heißt, er berichtete wie ein Korrespondent über aktuelle Ereignisse in Großbritannien. Als → Ortsmarke war London angegeben. Faktisch jedoch entstanden die Beiträge in der Berliner Redaktion: Fontane wertete dabei die Times aus und suggerierte den deutschen Lesern auch durch die Anreicherung mit erfundenen Szenen eine fiktive Augenzeugenschaft. → Fake News auf preußisch gewissermaßen.
Der Autor fand dieses Verfahren der „unechten Korrespondenzen“, welches in der Frühzeit des → redaktionellen Journalismus nicht ganz selten war, durchaus nicht als anrüchig: „Es ist damit wie mit den friderizianischen Anekdoten: die unechten sind geradeso gut wie die echten und mitunter noch ein bißchen besser. Ich bin selbst jahrelang echter und dann wieder jahrelang unechter Korrespondent gewesen und kann aus Erfahrung mitsprechen. Man nimmt seine Weisheit aus der Times oder dem Standard etc., und es bedeutet dabei wenig, ob man den Reproduktionsprozeß in Hampsted-Highgate oder in Steglitz-Friedenau vornimmt“ (Fontane 1967: 251). Eine medien- und berufsethisch fundierte Selbstreflexion sieht anders aus. Der zeitgenössische Historiker und Publizist Heinrich Wuttke urteilt bissig: „So ward ein Geschlecht von Landsknechten der Presse gezüchtet. Eine gefälschte Schriftstellerei ist eine strömende Quelle der Verderbniß“ (1875: 45).
Neben „unechten Korrespondenzen“ fand unser Autor noch genügend Zeit zu echten Exkursionen in die märkische Umgebung. Darüber berichtet er im eigenen Blatt und in anderen Periodika. Seine Feuilletons, eine Mischung von Geschichtsschreibung und Reisebericht, fanden große Resonanz. Unter dem Titel Wanderungen durch die Mark Brandenburg erschienen die Reisebilder zwischen 1862 und 1882 in vier Teilen in Buchform. Fontane hat dafür nicht nur Memoiren und Chroniken ausgewertet, sondern auch bei Lehrern, Pfarrern und anderen Ortskundigen intensiv recherchiert.

Vom Kriegsberichterstatter zum Theaterkritiker
Gründliche Recherchen trieb er auch in einer neuen Rolle: als Kriegsberichterstatter. Die preußischen Kämpfe gegen Dänemark, gegen Österreich und gegen Frankreich (1864-1871) hat er zwar nicht vor Ort miterlebt, sozusagen im Pulverdampf, aber er hat die Kriegsschauplätze anschließend besucht und seine Beobachtungen in mehreren Artikelfolgen veröffentlicht. Die Berichte sind dann später in vier voluminösen Bänden erschienen. Diese Bücher waren kein Verkaufserfolg, bilden aber eine Brücke zum Werk des Romanautors.
Davor liegt allerdings noch eine längere Berufsphase als Theaterkritiker. Schon in seiner Londoner Zeit hatte Fontane über Aufführungen von Shakespeare-Stücken berichtet. Als die Vossische Zeitung, das angesehene Hauptstadtblatt, im Jahre 1870 einen neuen Theaterkritiker suchte, war er gleich zur Stelle. Zwei Jahrzehnte lang besuchte er dann regelmäßig den für ihn reservierten Parkettplatz 23 im Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. So entstanden insgesamt fast 700 Kritiken, von Klassikeraufführungen ebenso wie von zeitgenössischen Stücken. Der → Rezensent beginnt meist mit einer ausführlichen Inhaltsangabe, bevor er sich die Aufführung als Ganzes und die einzelnen Schauspieler vornimmt. Mit seinem – häufig harschen – Urteil hält er nicht zurück: „Wir haben wenige Theaterabende erlebt, an denen ein dünnerer Thee präsentirt worden wäre“, so beginnt der Bericht über die Komödie Die Sirene, verfasst von dem heute vergessenen Salomon Hermann von Mosenthal (2018: 85). Auch → Karl Gutzkow, dessen publizistische Texte der junge Fontane verschlungen hatte, bekommt sein Fett ab: Sein Lustspiel Der Gefangene von Metz wird als „unerquickliches Machwerk von Grund aus“ abgekanzelt (2018: 125).
Übelmeinende Kollegen deuteten die Initialen Th. F. als Abkürzung für „Theaterfremdling“. Dabei war Fontane ein aufmerksamer Beobachter und ein feinfühliger Stilist, der auch über seine Bewertungskriterien räsonierte. Sensibel hob er die Qualitäten der neuen naturalistischen Dramen hervor, die am Ende seiner Zeit als Kritiker auf die Bühne kamen. Seine verständnisvolle Besprechung der Uraufführung von Gerhard Hauptmanns Vor Sonnenaufgang, die von Tumult begleitet war, hat → Egon Erwin Kisch einige Jahrzehnte später als vorbildlichen Text in seine Anthologie Klassischer Journalismus – Die Meisterwerke der Zeitung aufgenommen.
Theodor Fontane hat nicht nur unechte Korrespondenzen verfasst, sondern als leidenschaftlicher Briefeschreiber auch eine Fülle echter Korrespondenzen hinterlassen. Was wir von seinem Leben und seiner Sicht auf die Welt wissen, das wissen wir vor allem aus den fast 6000 Briefen, die aus einer viel größeren Zahl überliefert sind. Er war bis ins hohe Alter aktiv. Zum wichtigsten Vertreter des poetischen Realismus wurde er mit seinen Gesellschaftsromanen aus dem siebten und achten Lebensjahrzehnt. Die präzise Wirklichkeitsdarstellung, die scharfe Beobachtung alltäglichen Verhaltens und gesellschaftlicher Entwicklungen, die sensible Schilderung menschlicher Stärken und Schwächen – in all dem mag man auch Einflüsse aus der früheren journalistischen Biographie sehen.
Zum 200. Geburtstag Fontanes sind mehrere umfangreiche Bücher über sein Leben und sein Werk erschienen. Mit einer Ausnahme (D’Aprile) behandeln die Autorinnen und Autoren seine Tätigkeit als Journalist jedoch nur am Rande. Dabei hat diese über einen langen Zeitraum sein Leben bestimmt.

Literatur:

Das umfangreiche Werk Fontanes und die kaum überschaubare Sekundärliteratur hat Wolfgang Rasch bibliographisch erfasst: Theodor Fontane Bibliographie. Werk und Forschung. 3 Bände, Berlin, New York [de Gruyter] 2006. Im Folgenden können sollen nur einige ausgewählte Titel genannt werden.

Quellen:

Fontane, Theodor: Werke, Schriften, Briefe. Hrsg. von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger. 20 Bände, München [Hanser] 1961-1997.

Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches nebst anderen selbstbiographischen Zeugnissen. München [Nymphenburger Verlagshandlung] 1967.

Fontane, Theodor: Da sitzt das Scheusal wieder. Die besten Theaterkritiken. Hrsg. und mit einer Einführung von Debora Helmer. Berlin [Aufbau] 2018.

Kisch, Egon Erwin: Klassischer Journalismus. Die Meisterwerke der Zeitung. Berlin, Weimar [Aufbau] 1982 [Erstausgabe 1923].

Wuttke, Heinrich: Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen Meinung. Ein Beitrag zur Geschichte des Zeitungswesens. 3. Auflage. Leipzig [Krüger] 1875.

Darstellungen:

D’Aprile, Iwan-Michelangelo: Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung. Reinbek [Rowohlt] 2018.

Dieterle, Regina: Theodor Fontane. Biografie. München [Hanser] 2018.

Hömberg, Walter: Zeitgeist und Ideenschmuggel. Die Kommunikationsstrategie des Jungen Deutschland. Stuttgart [Metzler] 1975.

Krings, Dorothee: Theodor Fontane als Journalist. Selbstverständnis und Werk. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2008.

Mecklenburg, Norbert: Theodor Fontane. Realismus, Redevielfalt, Ressentiment. Stuttgart [Metzler] 2018.

Nürnberger, Helmuth: Theodor Fontane. 26. Auflage. Reinbek [Rowohlt] 2004.

Rutsch, Hans-Dieter: Der Wanderer. Das Leben des Theodor Fontane. Berlin [Rowohlt] 2018.

Zimmermann, Hans Dieter: Der Romancier Preußens. München [Beck] 2019.

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Walter Hömberg
*1944, Prof. Dr. phil., war vor seiner Emeritierung Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an den Universitäten Bamberg und Eichstätt. Seit 1999 lehrte er auch als Gastprofessor an der Universität Wien. 1992 bis 1995 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 1996 bis 2011 Sprecher des Münchner Arbeitskreises öffentlicher Rundfunk. Herausgeber mehrerer Buchreihen und des Almanachs Marginalistik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Journalismusforschung, Wissenschafts- und Kulturkommunikation sowie Medien- und Kommunikationsgeschichte. Kontakt: walter.hoemberg (at) ku.de