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Politik und Journalismus

Eine Einführung von Jan Tonnemacher

Das Verhältnis von Politik und Journalismus hat in der öffentlichen Diskussion immer eine große Rolle gespielt, sicherlich auch, weil beide Seiten sich brauchen und aufeinander angewiesen sind. Informationen und Werbung von Politikern werden zu einem Großteil über Medien und damit Journalisten an die → Öffentlichkeit vermittelt, und der Journalismus lebt – zumindest was den Nachrichtenbereich angeht – weitgehend vom Input der Politik. In dieser Funktion kann er gleichsam zum Erfüllungsgehilfen der Politik werden, denn er hat für diese die Veröffentlichung und damit Öffentlichkeit herzustellen.

In einer Demokratie hat der Journalismus allerdings deutlich über die Verbreitung von Informationen hinausgehende Funktionen, die Meinungsbildung ermöglichen und durch → investigative Recherche Fehlentwicklungen und Missstände aufdecken sollen – frei und ungehindert durch staatliche oder andere gesellschaftliche Institutionen (vgl. Meier 2011: 186). → Informations– und → Meinungsfreiheit sind nach jahrhundertelangen Kämpfen in Deutschland faktisch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht worden, und in einem Teil des Landes sogar erst vor etwa 25 Jahren. Artikel 5 des Grundgesetzes sichert seit 1949 die Kommunikationsfreiheit und schützt die → Massenmedien vor staatlichen Eingriffen und Zensur. Obwohl die Meinungsfreiheit in der Verfassung der DDR in Artikel 27 ebenfalls gewährleistet schien, gab es dort Sprachregelungen, → Manipulation und Zensur und damit einen von Politik und Parteien für ihre Zwecke instrumentalisierten Journalismus noch bis 1989. In der Demokratie hingegen werden Medien und Journalisten wegen ihrer Kontroll- und Kritikfunktion neben den drei Säulen Exekutive, Legislative und Justiz manchmal als Vierte Gewalt bezeichnet, was deren Bedeutung unterstreicht, wegen nicht gegebener Sanktionsmaßnahmen allerdings nicht unbedingt angemessen erscheint.

Die journalistischen Darstellungsformen der politischen Berichterstattung lassen sich grundsätzlich teilen in → Nachrichten einerseits und → Kommentar/Meinung andererseits, wobei nicht ausnahmslos eine Trennung dieser beiden Seiten gefordert wird. Allgemein findet politische Berichterstattung in beiden Formen deutlich in der Presse oder in spezifischen Radio- und Fernsehsendungen statt. Dadurch sind die Nachrichten im Rundfunk ebenso wie politische Magazinsendungen wichtige Informationsquellen über politische Ereignisse und Vorgänge. Selbst den immer beliebter gewordenen Talkshows würde man einen begrenzten Informationscharakter zuerkennen, allerdings wohl zumeist dominiert von ‘human touch’ und damit dem Unterhaltungswert solcher Sendungen.

Die Bedeutung von Medien und Journalismus für die Politik ist inzwischen so gewachsen, dass nach einer früher in autoritären oder diktatorischen Herrschaftsformen von Journalisten verlangten ‘Schere im Kopf’ nun eine solche im Kopf vieler Politiker vermutet wird, die sich den Regeln des Mediengeschäfts anpassen oder gar unterwerfen. Hierfür wurde das Schlagwort von der Mediendemokratie geprägt, die zu einem gesellschaftlichen Zustand führen könnte, der mit „Medienverdrossenheit“ bezeichnet werden kann, etwa wenn ‘Alpha-Journalisten’, also renommierte Chefredakteure, Kommentatoren oder Moderatoren politisch als wichtig angesehener Presse- und Funkmedien die öffentliche Debatte prägen und ihre Sicht der Dinge als gültig darstellen. Oder aber, wenn die Konformität in der Berichterstattung überhand nimmt, der Journalismus dadurch sein Meinungsspektrum einschränkt und seine Glaubwürdigkeit verliere, wie es Uwe Krüger in seinem Buch Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen (2016) darlegt.

Wenn sich ein solcher Unmut in gesellschaftlichen Gruppen bis zu → ‘Lügenpresse’- Beschimpfungen steigert, so ist dies eine reaktionäre oder rechtsradikale Entstellung und Entgleisung. Allerdings kam in einer Befragung im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit (Dobbert 2015) zum Ausdruck, dass 60 Prozent der Deutschen „wenig oder gar kein Vertrauen“ in die politische Berichterstattung im Land haben. Handelt es sich hierbei nur um ein verbreitetes Vorurteil, oder sind verschiedene Tendenzen als Erklärung für diese Ablehnung des Journalismus verantwortlich? Etwa die steigende Boulevardisierung der Medien, die auch in der politischen Berichterstattung häufig schon in Infotainment mündet, oder die Verflechtungen und Beziehungen zwischen Politik und Journalisten, die für die Arbeit beider Seiten bestehen müssen, aber nur bis zu einer klaren Grenze – die Distanz-Nähe-Problematik also? Nach einer Studie der GfK (GfK Verein 2016: 5; 7) vom März 2016 sind andererseits nach Ansicht der Befragten die Politiker diejenige Berufsgruppe, der sie am wenigsten vertrauen. Journalisten liegen hier nicht viel besser, nämlich auf dem viertletzten Platz. Journalisten und Politiker teilen sich also die Abneigung weiter Bevölkerungskreise, und man wird sich fragen können, inwieweit dies auf Missstände und Skandale auf Seiten der Politik oder einer Skandalisierung und Übertreibungen durch die Medien zurückzuführen ist.

In wachsendem Maße wird sich die → Digitalisierung der Medien auf das Verhältnis von Politik und Journalismus auswirken. Auch diese Entwicklung wird für Glaubwürdigkeitsverluste des Journalismus und eine ablehnende Haltung der Öffentlichkeit verantwortlich gemacht. Einerseits werden die klassischen Medien der politischen Berichterstattung, also Presse und öffentlich-rechtlicher Rundfunk, insgesamt immer weniger genutzt, obwohl sie sich teilweise durchaus Boulevard-Entwicklungen anpassen, insgesamt aber nicht unbedingt schlechter geworden sind. Andererseits bedienen sich Politiker ebenso wie andere Internet-Nutzer und Blogger des kostenlosen Mitmach-Mediums und schaffen mit dem user-generated content eine zwar qualitativ wechselhafte, aber unmittelbare Konkurrenz zum Journalismus, die es vor dem Internet so nicht gab. Hier ist man schneller, ungebunden und muss daher auch nicht immer Rücksicht nehmen. Politiker benutzen die → Social Media im Netz gern auch mal direkt und übergehen dann die klassischen Medien und damit die professionellen Journalisten. Auch der Journalismus hat dadurch andere Informationsquellen und Verbreitungsmöglichkeiten, aber die gesamte Öffentlichkeit ist dabei, sich im Informations- und Kommunikationsverhalten fundamental umzustellen.

Dies hat in der sog. Flüchtlingskrise zu einer Verschärfung der Situation und der Gegensätzlichkeiten geführt. In der Berichterstattung über die Übergriffe und Gewalttaten der Silvesternacht 2015/2016 in Köln war zunächst nicht erwähnt worden, dass es sich bei den Tätern um Migranten und Asylbewerber handelte. Diese einen Teil der Nachricht unterdrückende Darstellung durch die Journalisten war einer Rücksichtnahme auf mögliche pauschale Diskriminierung von ethnischen Minderheiten geschuldet. Vielfach und gerade weil die Einzelheiten im Internet sofort erschienen und sich entsprechend schnell verbreiteten, wurde hier sogar der Vorwurf einer Kumpanei von Politik und Journalismus laut, und beiden wurde bewusste Verschleierung und Täuschung der Öffentlichkeit vorgeworfen.

Der Vorgang hatte insofern Brisanz für das Verhältnis von Politik und Journalismus, weil klar war, dass der Berücksichtigung einer politischen Stimmungslage der Vorzug vor einer vollständigen, der Wahrheit und Sorgfalt verpflichteten Berichterstattung (siehe → Qualität im Journalismus) gegeben worden war. Eine andere und nicht unbedenkliche Tendenz in der politischen Berichterstattung besteht im Eindringen in die persönlichen Lebensbereiche von Politikern. Eine Rechtfertigung ergibt sich meist erst im Nachhinein. Beispielsweise kann im Fall der Rücktritte zweier Bundespräsidenten aufgrund investigativer Recherche und von ‘Medienschelte’, Christian Wulff und Horst Köhler, bezweifelt werden, ob sie gerechtfertigt waren oder ob es sich dabei jeweils um eine übertriebene und ungerechte ‘Medienhatz’ handelte, von eigenen Fehlern der beiden Politiker einmal abgesehen. Ebenso wie beim Plagiatsfall des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg oder in anderen Fällen hat sich jedoch die Kontroll- und Kritikfunktion des Journalismus gegenüber der Politik bewährt, und die Rufe nach Verschärfung der Aufsicht durch die Kontrollinstanzen (wie der → Landesmedienanstalten) als kontraproduktiv zu sehen.

Eine neue Schere im Kopf der Journalisten wie in den dunklen Zensur-Zeiten darf es nicht geben, aber die Entscheidung für oder gegen eine Veröffentlichung haben Journalisten im Gegensatz zu früher weitgehend selbst in der Hand. Zu große Nähe zur Politik ist unzulässig und mehr Distanz oft geboten. Die öffentliche Wahrnehmung und Kritik politischer und gesellschaftlicher Vorgänge und Handlungen wird immer noch weitgehend von Journalisten gelenkt. Dass dies auch weiterhin der Fall ist, dafür muss von der Politik, aber auch vom Journalismus selbst gesorgt werden. In der teils chaotischen Vielfalt und Beliebigkeit des Netzes, in der auch Gerüchte, Lügen und Hass verbreitet werden, bedarf es immer der ordnenden, professionell und verlässlich informierenden und vor allem korrigierenden Hand.

Literatur:

Dobbert, Steffen: Medienkritik: Deutsche haben wenig Vertrauen in die Medien. In: Zeit online, 24.06.2015. http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-06/medienkritik-journalismus-vertrauen

GfK Verein (Hrsg.): Trust in Professions 2016. In: GfK Compact. Fokusthema, 3, 2016. Die Studie ist hier als PDF-Datei abrufbar.

GfK Verein (Hrsg.): Weltweites Ranking: Vertrauenswürdige Berufe. In: GfK Verein, März 2016. http://www.gfk-verein.org/compact/fokusthemen/weltweites-ranking-vertrauenswuerdige-berufe

Krüger, Uwe: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. 1. Auflage. München [C.H. Beck] 2016

Meier, Klaus: Journalistik. 2. Auflage. Konstanz [UVK/UTB] 2011

Pörksen, Bernhard; Wolfgang Krischke (Hrsg.): Die gehetzte Politik. Die neue Macht der Medien und Märkte. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2013

Weischenberg, Siegfried; Maja Malik; Armin Scholl: Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland. Konstanz [UVK] 2006

Jan Tonnemacher
*1940, Prof. Dr. phil., Dipl. Volkswirt, hatte nach langjährigen Tätigkeiten als Journalist, Pressesprecher und in der außeruniversitären Medienforschung von 1991 bis 2005 einen Lehrstuhl für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seit seiner Emeritierung weiter in Lehre und Forschung an mehreren Universitäten tätig, gegenwärtig als Research Fellow am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Kommunikationspolitik, Medienökonomie, Medienentwicklung und neuere Mediengeschichte. Jan Tonnemacher hat einen Einführungsbeitrag zum Thema → Politik und Journalismus geschrieben.

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